Der
Sonnenmythos
Die
Menschen der Bronzezeit in Zentraleuropa haben fast jede
bildliche Darstellung vermieden. Das einzige Bildmotiv ist
das Symbol des großen Wasservogels, dargestellt unter anderem
auf Bronzegefäßen und prächtigen vierrädrigen Wagen. Im
Leben der Menschen spielten diese Bilder mit Sicherheit
eine besondere Bedeutung. Auf Grund von fehlenden schriftlichen
Überlieferungen ist allerdings wenig über diese rätselhafte
Motivik sowie über die Gedankenwelt und Glaubensvorstellungen
der Menschen bekannt. Will man der Gedankenwelt näher kommen,
muss man den Umweg über die wenigen Nachbarkulturen, die
nicht bildablehnend waren, nehmen: Aus dem Nordischen Bronzezeitkreis
in Südskandinavien und Norddeutschland ist eine reiche Bilderwelt
überliefert. Auf bronzenen Rasiermessern erscheinen oft
Bilder, die als die unterschiedlichen Stadien einer Reise
der Sonne bei Tag und bei Nacht gedeutet werden können.
Hierbei wandert die Sonne auf einem Schiff durch den Tag
und die Nacht, abwechselnd begleitet von einem Pferd, einer
Schlange und einem Fisch. Diese Reise der Sonne ist auch
auf der berühmtesten bildlichen Darstellung des Nordens
zu beobachten, dem so genannten Sonnenwagen von Trundholm
aus der Zeit um 1350 vor Christus. Das Exponat aus Dänemark
zeigt eine Sonnenscheibe, die von einem Pferd gezogen wird.
Zieht das Pferd nach rechts, erscheint die vergoldete taghelle
Seite der Sonnenscheibe, zieht das Pferd nach links, zeigt
sich die nachtdunkle Seite der Scheibe ohne Gold.
Die nordische Vorstellung der täglichen Sonnenreise entspricht
weitgehend dem altägyptischen Mythos von der Schifffahrt
der Sonne durch die Ozeane des Tages und der Nacht. Sie
war also vom Vorderen Orient bis Nordeuropa verbreitet.
Es ist daher wahrscheinlich, dass auch die bronzezeitlichen
Menschen Zentraleuropas diese Vorstellung kannten.
Sie
haben den Mythos der Sonnenreise, in ein einziges Symbol
zusammen gefasst: der so genannten Vogel-Sonnen-Barke. Das
Symbol zeigt zwei Entenvögel, deren Köpfe den vorderen und
hinteren Steven eines Bootes bilden, das die Sonnenscheibe
trägt. Dieses Symbol ziert unter anderem Zeremonialwagen
und wertvolle Bronzegefäße, zum Beispiel auf dem großen
Bronzegefäß aus dem Grab von Unterglauheim.
Die
Verehrung von Sonne und Mond als den Gestirnen, die die
Ordnung von Zeit und Welt vorgeben, spiegelt sich auch in
der großen Goldschale wider, die bei Zürich-Altstetten gefunden
wurde. Auf dieser Schale, der bis heute schwerste Goldfund
der Schweiz aus vorgeschichtlicher Zeit, sind zwei umlaufende
Kränze aus Sonnenscheiben und sichelförmigen Monden dargestellt,
zwischen denen sieben Tiere zu sehen sind.
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