Germain Muller verdient zumindest zwei Superlative: Im Elsass
der Nachkriegszeit war er der bedeutendste Theaterautor und der
größte Schauspieler. Zwischen beiden besteht ein Zusammenhang.
Vor dem Hintergrund der besonderen Lage, in der sich das Elsass
nach dem Krieg befand, gab sich Germain Muller mit dem Dialekttheater
ein Ausdrucksmittel, das es ihm gestattete, die an Widersprüchen
reiche Geschichte der Region, von der sein eigener Lebensweg
zutiefst geprägt war, zu thematisieren und zu bearbeiten.
Germain Muller wurde am 11. Juli 1923 geboren. Sein Vater Louis
war Denkmalpfleger, seine Mutter Augustine Tochter eines Grundschullehrers
und Postangestellte. Mullers Vorfahren stammten aus beiden elsässischen
Departements, dem Haut-Rhin und dem Bas-Rhin – „eine
Mischung, die bekanntermaßen die besten Ergebnisse zeitigt.“(Raimond
Matzen) Der junge Germain begeisterte sich für Literatur
und den populären französischen Sänger Charles
Trenet.
Schon im Alter von 14 Jahren gab er in den Sendungen von Radio
Strasbourg originelle Lieder und Sketche zum Besten. In dieser
Zeit schrieb er sich auch in den Schauspielkurs des Straßburger
Conservatoire ein (und machte sich dafür älter).
Germain Muller 1948, in den Logen des Théâtre
du Cercle. © Archives Germain Muller / Mario
Hirlé
Im Zuge der Räumung Straßburgs im September 1939
wurde Germain Muller mit seiner Familie in die Dordogne evakuiert,
wo er erstmals ein eigenes Stück inszenierte („Ah!
Les beaux jours!“). Nach dem Waffenstillstand kehrte er
1940 in das von den Nazis besetzte Elsass zurück. Es begann
eine Zeit der Instabilität, die ihn genau wie seine Zeitgenossen
stark prägte. Er schrieb sich an der Karlsruher Theater-
Akademie ein und erhielt etwas später ein Engagement als
Schauspieler in Würzburg. 1943 wurde Muller in die Wehrmacht
zwangsrekrutiert, konnte aber in die Schweiz flüchten. Dort
gründete er im Militärinternierungslager ein Schauspielensemble
und begegnete dem berühmten Schweizer Kabarettisten Alfred
Rasser, der eine entscheidende Rolle für Germain Mullers
künstlerischen Werdegang spielen sollte.
Nach seiner Freilassung trat er der 1. Armee bei und marschierte
1944 unter dem Befehl von General de Lattre de Tassigny in Straßburg
ein. Gleich nach Kriegsende arbeitete er als Pressejournalist
für das Kriegsministerium und ging schließlich mit
seinem Freund Raymond Vogel zu Radio Strasbourg, wo er seiner
künftigen Frau Dinah Faust begegnete, mit er drei Kinder
hatte.
In diese Zeit fällt auch seine Begegnung mit dem jungen
Musiker und Komponisten Mario Hirlé. Mit ihm schrieb er
seinen ersten Hit, den „Steckelburjer Swing“. Ein
weiteres markantes Ereignis des Jahres 1945 war die von Germain
und Raymond organisierte erste Elsass-Tournee von Edith Piaf
und den Compagnons de la Chanson.
Im November 1946 gründeten Muller und Vogel in Straßburg
das Kabarett de Barabli, zu dem sie Alfred Rassers Kabarett „Kaktus“ inspiriert
hatte. In über 40 Jahren sahen jährlich mehr als 50
000 Zuschauer aus dem ganzen Elsass aber auch aus der Schweiz
und aus Deutschland die Aufführungen des Barabli.
Daneben war Germain Muller auch in anderen kulturellen Bereichen
wie Radio und Fernsehen tätig und saß von 1959 bis
1989 als Beigeordneter für Kultur im Stadtrat von Pierre
Pflimlin und von Marcel Rudloff. Er engagierte sich mit Leidenschaft
für die Öffentlichkeitsarbeit im Kulturbereich, für
das Theater, das städtische Orchester, Konzerte, die Tanzschule,
breitenwirksame Kulturveranstaltungen und Tourismus.
Als Freund und Vertrauter des Straßburger Oberbürgermeisters
Pierre Pflimlin trug Germain Muller maßgeblich dazu bei,
dass durch die damals sehr konservative Kulturszene ein frischer
Wind wehte, insbesondere in Sachen Bühnenkunst. Er zählte
zu den Initiatoren der Gründung der Opéra National
du Rhin, der Musik- und Kongresshalle, des Maillon-Theaters im
Stadtviertel Hautepierre, der städtischen Tanzschule. Auch
beim Erwerb von Nicolas de Largillières herausragendem
Gemälde „Die schöne Straßburgerin“ (Museum
für bildende Kunst) spielte er eine wichtige Rolle. Neben
seiner politischen Tätigkeit schrieb und spielte er weiter
für de Barabli.
Germain Muller 1954.
© Archives Germain Muller / Mario Hirlé
1992 erlitt er während der Uraufführung der Barabli-Revue
in Colmar einen Schlaganfall. Die Vorstellung ging weiter und
endete, ohne dass Germain auf die Bühne kam. Es sollte sein
letzte Revue sein. Er starb am 10. Oktober 1994 und wurde auf
dem Friedhof von Cronenbourg beigesetzt. Seither wird sein Grabstein
von einem roten Barabli (Regenschirm) beschützt.
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