Schwarzwald


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Volkskundliche Notizen

 
Badische Heimat 1937

[S.33] Während unten im Murgtal Großgewerbe aller Art, vor allem die Holz- und Eisenwerkarbeit, Kraftfahrwerke, die Eisenbahn, die Kraftwerkanlagen der Schwarzenbach-Murgtalelektrizität das ehemals so stille Land mit Lärm und Lebtag und Hast erfüllen, bleiben die Höhen der Natur verbunden, dem Bauerntum, den Waldleuten. Man sieht viele hochgewachsene Leute mit starken, knochigen Gesichtern „wie aus Holz geschnitten" in der Landschaft, auch Männer mit lockigen Andreas-Hofer-Värten durch die Waldwege gehen mit langen Schritten, die Axt auf dem Nucken. Und diese tirolisch anmutenden Männer, Einheimische, erweisen sich bei tieferer Nachforschung tatsächlich als Nachkommen eingewanderter Tiroler oder Kärntner.

Zimmer- und Holzplatz bei Bermersbach. Im Hintergrund am Hang die für das Murgtal typischen Heustadel. Bad. Heimat 1937 S. 46Die Industrie hat dem Murgtal und auch den Ortschaften, die in die Hänge und Tälchen abseits hineingeborgen sind, fremden Zuzug gebracht. Das hat wie überall dem Volkstum mehr genommen als gegeben, das ist nie und nirgends aufzuhalten.

Dem Volkscharakter und der Mundart nach sind die Bewohner des Ufgaus vorwiegend alemannisch geartet. Dem Schwäbischen zu schwäbeln sie halt mehr, und bei Rastatt vorne im Murgtal mischt sich das Fränkische ein. Zwischen Oos und Murg | [S. 34] liegt ohnedies die Mundartschwelle. In Lichtental heißt eine Nadel e Guf, eine böse Frau e bös Wiib, eine Maus e Muus. Iiewele, Grumbiire, Gugumere un Zwetschge gedeihen prächtig. Aber den Fingerhüten an der „Gäle Eich" schaukeln Pfifhölderle (Schmetterlinge), auch muß man dort achtgeben, daß man sich nicht in einen Haufen Klamhooge (Ameisen) setzt. Die Kinder dürfen im Sommer nach dem z'Obezehre noch ein wenig uf d'Gaß, und wenn es z'Obeläut, geben sie einander den Letschtdatsch. Wenn es wetterleuchtet, so heißt es: 's kühlt sie a. Hagelkörner sind Kitzelbuhne, der Mund ist allemal e Muul oder e Labb. Im Haus wohnen noch Huuslitt. Die Feuerwehr wird alarmiert, und die Nachbarin berichtet: „Sie hän gsait, daß es in der Stadt, in der Schübestroß, arig brenne dät." Braut und Bräutigam heißen Hochzeiter und Hochzeitere, aber auch Hochzitter und Hochzittere. Wenn man die Kinder bedrohen will, so ruft man ihnen zu: „Mei, der Nachgrabb holt di. I setz der jetzt glei der Kopf zwische d'Ohre." Oder: „Hit Nacht musch zur Stroof barfießig ins Bett." Wer duckmäusig ist, dem wird gesagt: „Mach nit so dumm wie e Klosterhutzel." Es heißt aber auch: „Die isch wunderfitzig wie e Klosterhutzel."

Das ganze Oostal entlang wird ähnlich gesprochen in niederalemannischer Art, die in Oos und Scheuern und Balg noch wuchtiger und gedehnter und auch mit größerem Wortschatz in Übung ist. Gegen den Rhein zu, in Sinzheim zum Beispiel, nähert sich die Mundart dem Hanauerischen. Auch die Rheindörfer Plittersdorf, Ottersdorf, Söllingen, Wintersdorf berühren in vielem das westliche Geschwister im Elsaß.

Im Hinteren Murgtal klingt das Schwäbische an. Die Dörfer zeigen in ihrer baulichen Anlage keine auffallenden Besonderheiten. Sie machen nicht den kennzeichnenden einheit- | [S. 35] lichen Eindruck wie die Siedlungen des Renchtales etwa. Das Fachwerkhaus herrscht vor in dieser holzreichen Gegend. In Langenbrand, in Weisenbach, in Schönmünzach und Raumünzach, im Holzmacherdorf Kirschbaumwasen wird ein rauhes Alemannisch gesprochen. Die Kinder singen einen hübschen Beschwörungsvers beim geduldigen Pfeifenklopfen:

Ziff, zaff, ziide,
Schlange in de Wiide (Weiden),
Krodde in de Bäch,
Daß mei Päberle nit verbrech.

Das muss „ub'raffelt", das heißt unbeobachtet und unbesprochen geschehen. Zu den Himbeeren sagen sie in alter Form die Hindlbeere. Sie gehen in d'Schuel mit dem Buech. Hand wie die Mehrzahl Hände bezeichnen sie mit Häng.

In den Murgtalgemeinden ist die Festesfreude nicht sehr brauchtumhaltig vertieft. Nur bei den Hochzeitsfeiern hat sich eine gewisse Überlieferung erhalten; auch sie wurde sehr selten. Früher wurde meist erst nachts der Hochzittere und dem Hochzitter der Hochzitsmaie in die festliche Stube getragen, und die Mädchen brachten Geschenke dar, mit langen Gedichten überreicht, dabei auch eine verdeckte Suppenschüssel, die der Hochzitter öffnen musste. Sie war mit Kindlessachen gefüllt. Erst wenn der Hochzeitsmaien überreicht war, durfte das Paar sich entfernen. An manchen Orten wurde der Maien auch früher, etwa beim Beginn des Mahles, überreicht. |

Kohlenmeiler bei Raumünzach. Bad. Heimat 1937 S. 44
Kohlenmeiler bei Raumünzach. Bad. Heimat 1937 S. 44
Bild oben: Zimmer- und Holzplatz bei Bermersbach. Im Hintergrund am Hang die für das Murgtal typischen Heustadel. Bad. Heimat 1937 S. 46

[S. 36] Von der Tracht hört man nichts mehr. Es gibt zwar noch alte Leute, die zu berichten wissen, dass in ihrer Jugend ein alter Bauer noch mit dem langen Zwilchrock und dem Nebelspalter in die Kirche gegangen sei. Die Frauen trugen einstmals kleine Spitzen-Hauben mit breiten Bändern und einen kurzen Kittel, bis auf die Hüfte reichend, der im Rückenteil nach unten spitz auslief; sie nannten ihn den Schnäwelesmutzen. Den Halsausschnitt deckte ein Dreiecktuch aus Seide. Die Männer gingen in starken, hirschledernen Kniehosen, langen Strümpfen, scharlachroten Westen, langen blauen Tuch- oder schwarzen Samtröcken mit stehenden Kragen und dreieckigen Hüten. Diese bäuerliche Mannstracht beherrschte das ganze Murgtal wie die Rheingegend. Es war die übliche Bauernkleidung überhaupt. Sie ist längst völlig abgelegt worden. Am längsten wird sich, vorab für die Holzmacher, die Hirschlederne erhalten haben, ihrer Haltbarkeit wegen.

Fasnachtsbrauchtum wurde kaum mehr überliefert. In Horden brannte man noch Scheibenfeuer ab um die Jahrhundertwende als einziger Gemeinde im Murgtal. Es geschah drei Wochen vor Fasnacht. Der Scheibenberg in Horden lässt, wie andernorts auch (in Baden-Baden die steile Scheibenstraße), auf lange Überlieferung dieses Frühlingsbrauches schließen. Es wurde in Horden in den drei Wochen vor Fasnacht wöchentlich dreimal Scheiben geschlagen, und zwar war es zuletzt ein Vorrecht der Rekruten, dem inneren Sinn nach das alte Recht der mannbaren Jugend fortsetzend. |

[S. 37] In vielen Orten des Murgtales, aus Korden ist es uns besonders bekannt, wurden am 1. Mai die Brunnen bekränzt. Auch den Mädchen wurden Maien gestellt oder geschenkt, dagegen den Missliebigen Sägemehl vors Haus gestreut.

Als man noch im Winter am Spinnrad saß, war das „Stubengehen" im Brauch, und vor Weihnachten die Zehrnacht oder Sperrnacht, wo die Nacht hindurch gesponnen, gut gegessen und getrunken, gesungen und erzählt wurde. Da bekamen die Sagen ringsum ihr eigenes Leben, die von der Teufelsmühle bei Kaltenbronn, die vom Grafen Eberstein, vom Rockertweible, vom wütigen Heer; denn die Landschaft ist ungemein reich an Sagen, die von der Wildheit und Enge des Murgtales im oberen Lauf, von der Waldeinsamkeit in Felsen und Schluchten, von den verlassenen, heimlichen Wegen über die Höhen oder durch dunklen Tann, dem Toben der Wildwasser ihre meistens grausigen und schwermütigen Geschehnisse und Gesichter nährten. In der Christnacht banden manche Bauern die Obstbäume fest zu ihrem Segen. Die Frauen stellten das weit verbreitete Zwiebelorakel auf: Salz wird in zwölf Zwiebelschalen einer Frucht gestreut, und je nach dem Feuchtigkeitsgrad des Salzes soll das Wetter in dem Monat werden, für den eine Schale bestimmt war.

Wo ein Bienenvater starb, rüttelte man am Bienenstand. Wo die Hausmutter die Augen für immer schloss, wurde an die Essigflasche gerührt. Diese Sitten ruhen noch | [S. 38] heute, heimlicher als je geübt, im altbäuerlichen Volk und sind nicht nur im Murgtal verbreitet, sondern auch in der Rheinebene draußen, im Oos- wie im Albtal, ja, örtlich abgewandelt, im ganzen Reich, finden sie eigentlich ihre Übung und ihre tiefe Wurzel im naturhaften Glauben unserer Frühzeit. Eine Weisheit steckt stets darinnen, bisweilen auch die ewig unabänderliche Furcht des Menschen vor der Macht des Todes.

Um die Winterwende zieht der Pelznickel durch die Täler und Orte mit seinem Geleit, und danach, hinter dem Christfest her, wandern die singenden und heischenden drei Könige. Zum Pelznickel wird auch bisweilen Pelzemärtel gesagt.

Eine merkwürdige neuzeitliche Sagenbildung bewegt sich um den Tunnel der Murgtalbahn bei Forbach. Dort geistert ein Lehrer, der in die Felsen geriet und verunglückte. Nachts schreckt er als schwarzer Mann die Pferde, die mit Langholz das Tal herabfahren. Bisweilen fällt auch auf die Menschen, die in der Dunkelheit durch den Tunnel gehen, Sand, von seiner gespenstischen Hand gestreut.

Aus dem Mund eines alten „Kördemers" stammt die Schatzsage: „Ame Krizweg nachts am Zwölfe hen se emol welle christofle. Se hen en Kreis zöge un sin ni gstanne. Uf eimol isch „de Gott will is b'hüte" komme miteme Mühlstei ame Näzfade un hetenen üwerm Kopf rumglunkere losse. Wer üwer de Kreis nus isch, het Fang kriegt, wer's aber e Stund usghalte het im Kreis, het e ganze Hufe Geld kriegt."

Aus Hermann Eris Busse: Der Ufgau. Streifzug durch Landschaft und Volkstum. Badische Heimat 1937 S. 33 - 38

     

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