Einen Schwerpunkt der Antikensammlung stellen die Objekte aus
der Sammlung des gebürtigen Stuttgarters und Industriellen
Ernst von Sieglin dar.
Ernst von Sieglin (1848–1927) wurde als Sohn eines Apothekers
in Stuttgart geboren. Nach dem Besuch des Eberhard-Ludwig-Gymnasiums
in Stuttgart und einer Ausbildung zum Kaufmann ging er nach England,
wo er gemeinsam mit dem Chemiker Richard Thompson die pulverisierte
Seife entwickelte. Wieder in Deutschland brachte ihm die Produktion
von „Dr. Thompson’s Seifenpulver“ ein beachtliches
Vermögen ein. Sieglin zog 1898 mit seiner Familie zurück
nach Stuttgart, wo er die Villa Weißenburg erwarb. Das
Teehaus und die Gartenhalle mit einem klassizistischen Marmorsaal,
die er dort erbauen ließ, zählen heute zu den beliebtesten
Ausflugzielen in der Landeshauptstadt. Der nach ihm benannte
Ernst-Sieglin-Platz befindet sich gegenüber dem Gelände
der Villa Weißenburg.
Ganz im Sinne des Mäzenatentums des ausgehenden 19. und
frühen 20. Jahrhunderts setzte Sieglin seinen Wohlstand
neben großem sozialem Engagement insbesondere auch für
die Förderung von Kunst und Kultur ein. Für seine Verdienste
wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil: So war er Ehrendoktor
und Ehrensenator der Universität Tübingen, darüber
hinaus gewährte ihm König Wilhelm II. von Württemberg
den Rang eines Geheimen Hofrates verbunden mit dem Personaladel.
Sieglin finanzierte unter anderem von 1898 bis 1902 Ausgrabungen
in Alexandria, deren eigentliches Ziel die Entdeckung des Grabes
von Alexander dem Großen war. Stattdessen führten
die Ausgrabungen jedoch unter anderem zur Entdeckung der mehrstöckig
unter der Erde liegende Nekropole von Kom-Esch-Schukafa, die
als bedeutendste römische Grabanlage Ägyptens gilt.
Zwischen 1909 und 1914 unterstützte er eine zweite Expedition,
die sich der Erforschung des pharaonischen Ägyptens widmete.
Dabei wurde unter anderem in Gizeh der Totentempel des Pharao
Chephren ausgegraben.
Zur Zeit der durch Ernst von Sieglin finanzierten Ausgrabungen
gehörte Ägypten zum Britischen Empire. Die damalige
Rechtslage sah vor, dass der Geldgeber einer Ausgrabung die Hälfte
aller Funde behalten durfte, die andere Hälfte verblieb
in Ägypten. Dank dieser Regelung zur Fundteilung konnte
Sieglin eine umfangreiche Sammlung an ägyptischen Objekten
der griechisch-römischen Zeit zusammentragen. Um diese zu
erweitern, erwarb er zusätzliche Objekte aus dem Kunsthandel
und kaufte andere Privatsammlungen auf. Seine Antikensammlung
stiftete er den Universitäten Tübingen und Leipzig
sowie dem Dresdner Albertinum. Einen großen Teil der griechisch-römischen
Objekte aus Ägypten machte er im Jahre 1906 dem württembergischen
König Wilhelm II. zum Geschenk, der diese 1907 wiederum
der Königlichen Staatsammlung Vaterländischer Kunst-
und Althertumsdenkmale, der Vorgängerinstitution des Landesmuseums
Württemberg, übergab.
Die einzigartigen, international bedeutenden Objekte aus der
Sammlung Ernst von Sieglins sind Hinterlassenschaften aus der
Zeit, als Ägypten unter griechischer und römischer
Herrschaft stand. Sie sind eindrucksvolle Zeugnisse des Austauschprozesses
zwischen der jahrtausendealten Tradition in Ägypten und
der griechischen und römischen Kultur. Damit belegen sie
die Vielfalt einer multikulturellen Gesellschaft. Zu Sieglins
Sammlung gehören unter anderem Marmorporträts Alexanders
des Großen oder Skulpturen von Göttern. Ein besonderes
Prunkstück ist der Kopf eines Würdenträgers aus
Basalt, mit einer für Ägypten untypischen Bart- und
Haartracht und einem Blütenkranz. Auf dem Rückenpfeiler
des Kopfes ist er in altägyptischer Art kahlköpfig,
bartlos und mit traditionellem Gewand vor den Göttern Horus
und Sachmet dargestellt. An diesem einzigartigen Stück wird
die Vermischung von griechischen und ägyptischen Elementen
besonders eindrucksvoll deutlich.
Der kulturelle Austauschprozess in Ägypten lässt sich
auch hervorragend an den sogenannten Mumienporträts beobachten.
Mumienporträts sind auf nur 1 bis 2 mm dicken Holztafeln
gemalte Bildnisse Verstorbener, die im römischen Ägypten
in den Kopfteil von Mumien eingebunden wurden. In ihnen verbinden
sich die Jenseitsvorstellungen und der Totenkult der gemischten ägyptisch-hellenistischen
Bevölkerung mit der römischen Bildnistradition.
Die Porträts gehören zu den eindrucksvollsten Bildnissen
der Antike. Seit Beginn ihrer Entdeckung faszinieren sie die
Betrachter. Aufgrund der klimatischen Bedingungen Ägyptens
haben sich die Tafeln samt ihrer Farbigkeit bestens erhalten.
Als im Jahre 1615 die ersten Mumienporträts gefunden wurden,
schrieb der römischer Edelmann Pietro Della Valle, sie seien „der
zierlichste Anblick der Welt“.
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