Die Eingliederung eines Territoriums in das Imperium Romanum
führte zur Gründung einer Vielzahl von Städten
und Siedlungen. Die Etablierung von städtischen Zentren
war hierbei ein bedeutendes Mittel Roms bei der Konsolidierung
seiner Macht. Indem auch die Gründung der Provinzen in die
Verwaltung einbezogen wurden, konnte diese gefestigt und die
Romanisierung gefördert werden.
Stadt war allerdings nicht gleich Stadt. Nicht die Größe
und die Einwohnerzahl bedingte den Status eines Gemeinwesens,
sondern der jeweilige Rechtsstatus. Mit der Verleihung des Titels
einer colonia erlangte eine Stadt den höchsten Rechtsstatus,
der einem Gemeinwesen verliehen werden konnte. Der Rang als Kolonie
bescherte auch deren Bewohnern verschiedenste Privilegien. Municipien
waren Orte, die ein formales Stadtrecht innehatten – ihre
Privilegien hielten sich jedoch in Grenzen. Unter civitates versteht
man Gebietskörperschaften, die von einem Zentralort aus
verwaltet wurden. Diese Hauptorte erhielten zwar kein Stadtrecht,
besaßen aber vom Aussehen her einen städtischen Charakter.
Als vici wurden alle Ansiedlungen und Dörfer bezeichnet,
die keinen stadtrechtlichen Status aufwiesen. Die Namen der Städte
und Siedlungen gaben jeweils Auskunft über deren Rechtsform:
Ob nun colonia Augusta Treverorum, die man heute Trier nennt,
municipium Arae Flaviae, das heutige Rottweil, civitas Ulpia
Sueborum Nicrensium mit dem Hauptort Ladenburg oder vicus Grinario,
Köngen – der Status war auf den ersten Blick für
jeden erkennbar.
Bild rechts: Statue eines Kindes,
Trier, 2. Jh. n. Chr.
Rheinisches Landesmuseum Trier
©
Th. Zühmer; Rheinisches Landesmuseum Trier
Das gemeinsame Vorbild aller Siedlungen, unabhängig von
deren Rechtsstatus, war Rom. Dies war ein hoch gestecktes Ideal,
das man in der Regel nicht wirklich erreichen konnte. Dennoch
träumte man davon, der urbs in allen Bereichen des öffentlichen
und privaten Lebens nahe zukommen. Insbesondere im Stadtbild
wollte man gleichziehen. So fand sich in jeder Stadt, egal ob
Metropole oder Kleinstadt, große öffentliche Bauten,
ein Forum sowie verschiedenen Verwaltungs- oder Vergnügungsbauten.
Selbst in kleineren Siedlungen bildete sich, ganz wie in Rom,
ein zentraler Platz als Mittelpunkt des öffentlichen Lebens.
Im Regelfall standen den Bewohner dort auch öffentliche
Badeanlagen zur Verfügung. Tempel und Heiligtümer vervollständigten
das Bild.
Der Rechtsstatus machte eine stadtähnliche Siedlung zu einer
Stadt im rechtlichen Sinne. Daher war ein städtisches Erscheinungsbild,
wie eine Stadtmauer, auch nicht zwingend notwendig. Längst
nicht alle Städte hatten eine solche: Nicht einmal Rottweil,
die einzige uns bekannte Stadt (im rechtlichem Sinne) im heutigen
Baden-Württemberg, war mit einer Mauer befestigt. Man baute
sie nicht nur zur Verteidigung, sondern auch aus Prestigegründen.
Nur eine Stadt, die es sich leisten konnte, umgab sich mit einer
Stadtmauer. Auffallend ist, dass die in Baden-Württemberg
gefundenen antiken Mauern einheitlich um die Wende vom 2. zum
3. Jahrhundert nach Christus errichtet worden sind und somit
noch rechtzeitig vor den Germaneneinfällen. Archäologen
schließen daraus, dass weniger aus Gründen der Verteidigung
als aus Repräsentationszwecken in Stadtmauern investiert
wurde. Warum in Rottweil jedoch auch in der gefährlichen
Zeit des 3. Jahrhunderts nach Christus keine Stadtmauer gebaut
wurde, bleibt ungewiss: Fühlte man sich ohne Mauer schon
sicher genug? Oder hatte die Stadt so viel an Bedeutung und damit
an Finanzkraft eingebüßt, dass sie sich eine Befestigung
schlichtweg nicht leisten konnte?
Kein Begriff versinnbildlicht die Idee vom Städtewesen so
gut wie die der so genannten Orts- oder Stadtgenien. Eine besonders
gut erhaltene Statue einer solchen Gottheit ist aus Bad Wimpfen,
dem Hauptort der civitas Alisinensium, erhalten. Der Genius kam
1984 bei archäologischen Ausgrabungen in den Ruinen eines
Steinhauses, das wohl als Kultgebäude diente, zutage. Genien
waren eine Besonderheit der römischen Religion; es waren
männliche Schutzgeister, die Wirkkräfte von Personen,
Personengruppen, Örtlichkeiten oder Gebäuden verkörperten.
Sie sind häufig nachgewiesen
und im Aussehen sehr ähnlich wie der Wimpfener Schutzgeist,
der am Altar opfernd dargestellt ist. Bekleidet ist er lediglich
mit einem Hüftmantel. In der Rechten hält er eine Opferschale über
das Feuer des Altars. In seinem linken Arm befand sich einst
ein Füllhorn, das die Hoffnung auf Wohlstand symbolisierte.
Auf dem Kopf trägt er eine Mauerkrone, die auf seine Aufgabe
als Schutzgottheit seiner Stadt hinweist. Auf diese Zuständigkeit
deutet auch die Form der Krone hin: eine Stadtmauer.
Genius von Bad Wimpfen
Bad Wimpfen, 2./ 3. Jh. n. Chr.
Landesmuseum Württemberg, Stuttgart
©
H. Zwietasch; Landesmuseum Württemberg, Stuttgart |