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Tankstelle in Tettnang (Bodenseekreis)

Die ersten Automobile wurden mit Kraftstoffen betrieben, die Apotheker, Drogisten, Kohlehändler oder Gastwirte bereithielten. Simple Pumpen standen dafür vor Läden oder Gasthäusern bereit. Erst seit den 1920er-Jahren bildete sich der Typus der Tankstelle heraus, eine neue Bauaufgabe, die sich infolge der zunehmenden Motorisierung ebenso rasch weiterentwickelte. Die baulichen Zeugnisse, selbst wenn sie hie und da durchaus architektonischen Ansprüchen genügten, hatten selten längeren Bestand. Der Veränderungsdruck war angesichts technischer Vorgaben, Sicherheitsauflagen und sich wandelnden Geschäftsmodellen immer groß, und er ist es bis heute geblieben. Allenfalls bei Aufgabe der eigentlichen Nutzung besteht normalerweise eine gewisse Chance der Erhaltung.

So traut man fast seinen Augen nicht, wenn man an der Ravensburger Straße im oberschwäbischen Tettnang tatsächlich noch eine alte Tankstelle in Betrieb entdeckt. Und dass sie alt ist, macht ein Vergleich mit einer heute üblichen Tankstation in der unmittelbaren Nachbarschaft deutlich. Die Dimensionen wirken dagegen fast puppenhaft. Gerade einmal zwei Zapfsäulen stehen rechts und links einer Stütze, die sich nach oben erweitert und mittig eine profilierte, nach vorne abgerundete Kragplatte trägt. Sie überdacht nur eine einzige Autovorfahrt, deren geringe Durchfahrtshöhe hohe Lastwagen kaum zulässt. Wie das Dach so ist auch der darunter geschobene Kassenraum mit seinem abgerundeten Grundriss und dem charakteristischen, ebenso gerundeten Fensterband, dem weißen Anstrich über grauem Sockel und einem schmalen, über den Fenstern umlaufenden roten Streifen der Ästhetik des Neuen Bauens der späten Zwanziger Jahre verpflichtet.

Die Tankstelle ist 1950 nach einem Entwurf der „Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft“, hinter der der Esso-Konzern stand, errichtet worden. Ein ähnlicher Bau wurde etwa gleichzeitig in Friedrichshafen erstellt. Bauherr in Tettnang war Karl Dangel, der die Tankstelle bis zu seinem Tod 1972 betrieb. Schon um 1958 war seitlich eine Reifenwerkstatt und ein Lagerraum angebaut worden. Weitere Veränderungen, die das klare äußere Erscheinungsbild beeinträchtigten, sollten folgen. Im Inneren wurde eine Wand versetzt, um einen von hinten durch ein Fenster bedienten Imbissverkauf zu ermöglichen.

Trotz dieser Maßnahmen wurde der Bau 2000 als Kulturdenkmal ausgewiesen – gerade noch rechtzeitig, um Abbruchanträge der veralteten Anlage denkmalrechtlich ablehnen zu können. Es ist das Verdienst der Fritz Wahr Energie GmbH & Co. KG in Nagold, die insgesamt 21 MTB-Tankstellen betreibt und seit 2005 Eigentümerin des ungewöhnlichen Objekts ist, sich mit ihrem, dem üblichen Standard gewiss nicht entsprechenden Objekt angefreundet zu haben. Heute empfindet die Firma die Tettnanger Niederlassung als „unser Schmuckstück“. In Abstimmung mit der Denkmalpflege wurde die Tankstelle im Frühjahr 2016 vorbildlich saniert. Das Kragdach, das überraschenderweise keine Beton-, sondern eine Holzkonstruktion ist, wurde repariert. Die verunstaltenden Um- und Anbauten wurden unter Erhalt der Originalsubstanz zurückgebaut und das ursprüngliche Erscheinungsbild mitsamt der früheren Farbigkeit nach Befund wieder hergestellt. Somit ist es das Verdienst des Eigentümers, ein rar gewordenes Dokument der Verkehrsgeschichte des 20. Jahrhunderts in ursprünglicher Form und Funktion weiterzutradieren.

© Text: Schwäbischer Heimatbund 2016
© Bilder: Preisträger (obere beiden), Ulrich Graef (unten)

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