Straßburg 1220 - 1230 - Die gotische Revolution


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Die Ausstellung
 

Christus vom Tympanon der Marienkrönung (Detail). Straßburg, Münster, Südliches Querschiffportal, um 1220. In den letzten Jahren stand die gotische Kunst des 13. Jahrhunderts im Mittelpunkt mehrerer großer Ausstellungen. Insbesondere die Schauen in Magdeburg (2009), Naumburg (2011) und Paris (2014) leisteten mit umfassenden Katalogen einen wichtigen Beitrag zur Vertiefung unseres Wissens über die bedeutenden Kunstzentren der damaligen Zeit. Vor diesem Hintergrund soll nun auch neu bewertet werden, welche Rolle das Straßburger Münster bei der Verbreitung und Weiterentwicklung dieser von Frankreich ausgehenden Kunstströmung im Heiligen Römischen Reich zu Beginn des 13. Jahrhunderts spielte. In einer bemerkenswerten Untersuchung veranschaulichte Willibald Sauerländer bereits 1966 den Weg von Sens über Chartres nach Straßburg. Diese Arbeit kann heute im Lichte jüngerer Erkenntnisse fortgeführt werden. Man denke beispielsweise an die komplexe Beziehung zwischen der Straßburger und der Burgunder Plastik: während manche letztere als ein Bindeglied zwischen Chartres und Straßburg verstehen, sehen andere in ihr eine zeitgenössische oder sogar eine von Straßburg beeinflusste künstlerische Äußerung.

Bild: Christus vom Tympanon der Marienkrönung (Detail). Straßburg, Münster, Südliches Querschiffportal, um 1220.
Foto der 1. Hälfte des 20. Jh, © DRAC Alsace, Service des Patrimoines

Das Auftauchen des gotischen Stils in Straßburg kam einer Revolution gleich. Innerhalb einer Generation nahm die Stadt eine rasante Entwicklung und avancierte zu einem der bedeutendsten Zentren der künstlerischen Produktion. Die Goldschmiedekunst, die bereits zuvor von hoher Qualität war, nahm neue Einflüsse aus dem Moselraum auf, und es ist gewiss kein Zufall, dass gerade das Straßburger Siegel, mit dem der Stadt eine vom Bischof unabhängige Rechtshoheit zuerkannt wurde, davon zeugt.

Die noch romanisch geprägte Bauplastik des Münsters ist von eher bescheidener Qualität, das gotische Bildwerk ist dagegen einzigartig; und während beim Münsterbau die Kathedralen naher oder auch weiter entfernter Nachbarstädte wie Basel und Worms Pate gestanden hatten, ging von den Statuen des Straßburger Münsters in den folgenden drei Jahrhunderten eine nachhaltige Strahlwirkung aus. Ausgelöst wurde diese Revolution vermutlich durch die Wahl eines Bildhauers, oder vielmehr eines Bildhauers und Baumeisters, der zuvor am Bau der Kathedrale von Chartres mitgewirkt hatte.

Marienkrönung am Südportal des Straßburger Münsters
Marienkrönung am Südportal des Straßburger Münsters

Allerdings sind diese Zusammenhänge in Historikerkreisen noch weitgehend umstritten, und zwar sowohl hinsichtlich der zeitlichen Abfolge und der Beziehungen zwischen den alten und den neuen Steinmetz- und Bildhauergruppen als auch in Bezug auf die genaue Bedeutung des Bildprogramms und die Kontakte zu anderen Bauhütten. Der Ausstellungskatalog bietet den bedeutendsten Fachleuten aus Frankreich und Deutschland die Gelegenheit zum Dialog und analysiert das Meinungsbild kritisch. Für die Forschung stellt er einen wertvollen Vorstoß auf dem Weg zu „vertretbaren Gewissheiten“ dar. Auch aus Sicht des breiten Publikums ist diese Bündelung anerkannter Fakten und neuer Erkenntnisse von Interesse: während die einen ihr Wissen vertiefen können, werden die anderen eine herausragende Periode des Straßburger Kunstschaffens entdecken.

Geburtsszene vom Lettner der Kathedrale in Chartres, 1220. Kalkstein. Chartres, Kathedrale Notre Dame
Geburtsszene vom Lettner der Kathedrale in Chartres, 1220. Kalkstein. Chartres, Kathedrale Notre Dame
© Région Centre-Val de Loire, Inventaire général, Mariusz Harmanowicz; Anna Guillen

Als Ausstellungort lag das Museum OEuvre Notre-Dame auf der Hand, denn in diesem der regionalen Kunst des Mittelalters und der Renaissance gewidmeten Haus werden mit Ecclesia und Synagoge die beiden Hauptwerke des Straßburger Meisters sowie mehrere andere Arbeiten aus der gleichen Werkstatt aufbewahrt. Damit richtet das Museum einmal mehr den Fokus auf jene Künstler und Epochen, die für die kunstgeschichtliche Entwicklung der Stadt von prägendem Einfluss waren.

Die Wiederentdeckung von verschollenen Werken des Meisters

Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Ausstellung wurde der Kopf des Heiligen Johannes wiederentdeckt. Die Figur des Evangelisten befand sich am Südportal des Münsters und fiel wie fast alle anderen Apostel der Gruppe dem Bildersturm der Französischen Revolution zum Opfer.

Das von alten Fotografien bekannte Fragment war bis in die 1920er Jahre in Straßburg und befindet sich heute in Privatbesitz. Für die Ausstellung wurde es freundlicherweise als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Es zeugt vom Facettenreichtum des Meisters und verdeutlicht die stilistische Nähe zur Burgunder Plastik. Aufgrund seiner handwerklichen Vollendung und der nuanciert gestalteten Gesichtszüge des Apostels darf das Stück als eines der ausgereiftesten Werke des Künstlers gelten.

Zu sehen sind ferner Arbeiten, die der Nachfolge des Meisters oder von ihm beeinflussten regionalen Künstlern zugeschrieben und trotz ihrer hohen Qualität aus Platzmangel im Depot des Museums aufbewahrt werden. Sehr gut veranschaulichen eine monumentale liegende Figur und das Fragment einer Statue mit langem, fließendem Gewand die nachhaltige Strahlkraft der Werkstatt des Meisters.

Neue Erkenntnisse über das Münster

Im Zusammenhang mit dem Ausstellungsprojekt wurde die polychrome Bemalung der Figuren des Engelspfeilers sowie von Ecclesia und Synagoge eingehend untersucht. Dadurch konnten neue Erkenntnisse über das ursprüngliche Aussehen dieser Plastiken gewonnen werden. Neue Hypothesen über den Ablauf der Bauarbeiten und die Arbeitsaufteilung unter den Steinmetzen wurden im Ergebnis eines Vergleichs der Steinmetzzeichen aufgestellt, der mit Unterstützung der Fondation de l’OEuvre Notre-Dame vor Ort erfolgte.

Insgesamt ergaben sich bei der Vorbereitung der Schau mehrere bisher unbekannte Aspekte über das Münster und seine Errichtung.

     

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