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7. Die Nationalversammung

Die Nationalversammlung in der Paulskirche

Am 18. Mai trat in der Frankfurter Paulskirche die Verfassunggebende Nationalversammlung als erstes frei gewähltes gesamtdeutsches Parlament zusammen. Unter den insgesamt 586 Abgeordneten befanden sich 223 Juristen, 106 Professoren und 46 Industrielle. Wie die Versammlung des Dritten Standes in Frankreich 1789 war auch die deutsche Nationalversammlung ein Parlament der geistigen Elite und der Honoratioren. Die Kritik an der Nationalversammlung kam auch im wesentlichen von der politischen Seite, erst als sie ihre Unfähigkeit zur Lösung der sozialen Probleme zeigte, trat auch die soziale Kritik dazu.

Einzug des Reichsverwesers in Frankfurt. Aquarell

Einzug des Reichsverwesers in Frankfurt

Festlicher Empfang des neugewählten Reichsverwesers, des österreichischen Erzherzogs Johann, in Frankfurt am 11. Juli 1848

Heinrich von Gagern ließ als einen "kühnen Griff" in der Vorwegnahme der Frage des Staatsoberhauptes den österreichischen Erzherzog Johann zum Reichsverweser, d.h. zum vorläufigen Staatsoberhaupt wählen.

Aquarell, 38,5 x 54,5 cm, Privatbesitz.
Katalog 1848. Aufbruch zur Freiheit Nr. 331

"Mitglieder der Linken des ersten deutschen Reichstags in Frankfurt a/M". Wilhelm Völker (1812-1873), 1849.

"Mitglieder der Linken des ersten deutschen Reichstags in Frankfurt a/M". Wilhelm Völker (1812-1873), 1849. Lithographie 42x62 cm, Historisches Museum Frankfurt a. Main. Aus der Ausstellung "Aufbruch zur Freiheit", Frankfurt, Schirn. Katalog.Nr. 322

In der Diskussion über die zukünftige Struktur Deutschlands bildeten sich politische Gruppierungen, die zunächst - wie die Clubs der Französischen Revolution - nach ihren Tagungslokalen genannt wurden: Die Konservativen tagten im Café Milani, die Liberalen im Kasino und im Württemberger Hof, die Demokraten im Deutschen Hof.

Als Begriffsschema der politischen Struktur hat sich allerdings die Sitzordnung in der Nationalversammlung gehalten: rechts saßen die Konservativen, links die republikanisch gesinnten Demokraten, in der Mitte, in sich gespalten, das liberale Zentrum. Diese Sitzordnung wiederum geht auf die Badische Zweite Kammer zurück. wo schon 1843 die politischen Gesinnungsfreunde beieinandersaßen, während zur selben Zeit in Württemberg noch die traditionell vorgeschriebene Sitzordnung galt.

Die Konservativen vertraten weiterhin den Gedanken der föderalistischen Ordnung, also den der Beibehaltung der Einzelstaaten. Die Demokraten forderten die Auflösung der Einzelstaaten zugunsten einer zentralistischen deutschen Republik. Das rechte Liberale Zentrum wollte die Bundesstaaten in die konstitutionelle Ordnung einbinden, während das linke Zentrum die Rolle des Parlaments im Einheitsstaat noch weiter zu stärken suchte.

Die "Linke" umfasst etwa 15% der Abgeordneten. Zu ihren Zielen gehörten die Volkssouveränität, das Einkammersystem, die allgmeine, gleiche, direkte Wahl und eine dem Parlament verantwortliche Exekutive. Die Sammlung der Porträts ist 1849, nach der Hinrichtung Robert Blums, entstanden und zeigt den Abgeordneten mit dem Ehrenkranz. Statt seiner steht der Gießener Zoologieprofessor Carl Vogt als Wortführer im Zentrum der Darstellung.

Die Schwierigkeiten, denen sich die Verfassunggebende Nationalversammlung gegenüber sah, wurden allerdings in der Zwischenzeit immer größer: Sozialrevolutionäre Gärungen ließen das Bürgertum vor dem "Gespenst des Kommunismus" zurückschrecken (vor allem seit dem Juni-Aufstand, der "Juni-Schlacht" der Pariser Arbeiter). Der Widerstand vor allem Österreichs gegen die Pläne für einen deutschen Nationalstaat wurde immer massiver, da dieser Nationalstaat den Vielvölkerstaat Österreich zerbrochen hätte. Vor allem aber war es die Schleswig-Holstein-Frage, die das Vertrauen der Nationalversammlung in die Bereitschaft der preußischen Regierung zur Zusammenarbeit entscheidend schwächte.

Als der Dänenkönig die dänische Verfassung in - zum Deutschen Bund gehörenden - Schleswig einführen wollte. folgte ein Aufstand der Deutschen und der Feldzug Preußens gegen Dänemark im Auftrag des Deutschen Bundes. Dieser wurde jedoch auf Intervention der Großmächte im Mai mit einem Waffenstillstand beendet.

"Wütender Angriff der Republikaner auf das in der Paulskirche versammelte deutsche Nationalparlament, 18. September 1848". Neuruppiner Bilderbogen, 1848, Lithographie, koloriert. Frankfurt/M., Historisches Museum. Aus der Ausstellung "Revolution der deutschen Demokraten in Baden", Karlsruhe (Kat.-Nr. 326)

Mit diesem Waffenstillstand verletzte Preußen sowohl die Weisungen des Reichsverwesers als auch das Votum der Nationalversammlung. Im Anschluss an eine Massenkundgebung in Frankfurt, die gegen die (notgedrungen) zustimmende Haltung der Nationalversammlung gerichtet war, kam es zu Barrikadenkämpfen, zu deren Niederschlagung die Nationalversammlung Bundestruppen zu Hilfe rief (18. September). Das schwächte ihr Ansehen bei den radikalen Demokraten weiter.

 

Unter den Beratungen zur Reichsverfassung nahm die Diskussion über die Grundrechte breiten Raum ein, die Würde, Gleichheit und die politischen Rechte der Menschen gesetzlich verankern wollte. Die Grundrechte, diskutiert in den Monaten Juli bis Oktober und im Dezember als Gesetz verkündet, sind die erste derartige Ausformulierung in Deutschland und bis heute vorbildlich für alle demokratischen Verfassungen in Deutschland.

Die gleichzeitig ausgearbeitete Reichsverfassung vom März 1849 vereinigte zentralistische (unitarische) mit föderalistischen und demokratische mit monarchischen Prinzipien.

Auch wenn die Arbeit der Nationalversammlung durch den Gang der politischen Ereignisse Stückwerk blieb, waren es doch gerade die Grundrechte, die ihre Wirkung bin in die heutige Zeit entfalteten.

"Die Grundrechte des deutschen Volkes". Adolf Schrödter (1805-1875). Lithographie, koloriert. Butzbach, Stadtarchiv. Aus der Ausstellung "Revolution der deutschen Demokraten in Baden", Karlsruhe. Kat.-Nr. 245

Die Errichtung eines deutschen Nationalstaates warf besonders in zwei Fällen Probleme auf: Zum einen beantragte Preußen, seine polnischen Gebiete mit in den deutschen Bund und damit in den neuen deutschen Nationalstaat aufzunehmen. Dagegen sprachen sich die Linken in der Nationalversammlung aus, die Polen dasselbe Recht auf nationale Selbstbestimmung zusprechen wollten.

Die nationale Frage bot auch in der Diskussion, ob Deutschland "großdeutsch", d.h. mit, oder "kleindeutsch", ohne Österreich gebildet werden solle. Die großdeutsche Lösung ließ sich nicht mit dem Fortbestand der österreichischen Monarchie vereinbaren, und die Einbeziehung beider Großmächte in ein neues Deutschland konnte dieses nur mit deren gegenseitiger Rivalität belasten. Daher zeichnete sich bald die kleindeutsche Lösung als einzig praktikable ab.

Die Nationalversammlung einigte sich mit 290:248 Stimmen auf die kleindeutsche Lösung.

Das Verfassungswerk der Paulskirche sollte mit der Wahl des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. zum Deutschen Kaiser am 28. März gekrönt werden.

Der deutsche Michel verteilt die deutsche Pastete. Karikatur auf eine Rede Arnold Ruges in der Polen-Debatte der Nationalversammlung am 26. Juli 1848.

Der deutsche Michel verteilt die deutsche Pastete. Karikatur auf eine Rede Arnold Ruges in der Polen-Debatte der Nationalversammlung am 26. Juli 1848.
Mannheim, Reiss-Museum, Aus der Ausstellung "Mit Zorn und Eifer". Kat.- Nr. 91

"Die drei Souveräne". Vertrauensverlust der Nationalversammlung nach der Niederschlagung des Septemberaufstands 1848

Vertrauensverlust der Nationalversammlung nach der Niederschlagung des Septemberaufstands 1848

"Die drei Souveräne"

Im Neubaugebiet hinter dem Eschenheimer Turm sitzen ein Maurermeister, ein Maurergeselle und ein Lehrling und schauen einem Parlamentarier, der eben vorüberging, nach (ganz links im Bild).
Erster Souverain: Guck, das ist auch einer von dene Volksverräther auf der Rechte!
Zweiter Souverein: Den tät ich vor mei Lebe gern eins auswische!
Dritter Souverain: Ja wammer nur nit die verfluchtichte Preusse im Land hätte!

Katalog 1848. Aufbruch zur Freiheit Nr. 336-38

 

Die Nationalversammlung in der Paulskirche - die Kritik

Karikatur 1848 zum Verhältnis zwischen dem rechten und dem linken Lager in der Nationalversammlung

Die Kritik an der Nationalversammlung richtete sich gegen die mangelnde Kompromissbereitschaft zwischen dem linken und dem rechten Lager. Sie wird hier der "Kälte" der rechten und der "Hitzigkeit" der Linken zugeschrieben.

Die Karikatur von 1848 trägt die Erläuterung: "Vor Beginn der Verhandlung wird unter den Sitzen der äußersten Rechten ein tüchtiges Feuer angemacht, welches eine Stunde brennen muss. - Die Herren der äußersten Linken hingegen werden so lange mit Eiswasser begossen, bis sie so viel von ihrer Hitze verlieren, dass sie mit den nun warm gewordenen Herren der äußersten Rechten auf einem Grad von Wärme stehen."

Fliegende Blätter, Band VIII, Nr. 169 S. 8. Aus der Ausstellung "Mit Zorn und Eifer"

Die Parlamentarier tanzen nach der Flöte des Preußenkönigs und der Drehorgel des Reichsverwesers. Karikatur

Die Kritik an der Nationalversammlung richtete sich auch gegen die allzu willige Bereitschaft der Mitte, mit den Repräsentanten des alten Systems zusammenzuarbeiten und auf einen konservativ-liberalen Kompromiss hinzuarbeiten.

Die Karikatur von 1848 mit dem Titel "Hunds-Comödie" zeigt die Parlamentarier, voran den Sitzungspräsidenten Heinrich von Gagern, wie sie nach der Flöte des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm und der Drehorgel des Erzherzogs Johann von Österreich tanzen.

Lithographie von Ernst Schalck, datiert 12.8.1848. Mannheim, Reiss-Museum. Aus der Ausstellung "Mit Zorn und Eifer", Kat.-Nr. 98

Kritik an der Revolution. Karikatur

Die Kritik an der Revolution selbst kam vor allem von der linken, republikanischen Seite. Sie formulierte einerseits die Unfähigkeit, sich von Joch der Kleinstaaterei und des alten Systems zu lösen (links Waagschale), als auch die Notwendigkeit, durch militärische Mittel den Umschwung durchzusetzen (rechte Seite).

Druck & Verlag der Expedition der Caricaturen in Mannheim, 1848. Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim
Aus der Ausstellung "Mit Zorn und Eifer" , Katalog S. 77


Übersicht | 1. Liberale und Radikale | 2. Von Paris nach Mannheim | 3. Barrikadenkämpfe | 4. Vorparlament | 5. Heckerzug | 6. Nationale Stimmung | 7. Nationalversammlung | 8. Gegenrevolution | 9. Kaiserproklamation | 10. Volksaufstand | 11. Ende | 12. Nachleben |

im Detail:  
siehe auch: Die Frage um Verfassung und Kaisertum
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