Sich selbst abzubilden oder den Menschen in einem symbolischen
Zusammenhang darzustellen, ist ein wichtiger Schritt in
der kulturellen Entwicklung der Menschheit. Damit beginnt
der anatomisch moderne Mensch vor 40.000 Jahren. Diese
Entwicklung läutet die kulturelle Zeitenwende zur
Jüngeren Altsteinzeit in Europa ein. Schon davor sind
auf anderen Kontinenten und in wesentlich älteren
Fundstellen Menschenfiguren bekannt. Doch diese Objekte
sind natürlich entstandene Gesteinsformen, die zufällig
Menschen ähneln. Diese Zufallsprodukte wurden von
den damaligen Menschenarten aufgesammelt und in den Siedlungsplatz
mitgenommen.
Etwas ganz anderes ist es, aus Stein, Elfenbein oder Lehm
eine Figur zu formen oder zu schnitzen und damit selbst
das Aussehen zu bestimmen. Die Venus vom Hohle Fels steht
am Anfang dieses großen schöpferischen Schrittes.
In der eiszeitlichen Bilder- und Figurenwelt sind reine
Portraits äußerst selten. Viel eher wird der
Mensch im Gegensatz zu den detail- und naturgetreuen Tierdarstellungen
stark abstrahiert. Individualität und persönliche
Präsentation war nicht Ziel der Kunst. Vielmehr sind
die Menschen Teil eines symbolischen Codes. In der Regel
sind die Menschen nackt dargestellt und eindeutig einem
Geschlecht zuzuordnen. Seit Anbeginn der Kunst stellt der
Mensch auch seine eigene Sexualität dar. Dabei unterscheidet
sich die Darstellung von Fruchtbarkeit von der sexueller
Handlungen. Sex und Fruchtbarkeit gehörten für
den eiszeitlichen Menschen sicherlich zusammen. Jedoch
sind die Abbildungen von Mutterschaft oder Kindern sehr
selten. Während der Ausdruck von Erotik und auch Pornografie
ganz deutlich in die Wände geklopft wurden.
Der Ausstellungsraum "Weiblichkeit"
Die Blütezeit der Venusfiguren in der Jüngeren
Altsteinzeit fällt in die Technikkultur des Gravettien.
Zwischen 28.000 und 23.000 Jahren vor heute zieht sich
der so genannte Statuettenhorizont durch Europas Fundstellen.
Von Sibirien bis Südfrankreich sind etwa 200 Figuren
und Teilstücke vergangener Exemplare entdeckt worden.
In der Regel verfügen diese Frauengestalten über
keine individuellen Gesichtszüge. Ebenso fehlen die
Füße. Die Beine sind verkürzt und laufen
stumpf aus. Hände und Arme sind zwar meist detaillierter
ausgearbeitet, jedoch in der Regel verkümmert.
Ganz klar werden hingegen die Geschlechtsmerkmale der
Frau herausgestellt. Übergroße Brüste,
Schamlippen und Gesäß fallen sofort ins Auge.
In der später folgenden Kultur des Magdalénien,
etwa von 18.000 bis 12.000 Jahren vor heute, bestimmen
weiterhin Frauen das künstlerische Bild als Statuette
oder Wandkunst. Doch die Gestaltung unterläuft eine
extreme Wandlung. Die weibliche Figur wird reduziert auf
eine Linie mit Auswölbung für das Gesäß und
teils für die Brust. Kopf, Arme, Füße,
Individualität fehlen völlig.
Hinter diesem neuen Gestaltungsprinzip steckt sicher eine
neue Sichtweise auf die Weiblichkeit und auf die rituelle
Rolle der Darstellungen. Während Tiere in allen Details
wiedergegeben werden, wirkt das Bedürfnis zur Abstraktion
des Menschen wie das Befolgen eines Tabus. Die abstrakte
Form scheint angemessener zu sein, etwas schwer in Worte
zu fassendes, etwas Rituelles und Transzendentes auszudrücken.
Die Mittelsteinzeit ist ein relativ kurzer zeitlicher
Abschnitt zwischen Altsteinzeit und Jungsteinzeit. Die
Anfänge liegen in Europa bei etwa 9.000 v. Chr. Der Übergang
zur Jungsteinzeit liegt in Mitteleuropa bei rund 5.800
v. Chr. Im Verhältnis zur Altsteinzeit handelt es
sich also um einen relativ kurzen Kulturabschnitt. Die
Jäger und Sammler mussten auf eine sich stark verändernde
Umwelt reagieren. Mit dem Ende der Eiszeit beginnt die
Wiederbewaldung Europas. Die eiszeitlichen Tiere, wie Rentier,
Wollnashorn oder Mammut, wandern in kältere Regionen
ab oder sterben ganz aus. Das Leben beruht nun auf einer
neuen Nahrungsgrundlage und neuen Rohstoffen. Werkzeuge,
Jagdtechniken, saisonale Wanderbewegungen – alles
ist im Wandel begriffen. So verändert sich auch stark
die rituelle und kultische Welt der letzten Jäger
und Sammler. Vollplastische Menschendarstellungen verschwinden
fast vollständig. Es sind vor allem Felsbilder überliefert,
die die Tierwelt und Menschengruppen zeigen. Meist sind
dabei männliche Jagdgruppen oder sammelnde Frauen
erkennbar. Erstmals sind auch kriegerische Auseinandersetzungen
zwischen Menschen dokumentiert. Ein Hinweis auf eine rituelle
Bedeutung von Frauen verschwindet in der mittelsteinzeitlichen
Kunst fast völlig. Wenn sie auf den Felsbildern als
weiblich zu erkennen sind, dann arbeiten sie.
Die Grenze zwischen der Mittelsteinzeit und der Jungsteinzeit
kennzeichnet einen der folgenschwersten Einschnitte in
die wirtschaftliche Entwicklung der Menschheit. Aus Jägern
und Sammlern werden sesshafte Bauern. Die Lebensweise ändert
sich von Grund auf. Dies hinterlässt auch massive
Umbrüche im geistigen und kulturellen Leben. Das Zusammenleben
in den neu gegründeten Dörfern und Städten
muss geordnet werden. Spannungen und Konflikte können
nicht mehr durch ein Auseinandergehen der Gruppe gelöst
werden. Neue Sozialstrukturen und Rituale helfen dabei.
Nachdem die Frauenstatuetten während der Mittelsteinzeit
verschwanden, sind sie jetzt wieder präsent. Archäologische
Zusammenhänge belegen, dass die Figuren nun in erster
Linie als Gestalt gewordene Urmütter dienen. Sie sind
nicht, wie die griechischen Göttinnen, einzelnen Aufgabenbereichen
zugeordnet. Sie präsentieren viel eher Ahnengestalten.
Es besteht bei den jungsteinzeitlichen Statuetten oft ein
eindeutiger Zusammenhang mit einem Totenritual.
Vieles deutet darauf hin, dass in diesen jungsteinzeitlichen
Gesellschaften eine Form des Matriarchats gelebt wurde.
Dies bedeutet nicht „Frauenherrschaft“ oder
das Gegenteil zu einem Patriarchat. Diese Gesellschaften
zeichnen sich vielmehr dadurch aus, dass sie ohne oder
nur mit wenigen Hierarchiestufen auskommen. Die Familien
und Gruppen sind um Frauen herum organisiert. Dies bezieht
sich auch auf die Abstammungslinie oder die Wohnsituation.
Die politische Struktur beruht auf der Konsensfindung.
Auch ist kein Privatbesitz bekannt, sondern alles gehört
der Sippe. Es wird angestrebt, zwischen den Besitzenden
einen Ausgleich und eine Gleichwertigkeit zu erzielen und
keine Reichtümer zu schaffen. Die Religion beruht
auf einem starken Ahnenglauben, der auch die Wiedergeburt
innerhalb einer Sippe vorsieht. Die Erde garantiert als
Urmutter die Ernährung aller.
Die jungsteinzeitlichen Frauenstatuetten sind meist aus
Ton geformt. Breite Hüften, kleinere Brüste und
schematisierte Gesichtszüge kennzeichnen meist den
Stil. Häufig ist die Geste der ausgebreiteten Arme
oder der gespreizten Beine. In Wandmalereien werden den
Frauenfiguren Tierbegleiter oder Pflanzen zur Seite gestellt. |