Meisterwerke der gotischen Plastik
Durch sämtliche Bauphasen hindurch zeichnete
sich die Spulptur der Straßburger Münsterbauhütte durch eine
außergewöhnliche Dynamik und einen unerschöpflichen Erfindungsreichtum
aus. Vom ausgehenden 13. Jahrhundert bis zum Beginn des 15.
Jahrhunderts setzten die verschiedenen Werkstätten die neuesten
Ideen um oder übernahmen die Gestaltungsprinzipien anderer
großer zeitgenössischer Bauwerke.
Ecclesia
Straßburger Münster, Portal des Südquerhauses
Um 1230, Sandstein
195 cm
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Zwischen 1225 und 1235 arbeitet eine ungewöhnlich
innovative Werkstatt am südlichen Querhaus: Es entstehen zuerst
der obere Skulpturenschmuck des Südquerhauses und der Engelspfeiler,
dann die Tympana der beiden Südportale sowie die Statuen der
Ecclesia und der Synagoge beiderseits der Portale. Die beiden
Frauenfiguren, Allegorien der "siegreichen" christlichen und
der "unterlegenen" jüdischen Religion, gehören zu den herausragenden
Meisterwerken mittelalterlicher Kunst. Synagoge und Ecclesia,
Symbole von Triumph und Niederlage, sind Teil einer traditionellen
Symbolik, deren figürliche Umsetzungen sich ab der Mitte des
13. Jahrhunderts häufen. Links steht die, gekrönte Ecclesia
mit Kreuzesfahne und Kelch. Gelassen blickt sie zur Synagoge
hinüber, die ihren Kopf abwendet. Die Augen sind verbunden
als Zeichen für ihre Weigerung, in Christus den verheißenen
Messias zu erkennen. In den Händen hält sie eine zerbrochene
Lanze und die Gesetzestafeln, die ihr zu entgleiten scheinen:
damit wird angedeutet, dass das Alte Testament überwunden ist.
Ursprünglich waren Ecclesia und Synagoge beiderseits des -
heute nicht mehr vorhandenen - Königs Salomo aufgestellt, der
zwischen den beiden Portalen thronte und das Richtschwert hielt.
Die hochgewachsenen Figuren sind von großer
Menschlichkeit durchdrungen. Sie stehen für die kurze Zeit
künstlerischer Verfeinerung, die das Ende der Stauferherrschaft
auszeichnet. Die fließenden Gewänder, die die festen Körper
durchscheinen lassen, und die majestätische Haltung verweisen
auf die antike Plastik, deren Formensprache in der "staufischen
Renaissance" zu Beginn des 13. Jahrhunderts aufgegriffen wurde.
Auf die stilistische Nähe der beiden Figuren
zur Kathedrale von Chartres ist wiederholt aufmerksam gemacht
worden; sie wurden aber auch mit der burgundischen Skulptur
und der Kathedrale von Sens in Verbindung gebracht. Bildhauer
aus Sens seien nach Chartres gegangen - so die Theorie einiger
Fachleute -, von dort aus seien sie in den Burgund weitergezogen,
bevor sie sich schließlich in Straßburg niedergelassen hätten.
Andere Kunsthistoriker wiederum vertreten die Auffassung, dass
all diese Werkstätten gleichzeitig gearbeitet hätten. Des weiteren
wurde die dramatische Ausdruckskraft der beiden Figuren betont,
die sowohl auf französische als auch auf deutsche Vorbilder
verweisen.
Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts waren
die Statuen in das Museum gebracht worden, um sie vor schädlichen
Umwelt- und Witterungseinflüssen zu schützen. Am Münster sind
sie durch Kopien ersetzt worden. Weitere Informationen über
sämtliche Münsterplastiken, die im Museum ausgestellt sind,
können, im Internet abgerufen werden: www.musees-strasbourg.org
Ecclesia
Straßburger Münster, Portal des Südquerhauses
Um 1230, Sandstein
195 cm
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