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Golden Edition - Die Farben der Antike

Experimentelle Rekonstruktionen und neueste Erkenntnisse zur Farbigkeit antiker Skulptur

Das Farbenkleid einer antiken Skulptur erweiterte ursprünglich nicht nur ihr ästhetisches Erscheinungsbild und steigerte ihre Lebendigkeit, sondern lieferte dem antiken Betrachter wichtige Informationen zur Identifikation der dargestellten Person. Diesem Aspekt konnte sich die Forschung im vergangenen Jahrzehnt verstärkt widmen. Hierbei wurden nicht nur im Kontext der griechischen Großbronzen, sondern auch für zahlreiche Marmorskulpturen neue Deutungsvorschläge entwickelt. Der lebendige Umgang mit Farben war in der antiken Welt des östlichen Mittelmeerraumes selbstverständlich. Griechen und Römer färbten ihre Skulpturen jedoch nicht nur einfach ein. Vielmehr erweiterte die Farbgebung mit eigenständigen Mitteln die formale und erzählerische Struktur des Kunstwerks. Erst durch das Farbenkleid erreichten die Künstler die gewünschte Lebenskraft der Skulptur.

Blick in die Ausstellung mit der Grabstatue der Phrasikleia (um 520 v. Chr.)Experimentelle Farbrekonstruktion eines Kuros (Statue eines nackten jungen Mannes)In der Ausstellung lässt sich anschaulich nachvollziehen, dass die Farbgebung in der archaischen Epoche (650-480 v. Chr.) und auch in der Klassik (480-330 v. Chr.) bestimmten Konventionen unterworfen war. Gegenstände und Figuren wurden mit Farben wiedergegeben, die dem Naturvorbild ähnelten. Entsprach die Farbwahl nicht dem realen Vorbild, sollte sie vielmehr den Erzählgehalt unterstützen. Charakteristisch für die griechische Plastik der archaischen Stilperiode sind Standbilder, die einen nackten Jüngling (Kuros) oder ein reich geschmücktes Mädchen (Kore) zeigen. Solche Figuren, wie der Kuros von Tenea (Original: Griechenland, um 560 v. Chr., Marmor, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München), schmückten Gräber und Heiligtümer. Die generische Farbrekonstruktion aus dem Jahr 2015 trägt die erhaltenen Spuren und Details der Farbfassung verschiedener Jünglingsstatuen zusammen: Das Haar ist mit Bändern frisiert, Brust- und Schamhaar gleichen einem Ornament, der Ohrschmuck betont die aristokratische Herkunft. Die Farbwahl steht offensichtlich in ägyptischer Tradition, sowohl das Blau für die Angabe von Körperhaar als auch die hellbraune Hautfarbe, sind auf ägyptischen Sarkophagen und Reliefs zu beobachten.

Oben: Blick in die Ausstellung mit der Grabstatue der Phrasikleia (um 520 v. Chr.)

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Antike Schriftquellen berichten vom Farben- und Formenreichtum der Gewänder der nördlichen und östlichen Nachbarn, der die griechischen Künstler faszinierte. Besonders gut erhalten ist die farbenprächtige Kleidung des sogenannten Perserreiters von der Akropolis (Original: Athen, um 490 v. Chr., Akropolismuseum, Athen). Die in der farbigen Rekonstruktion von 2008/2019 mit Rauten verzierte Hose zeigt raffinierte Farbrhythmen in den kontrastreichen Farben Rot, Blau, Gelb, Grün und Braun, das Oberteil ist mit einem fantasievollen und komplexen Zungenornament überzogen. Dieser typische Kleidungsstil der nördlichen und östlichen Nachbarvölker wurde im Westgiebel des Aphaiatempels von Ägina um 480 v. Chr. benutzt, um einen knienden Bogenschützen schon von weitem für den Betrachter erkennbar zu machen. Die reiche Gewandornamentik des Perserreiters und des äginetischen Bogenschützen (Original: Griechenland, Ägina, um 480 v.Chr., Marmor, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München) zeugen von der großen Faszination der Griechen für die Trachten der Reitervölker, der Amazonen, Thraker, Skythen, Trojaner und Perser. Wie bunt die originalen Gewänder waren, zeigen Textilfunde aus den Kurganen von Pazyryk im Altai-Gebirge, die heute in der Eremitage in St. Petersburg bewahrt werden. Die dritte und neueste Rekonstruktion des Bogenschützen aus dem Jahr 2019 lehnt sich stärker an das Farbschema und die Verzierungstechniken dieser originalen Textilien an. Auch wurde das Phänomen der Goldpailletten übernommen, die sich an den Applikationen der skythischen Stoffe sehr gut erhalten haben.

Welche Bedeutung die Verzierungselemente der Gewänder für das Verständnis der dargestellten Figuren haben, verdeutlichen in der Ausstellung drei Rekonstruktionen von Frauenstatuen aus dem archaischen Athen: die Grabstatue der Phrasikleia (Original: Griechenland, um 540 v. Chr., Marmor, Archäologisches Nationalmuseum, Athen), die sogenannte Chioskore (Original: Athen, um 520/500 v. Chr., Marmor, Akropolismuseum, Athen) und die sogenannte Peploskore (Original: Athen, um 520 v. Chr., Marmor, Akropolismuseum, Athen).

Die 2010/2019 entstandene Rekonstruktion der Phrasikleia zeigt eine junge Frau, die Sandalen, ein langes, reich gemustertes Gewand, Schmuck und auf dem Kopf eine Blütenkrone trägt, die aus geöffneten und geschlossenen Lotosblüten besteht. Ihr hellrotes Gewand ist mit roten und gelben Streuornamenten sowie Bordüren verziert. Die Rosettenblätter der Gewandapplikationen sind in Gold und Bleizinnfolie gefasst. Die sogenannte Chioskore in einer Rekonstruktion aus dem Jahr 2012 zeigt eine Mädchenfigur mit langem Rock und einer Art Untergewand aus feinem faltenreichem Stoff. Bereits bei der Ausgrabung des Originals Ende des 19. Jahrhunderts hielt der Schweizer Künstler Emile Gillieron auf einem Aquarell die leuchtenden blauen und roten Farbreste fest. 2010 wurden bei Untersuchungen des Originals tatsächlich die Pigmente Azurit und Zinnober festgestellt. Darüber hinaus ließen sich Bleigelb und hellgelber Ocker wiederfmden, die bereits 1904 auf dem Gewand beobachtet wurden. Das Kostüm der sogenannten Chioskore erlaubt einen unmittelbaren Blick auf die Mode des ausgehenden 6. Jahrhunderts, während die Kleidungsmuster und der Lotosblütenschmuck der Phrasikleia einen symbolischen Bezug zum Kreislauf von Leben und Tod suchen.

Experimentelle Farbrekonstruktion Variante B der sogenannten Peploskore von der Athener Akropolis [mehr]

Die sogenannte Peploskore trägt über einem Untergewand ein enganliegendes, faltenloses Obergewand. Die Archäologen haben dieses Gewand mit dem peplos (Frauenbekleidung im antiken Griechenland) gleichgesetzt und die Figur daher fälschlich als Peploskore bezeichnet. Tatsächlich ist die Gewandung und damit auch die eigentliche Bedeutung der Figur erst mithilfe ihrer Farbfassung zu verstehen. Neue Forschungen erlaubten eine vollständige Wiederherstellung der komplexen Farbfassung der Figur. In der Ausstellung wird eine neue, umgearbeitete Rekonstruktion der sogenannten Peploskore präsentiert. Es wurden jetzt auch Spuren der malteehnisehen Vorarbeit und der Farbverwitterung entdeckt: Das Farbenkleid, insbesondere das Tierfries-Gewand (ependytes), eine inzwischen verlorene Federkrone, deren Befestigungsspuren am Kopf erhalten sind, die Waffen und der unbewegte Körper geben der Figur ihre eigentliche Identität. Die fälschlich als Peploskore bezeichnete Figur stellt das marmorne Abbild eines hölzernen xoanon, eines urtümlichen hölzernen Kultbildes der Göttin Artemis dar.

Auch in der Epoche des Hellenismus (330-30 v. Chr.) war die Skulptur polychrom gefasst. In einigen Fällen lässt sich nachweisen, dass die nackten Bereiche der menschlichen Figur mit einem rötlich- oder hellbraunen Farbton bemalt waren. Anhand der Reliefs des sogenannten Alexandersarkophags aus der Königsnekropole von Sidon (Original: Libanon, um 320 v. Chr., Archäologisches Museum, Istanbul) wird deutlich, dass der Charakter der Farbgebung ganz wesentlich durch Kontrapunkte in Form eines leuchtenden Blaus, eines intensiven Rots oder goldenen Ockers bestimmt wurde.

Experimentelle Farbrekonstruktion der Grabstatue der Phrasikleia [mehr]

Eine sehr wichtige Rolle spielte die Vergoldung, die immer größere Bereiche der Skulptur eroberte und wiederum als Malgrund dienen konnte. Immer wieder wurde Gold als Material für den Schmuck des menschlichen Körpers und der Tiere verwendet. Gold- und Silberauflagen wie auch Einlagen in farbigen Steinen verstärkten den Glanz und die Lichtreflexion der antiken Skulpturen. Reste von Blattvergoldung an den Kanten der Gewandsäume griechischer Skulpturen legen die Vermutung nahe, dass die antiken Gewandstoffe an den Rändern mit Goldfaden paspeliert wurden. Ein Beispiel hierfür liefern die Goldreste an der Marmorfigur der sogenannten Kleinen Herkulanerin. Das spätklassische Urbild der sogenannten Kleinen Herkulanerin ist nicht mehr vorhanden. Dutzende spätgriechische und römische Repliken haben sich aber erhalten. Die Darstellung der jungen Frau zeigt eine Haartracht, bei der die Haare in mehreren Zöpfen zu einem strengen Knoten geflochten sind, die Figur hüllt sich in einen Mantel, den sie mit beiden Händen fest um den Körper zieht. Die 2019 entstandene Farbrekonstruktion beruht auf den Untersuchungen der Farbfassung einer Replik, die 1894 in Delos gefunden wurde (Original mit Farbfassung: Delos, 2. Jahrhundert v. Chr., Marmor, Archäologisches Nationalmuseum, Athen) und nutzt den Abguss der namensgebenden Replik, die 1706 in Herculaneum entdeckt worden war (Original, von dem der Abguss genommen wurde: Herculaneum, 1. Jahrhundert n. Chr., Marmor, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Skulpturensammlung). Die Rekonstruktion fasst die seit der Ausgrabung dokumentierten Spuren der Farbfassung zusammen. Insbesondere die Farbfassung des Mantels verdeutlicht die Gestaltungsabsicht des Bildhauers: Der feine, grünliche Stoff ist überall dort durchscheinend, wo sich der Mantel fest um den Körper spannt.

Eine eigene Sektion in der Ausstellung ist einem dreijährigen Forschungsprojekt gewidmet, das in Kooperation mit Wissenschaftlern der Frankfurter Goethe-Universität durchgeführt wurde und im Januar 2020 abgeschlossen ist. Ziel war die Entwicklung physischer Modelle wie auch einer interaktiven, digitalen Publikation, um die Erforschung und Rekonstruktion der Polychromie antiker griechischer Skulptur dem Fachpublikum, Studierenden sowie einem breiteren Publikum zu vermitteln. Als Objekt dieser Fallstudie wurde eine Statue aus der Frankfurter Musengruppe ausgewählt, die vermutlich von der heiligen, Artemis und Apoll geweihten Insel Delos stammt (Stehende Muse aus den Thermen vonAgnano, ursprünglich von Delos, 2. Jahrhundert v. Chr.). Dieser Figur, an der sich, wenn auch kaum sichtbar, zahlreiche Informationen zu ihrer ursprünglichen Farbfassung erhalten haben, wurde eine Marmorstatue im Typus der Kleinen Herkulanerin an die Seite gestellt, die ungefähr zur gleichen Zeit auf Delos zur Aufstellung kam (um 120-100 v. Chr.) und deren Polychromie noch besser erhalten ist.

Insbesondere mit der Fassung der nackten Haut hat sich die Wissenschaft seit Beginn der Ausgrabungen im 18. Jahrhundert schwergetan. Neben einer durch die moderne Ästhetik geprägten Ablehnung spielt der allgemein schlechte Erhaltungszustand der Hautfarbe eine entscheidende Rolle für die Vernachlässigung des Themas Inkarnat. Die Ausstellung widmet sich diesem mit nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen angefertigten Farbrekonstruktionen etwa des sogenannten Treu-Kopfes (Original: Rom, 2. Jahrhundert n. Chr., Marmor, The British Museum, London) und des Porträts des römischen Kaisers Caligula (Original: 37-41 n. Chr., Ny Carlsberg Glyptotek, Kopenhagen). Neue Untersuchungen des British Museum am Treu-Kopf, der Darstellung einer weiblichen Gottheit, liefern eine Vielzahl an Farbanalysen, die ein präzises Bild der Maltechnik und der verwendeten Pigmente ermöglichen. Für die Fassung der Haut wurde Calcit - neben roten und gelben Eisenoxyden - auch etwas Ägyptisch Blau beigemischt, was der Hautfarbe eine kühlere Note verleiht. Für den Lippenzwischenraum und in den Augenwinkeln wurde rosa Krapplack verwendet, ebenso wie bei dem Porträt des römischen Kaisers Caligula. Dem Treu-Kopf kommt in der aktuellen Polychromiediskussion eine zentrale Rolle zu. Offensichtlich wurde auch die helle weibliche Haut mithilfe der Farbe charakterisiert und der kostbare Marmor war lediglich Trägermaterial.

Die Frage, in welchem Verhältnis die Farbigkeit der Bronzestatuen zur Marmorpolychromie stand, kann bislang nicht abschließend beantwortet werden. Erste umfangreiche Annäherungen an das ursprüngliche Aussehen wurden am Beispiel der berühmten Krieger von Riace (Originale: Griechenland, 5. Jahrhundert v. Chr., Museo Archeologico Nazionale, Reggio di Calabria) und der originalen Bronzeskulpturen vom römischen Quirinalshügel (Originale: Griechenland, Ende 4. oder 3. Jahrhundert v. Chr., Museo Nazionale Romano, Rom) vorgenommen. Bei den Rekonstruktionen der beiden Riace-Kriegern wird die Illusion sonnengebräunter Haut durch zahlreiche Schichten eines stark verdünnten, mit wenig Rotpigment versehenen Asphaltlacks erreicht. Die extreme Lebensnahe entsteht durch aufwendig gearbeitete Steineinlagen in den Augen, in Kupfer eingelegte Brustwarzen und Lippen sowie durch mit Silberblech belegte Zähne. Bei den wissenschaftlichen Untersuchungen der Originale und bei der Herstellung der Rekonstruktionen, bzw. Nachgüsse in den Jahren 2012 bis 2016, stellte sich heraus, dass es sich bei dem Krieger A um die Darstellung des Erechtheus, Sohn der Göttin Athena, und bei Krieger B um die Darstellung des Thrakerkönigs Eumolpos, Sohn des Meeresgottes Poseidon, handelt. Bei Untersuchungen der sogenannten Quirinaisbronzen in denselben Jahren (2012-2018) konnte bestätigt werden, dass beide Figuren Helden aus der griechischen Argonautensage darstellen: Amykos, König der Bebryker, und Polydeukes, Argonaut und Sohn des Zeus, die in einem Boxkampf aufeinandertrafen.

Bunte Götter - Golden Edition. Die Farben der Antike

Eine Ausstellung im Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt
30. Januar – 30. August 2020

Kuros:
Marmorstuck auf Gipsabguss, Naturpigmente in Eitempera, H. 153 cm, 2015, Liebieghaus Skulpturensammlung (Liebieghaus Polychromy Research Project), Frankfurt am Main, Inv. St.P 709
Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Original: Griechenland, Tenea, um 530 v.Chr., Marmor, Staatliche Antikensammlungen und Glyptothek, München, Inv. GL 168

Peploskore:
Marmorstuck auf Gipsabguss, Naturpigmente in Eitempera, Krone und Waffen aus vergoldetem bzw. versilbertem Holz, H. 136 cm, 2005, überarbeitet 2019, Liebieghaus Skulpturensammlung (Liebieghaus Polychromy Research Project), Frankfurt am Main, Inv. St.P 687. Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung
Original: Athen, um 520 v.Chr., Marmor, Akropolismuseum, Athen, Inv. 679

Grabstatue der Phrasikleia,
Marmorstuck auf PMMA, Naturpigmente in Eitempera, Bleizinnfolie, Blattgold, Granat, Turmalin, Labradorit, Gummi Arabicum (Iris), H. 200 cm, 2010/2019, Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main (Leihgabe Ludwig-Maximilians-Universität, München, Leibnizpreis O. Primavesi 2007), Inv. LGLH Z01 Foto: Liebieghaus Skulpturensammlung – Norbert Miguletz
Original: Griechenland, Attika, Merenda, um 520 v.Chr., Marmor, Archäologisches Nationalmuseum, Athen, Inv. 4889

Text: Liebieghaus Skulpturensammlung
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