Die
Große Landesausstellung 2010 stellt in sechs Abteilungen
die Musikproduktion und Musikpflege in Baden-Württemberg
vor. Der zeitliche Bogen reicht von der aktuellen Musikproduktion
im Land bis zu den Minnesängern des Mittelalters.
Vereinzelt
weisen wertvolle archäologische Objekte
jedoch weit in die Vergangenheit, etwa auf die Anwesenheit
der Römer oder die jüngst bei Blaubeuren entdeckten
eiszeitlichen Knochenflöten, die etwa 35.000 Jahre
alt sind.
1. Der Eingangsbereich der Ausstellung konfrontiert die
Besucherinnen und Besucher mit Klang im Alltag. Musik und
Klänge begleiten heute uns in jeder Situation: Die
Klingeltöne der Handys, Musik im Computer (i-Pod und
mp3-Player gehören inzwischen zur Grundausstattung
der Kinderzimmer), Musik im Aufzug oder der Warteschleife
beim Telefonieren und auch die Werbe- und Filmindustrie
kann auf den „internationalen Botschafter Musik“ längst
nicht mehr verzichten.
Dieser modernen Vielfalt stehen die klanglichen Angebote
der vergangenen Jahrhunderte gegenüber: Glocken auf
Rathäusern warnten die Bewohner vor Feuer und Gefahr,
Kirchenglocken sowie Türmer und Nachtwächter
mit ihren Signalinstrumenten regelten den Tageslauf. Ein
spätmittelalterliches Signalhorn aus Ton, das meist
von Pilgern benutzt und 1983 in Pforzheim gefunden wurde,
ist eines der wertvollen Exponate dieser Abteilung. In
einem Hands-on-Bereich können hier die Besucher verschiedene
Formen musikalischer Kommunikation erproben.
2. Die zweite Abteilung zeigt Musik
und Ritual, d.h. die
Rolle der Musik in der christlichen Kirche und in den jüdischen
Reform-Synagogen. Beide Bereiche waren seit dem ausgehenden
19. Jahrhundert eine enge Verbindung eingegangen.
Die Herrschaft der Nationalsozialisten beendete das vielerorts
furchtbare Zusammenwirken abrupt. Das Themenspektrum in
diesem Bereich reicht von den überkonfessionellen
Gospelchören und Hits wie Martin Gotthard Schneiders
Danke, für diesen guten Morgen, das „Die Ärzte“ 1998
erfolgreich in eine Popfassung brachten, bis zur Kirchenmusik
des Mittelalters. Vor allem wertvolle Handschriften wie
ein 1511 für das Kloster Lorch entstandenes Chorbuch
mit prächtigen Illustrationen liefern Einblicke in
eine vergangene Welt, sinnfällig ergänzt durch
die wertvollen Objekte der ständigen Ausstellung „Hochmittelalter“ des
Badischen Landesmuseums, wie beispielsweise das Petershausener
Portal.
Neben der kirchlichen Musikpflege widmet sich diese Abteilung
auch dem Orgelbau, dessen führende Köpfe seit
Jahrhunderten im deutschen Südwesten zu Hause sind.
Namen wie Karl-Joseph Riepp in Ottobeuren, Georg Marcus
Stein in Durlach oder Eberhard Friedrich Walcker in Ludwigsburg
waren im 18. und 19. Jahrhundert weit über die regionalen Grenzen hinaus
bekannt und stehen bis heute für eine qualitativ hochwertige
Orgelkultur. Anhand von persönlichen Dokumenten Eberhard
Friedrich Walckers, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts
den Orgelbau durch technische Entwicklungen und eine strikte
Arbeitsteilung revolutionierte und weltweit tätig
war, wird der Aufstieg dieses schwäbischen Tüftlers
nachgezeichnet. Dass auch heute innovative Instrumente
auf höchstem technischem Niveau im Ländle entstehen,
wird durch die Alpirsbacher Orgelskulptur von Claudius
Winterhalter deutlich, die im Dezember 2008 in der romanischen
Klosterkirche eingeweiht wurde und durch einen ausgeklügelten
Einsatz von Luftkissen im Raum verschiebbar ist.
3. Die Abteilung Konzert widmet sich den unterschiedlichen
Formen musikalischer Darbietungen in Konzertsälen,
Hallen oder Stadien. Von Klassik über Jazz bis Pop
und Rock ist hier alles vertreten, wobei Radio und Fernsehen
eine nicht unbedeutende Rolle zukommt, denn hier werden
Stars gemacht. Eine Inszenierung erinnert an die Samstagabend-Unterhaltung
des Süddeutschen Rundfunks Stuttgart mit eigens gefertigten
Kostümen von Caterina Valente. In welchem Rahmen Konzerte
im 19. Jahrhundert stattfanden, welche Werke erklangen
und wer musizierte ist Gegenstand dieser Abteilung, die
sich auch der Musikpflege an den Adelshöfen vom 16.
bis 18. Jahrhundert widmet. Dass bedeutende Regenten wie
Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz selbst musizierten,
zeigt ein 1757 von Johann Georg Ziensis gefertigtes Porträt:
Wir sehen den Kurfürsten in seinem Schwetzinger Arbeitszimmer
mit einer kurz zuvor in Paris erworbenen Flöte von
Thomas Lot, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen sein
wird.
Wie haben die Menschen im frühen Mittelalter musiziert,
wie hat die Musik geklungen? Dieser aufführungspraktischen
Frage widmet sich ein Exkurs um die 2001 in Trossingen
entdeckte Leier aus dem Grab eines Kriegers aus dem 6.
Jahrhundert. Aufgrund ihres ausgezeichneten Zustandes ist
sie ein herausragendes Exponat der Großen Landesausstellung.
4. Die Abteilung Innovation beschäftigt sich mit
dem Neuen in der Musik, versäumt es aber nicht, danach
zu fragen, was passiert, wenn die neue Musik altert.
So ist auch die Erzeugung elektronischer Musik in die
Jahre gekommen, wie Exponate aus dem Fundes der Heinrich-Strobel-Stiftung
des SWR zeigen, die seit den 1970er-Jahren bei den „Donaueschinger
Musiktagen“ Musikgeschichte (mit-) geschrieben haben
und mit Komponisten wie Karlheinz Stockhausen oder Luigi
Nono verbunden sind. Die aktuelle Produktion des Experimentalstudios
für akustische Kunst e.V. wird durch eine multimediale
Präsentation vorgestellt.
Was heute Donaueschingen, war für die internationale
Musikwelt des 18. Jahrhunderts die kurpfälzische Residenz
Mannheim. Wolfgang Amadé Mozart war hier, ebenso
wie Johann Christian Bach, der jüngste Sohn des berühmten
Leipziger Thomaskantors. Der Ruf der Mannheimer Hofkapelle
war legendär, was nicht zuletzt an den ausgezeichneten
Interpreten lag, die zugleich als Komponisten hervortraten.
Auch schillernde Figuren wie der berühmte Abbé Georg
Joseph Vogler lag, der als Musiktheoretiker, Orgelreformer
und praktischer Musiker von sich reden machte, sind in
der Ausstellung präsentiert.
5. Dem Themenbereich Musik
und Macht ist ebenfalls eine
eigene Abteilung gewidmet, die Musik als Legitimation von
Macht beleuchtet, aber auch nach Formen des Machtmissbrauchs
fragt. Vor allem die Trompeter und Pauker waren Ausdruck
adligen Standesbewusstseins und höfischer Macht: Je
mehr Trompeter ein Regent beschäftigte, desto höher
war sein Status und desto größer sein Ansehen.
Eindrucksvoll wird dieser Anspruch anhand von sechs Silbertrompeten
aus der damals führenden Nürnberger Werkstatt
Haas illustriert, die 1747 und 1775 für Kurfürst
Carl Theodor von der Pfalz insgesamt zwölf solcher
Silbertrompeten produzierte. Eine eigene Station ist der
Repräsentation durch Musik bei Fürstenhochzeiten,
etwa am Hofe des Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz
mit Elisabeth Stuart 1613 in Heidelberg gewidmet.
6. Die Abteilung
Weltliches Lied geht von der Vielfalt der Gattung aus,
die als politisches Lied (Vormärz oder Anti-Atomkraft-Bewegung),
als Wanderlied (etwa der Heidelberger „Zupfgeigenhansel“),
Kunstlied (Christian Friedrich Daniel Schubart) oder als
Minnesang begegnet. In einer Inszenierung wird die Arbeit
des Deutschen Volksliedarchivs Freiburg vorgestellt, das
seit fast hundert Jahren systematisch Lieder sammelt und
auswertet. Welche Bedeutung der Musikkultur im Allgemeinen
und dem Lied im Besonderen auch in Gefangenschaft zukommt,
zeigen außergewöhnliche Exponate wie heimlich
produzierte Instrumente aus dem Strafvollzug und ein Liederbuch
aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft.
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