Mit Sicherheit war die wirtschaftliche Erschließung
des Murgtals und der Seitentäler im 13. Jahrhundert einer
der Standortfaktoren, der für die Gründung der Stadt
Gernsbach durch den Grafen von Eberstein ausschlaggebend war.
1488 wurde – wohl im Zug der weiteren Ausweitung des Holzhandels – eine
genossenschaftliche „Ordnung des gemeynen Holtzgewerbs
im Murgentall“ beschlossen, die in 41 Artikeln mit knapp
400 Einzelpunkten die Rechte und Pflichten der am Holzhandel
Beteiligten regelte. Kernpunkte waren das Rügerecht, die
Entscheidungsautonomie der Murgschiffer über Streitigkeiten
und Übertretungen in einer einmal jährlich stattfindenden
Zusammenkunft, sowie die Bildung einer Leitung durch vier „Hauptschiffer“.
An die Stelle der Waldnutzungsrechte, mit denen die Murgschiffer
im Mittelalter von ihren Landesherren, den Grafen von Eberstein
und den Markgrafen von Baden, belehnt wurden, trat gegen Ende
des 15. Jahrhunderts der Erwerb von eigenem Grundbesitz durch
die Genossenschaft. 1569 verkaufte Philipp II. von Eberstein
seine Sägemühlen und seine Wälder an die Murgschifferschaft,
um seine Schulden begleichen zu können. Auch Philipp II.
von Baden-Baden verkaufte der Murgschifferschaft große
Waldflächen, um den Umbau des Neuen Schlosses in Baden-Baden
zu finanzieren.
Ab der Mitte des 16. Jahrhunderts die Murgschifferschaft nicht
mehr durch vier, sondern nur noch durch einen einzigen Hauptschiffer
vertreten. Von 1587 bis zu seinem Tod 1615 hatte Jakob Kast dieses
Amt inne, der damit über fast 30 Jahre ein staatliches Handelsmonopol
ausübte, den Reingewinn allerdings hatte er zur Hälfte
mit den Markgrafen zu teilen. Sein ältester Sohn Hans Jakob
Kast ließ das Wohnhaus der Familie in Gernsbach, das später
so genannte Alte Rathaus bauen, sein zweitältester Sohn
Philip Kast wurde Jakobs Nachfolger als Hauptschiffer. In seiner
Amtszeit beschlossen die Murgschiffer 1626 eine neue Schifferordnung,
die unter anderem Lohnerhöhungen für die Waldarbeiter
mit sich brachte.
Der Dreißigjährigen Krieg und die nachfolgenden Kriege
brachten einen lang anhaltenden Niedergang für den Murgtäler
Holzhandel, der sich erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts wieder
erholte. Allerdings lag jetzt das Hauptbetätigungsfeld der
Murgschiffer auf der Verarbeitung von Brenn- und Schnittholz,
für das die Nachfrage mit Beginn der Friedenszeit anstieg.
An der Flößerei großer Mengen von Langholz nach
Holland hatte die Murgschifferschaft keinen Anteil mehr, dieser
lag bei kapitalkräftigeren auswärtigen Gesellschaften.
Die bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts planlose Abholzung und
schrankenlose Waldweide führten zum Kahlschlag weiter Landstriche.
Im Jahr 1814 war nur noch ein Viertel des Schifferwaldes mit
verwertbaren Bäumen bewachsen. Bis 1833 wurden die Flächen
auf der Grundlage der Badischen Forstgesetze, die Nachhaltigkeit
forderte, mit Fichten, Tannen und Kiefern neu bestockt.
Im Zug der Industrialisierung und der weiteren Nutzung der Wasserkraft
der Murg als Energiequelle wurden die Sägemühlen der
Murgschifferschaft modernisiert und zu Holz- und Papierfabriken
weiterentwickelt. Die Schifferschaft unterstützte 1857 die
Gründung der Bezirkssparkasse Gernsbach und verzinste die
Einlagen. Kassier und Verwaltungsratsvorsitzender waren Murgschiffer,
die Sparkasse eröffnete im Büro der Murgschifferschaft.
Insbesondere der Verwaltungsratsvorsitzende der Murgschifferschaft,
der Reichstagsabgeordnete Casimir Rudolf Katz, war maßgeblich
an der Industrialisierung des Murgtals beteiligt. Auf ihn geht
der Bau der Bahnlinie der „Murgthal-Eisenbahn-Gesellschaft“ zurück,
deren Gesellschafterin die Murgschifferschaft war und deren erster
Abschnitt von Rastatt nach Gernsbach 1869 eröffnet wurde
und von der Schifferschaft finanziert worden war. Die Eisenbahn
verdrängte bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts nach und
nach die Flößerei auf der Murg. Ende des 19. Jahrhunderts
ordnete die Murgschifferschaft ihre Innenverhältnisse neu
und teilte das Gemeinschaftseigentum in 100.000 veräußerliche
Waldrechte auf. Der badische Staat kaufte in den folgenden Jahrzehnten
nach und nach Anteile und wurde zum Mehrheitseigentümer.
Diese Anteile hält heute das Land Baden-Württemberg.
Die Murgschifferschaft ist heute eine "altdeutsche Genossenschaft
des privaten Rechts" (altrechtlicher Verein). Der Wald der Murgschifferschaft mit
einer Fläche
von ca. 5450 ha hat
als Gemeinschaftswald die Rechtsstellung eines Körperschaftswaldes (§ 88
Abs. 5 Landeswaldgesetz). ( Landtagsdrucksache
12/5919)
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