Kurfürst Friedrich V.
Leben
1.5 König von Böhmen
1.5.1 Vorgeschichte und Pläne
Wann genau die Idee zur Bewerbung um die böhmische Königskrone
entstand, ist nicht bekannt. Denkbar war diese nur, weil
die ständische Wahlmonarchie Böhmen, seit 1526 von Habsburgern
regiert, zu Beginn des 17. Jahrhunderts in eine tiefe politische
Krise geraten war. Die Landstände Böhmens wollten ihre Macht
nicht durch die absolutistisch denkenden Habsburger einschränken
lassen, und im evangelischen böhmischen Adel hatte sich
eine starke Opposition gegen die Rekatholisierungsbestrebungen
Kaiser Rudolfs II. und seiner Parteigänger formiert. 1609,
das Reich war durch dynastische Streitigkeiten und einen
unglücklich verlaufenen Türkenkrieg geschwächt, trotzten
die Protestanten dem Kaiser den so genannten Majestätsbrief
und damit die Religionsfreiheit ab. Schon damals gab es
politische Kontakte böhmischer Adliger zur Protestantischen
Union. Bereits 1612, als Rudolf II. starb und Friedrichs
englische Heiratspläne konkret wurden, gab es jedenfalls
Überlegungen, dass sich der Pfälzer um die Krone Böhmens
bewerben sollte. Die Gedankenspiele waren wohl auch den
protestantischen Fürsten der Union bekannt: Die Übernahme
der böhmischen Kurstimme sollte dem protestantischen Lager
eine Stimmenmehrheit im Kurkollegium sichern, um so auch
einen Protestanten auf den Kaiserthron bringen zu können.
Die politischen Strategen am Heidelberger Hof glaubten,
dass Kurfürst Johann Georg von Sachsen das Bündnis mit den
Habsburgern verlassen und Friedrich unterstützen würde.
Die Annahme war allerdings völlig unbegründet. Kaum zehn
Jahre später trug diese Fehleinschätzung wesentlich dazu
bei, dass Friedrichs böhmische Regierung nur eine kurze
Episode blieb. Zunächst gewann aber der Habsburger Matthias
ohne Schwierigkeiten 1611 die böhmische als auch ein knappes
Jahr später die römische Krone. Die konfessionellen und
politischen Auseinandersetzungen in Böhmen gingen unterdessen
unvermindert weiter. Die Lage war ziemlich unübersichtlich.
So gelang es dem Kaiser 1617 noch, den unversöhnlichen Katholiken
Ferdinand von Innerösterreich als seinen Nachfolger zum
böhmischen König krönen zu lassen. Nur ein Jahr später schritten
die evangelischen Stände Böhmens jedoch zur offenen Rebellion.
Ausdruck dessen war der Prager Fenstersturz vom 23. Mai
1618. In dieser Situation verstärkte Christian von Anhalt
seine Bemühungen, für Friedrich die böhmische Krone zu erringen.
Als Statthalter der Oberpfalz mit Sitz in Amberg war er
nicht zu weit von Prag entfernt, um zeitnah in die sich
überschlagenden politischen Ereignisse eingreifen und seinen
Einfluss geltend machen zu können. Christian gelang es aber
nicht, eine ausreichend starke Partei für Friedrichs Bewerbung
zu schaffen. Der Kurfürst war nicht nur zu unerfahren und
ohne Ansehen, er war vor allem Calvinist und gehörte damit
einer Konfession an, die in Böhmen kaum vertreten war, wenn
auch einige bedeutende Adlige den politischen Ideen der
Calvinisten nahe standen. Als die Nachricht vom Prager
Fenstersturz am 2. Juni 1618 Heidelberg erreichte, konnte
Friedrich nicht offen für die Aufständischen Partei ergreifen.
Dies wäre eine Rebellion gegen den Kaiser gewesen, dem auch
Friedrich Treue und Gehorsam gelobt hatte. Er hätte sich
damit offen ins Unrecht gesetzt. So reihte er sich offiziell
in die Schar der Vermittler zwischen den protestantischen
Ständen Böhmens und Matthias ein, die einen Ausgleich beider
Seiten zu erreichen suchten. Insgeheim unterstützte aber
Christian von Anhalt weiterhin die antihabsburgische Partei
in Prag. Friedrich indessen schob in einem Brief an seinen
Schwiegervater den Jesuiten und der spanischen Partei am
Wiener Hof die Schuld für den Aufstand in Böhmen zu. In
Prag soll die Idee einer offenen Kandidatur Friedrichs erstmals
im November 1618 bei den Gesprächen des preußischen Rats
und Amtshauptmanns Achatius von Dohna aufgetaucht sein;
inwieweit Friedrich eingeweiht war oder die Sache selbst
vorantrieb, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall zeigte sich
Jakob I. wenig begeistert, als er vom kurpfälzischen Hofrat
Christoph von Dohna darauf angesprochen wurde. Auch die
protestantischen Fürsten der Union zeigten sich besorgt
über diese Idee, da sie befürchteten, die Wahl Friedrichs
könnte das Reich in einen religiösen Krieg stürzen. Der
sächsische Hof lehnte die Pfälzer Kandidatur kategorisch
ab. Hinter den Kulissen organisierte Friedrich den Einmarsch
eines kleinen Heeres unter Graf Ernst von Mansfeld nach
Böhmen, um die Aufständischen zu unterstützen. Mansfeld
überschritt im August 1618 die Grenze und belagerte Pilsen,
den bedeutendsten Stützpunkt der katholischen kaisertreuen
Partei. Die Stadt fiel am 21. November, womit Böhmen ganz
in der Hand der Protestanten war. Im März 1619 starb Kaiser
Matthias. Die protestantischen böhmischen Stände wollten
den bereits 1617 gekrönten Nachfolger Ferdinand II. nun
nicht mehr als ihren König anerkennen. Um sich gegen den
zu erwartenden Einmarsch des Habsburgers abzusichern, schlossen
sie mit der Böhmischen Konföderation ein Schutz- und Trutzbündnis
ab. Nach Abschluss der Konföderation wurde Ferdinand II.
durch den Generallandtag aller böhmischen Länder des Throns
für verlustig erklärt. Nun waren alle Bande zwischen Böhmen
und den Habsburgern zerschnitten und der offene Krieg spätestens
jetzt nicht mehr zu stoppen. Der Dreißigjährige Krieg hatte
begonnen. Nur wenigen Zeitgenossen war freilich bewusst,
dass aus einer lokalen Rebellion ein verheerender europäischer
Krieg werden könnte. Der Erzbischof und Kurfürst von Köln,
der Wittelsbacher Ferdinand von Bayern, äußerte zu den Vorgängen
in Böhmen fast prophetisch:
Sollte es so sein, daß die Böhmen im Begriffe ständen,
Ferdinand abzusetzen und einen Gegenkönig zu wählen, so
möge man sich nur gleich auf einen zwanzig-, dreißig- oder
vierzigjährigen Krieg gefaßt machen (so bei Golo Mann: Wallenstein,
S. 146)
Die
Stände der böhmischen Länder schritten nun gemäß den Regeln
der Konföderation zur gemeinsamen Wahl eines neuen Königs.
Nachdem Johann Georg von Sachsen, der Wunschkandidat der
gemäßigten protestantischen Partei, frühzeitig abgesagt
hatte, blieb nur der Pfälzer als Kandidat. Niemand sonst
wollte den Konflikt mit Ferdinand II. riskieren. Die Chancen
für eine erfolgreiche Machtübernahme in Böhmen verbesserten
sich für Friedrich im Sommer 1619 insofern, als am 16. August
auch die Stände Ober- und Niederösterreichs dem antihabsburgischen
Bündnis der böhmischen Länder beitraten und der siebenbürgische
Fürst Gábor Bethlen mit seinem Heer ins habsburgische Oberungarn
einfiel.
Und genau in dieser Zeit war Ferdinand auf dem Wege nach
Frankfurt am Main zu seiner Wahl zum Kaiser.
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