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Alltag in Koenigshoffen in der Römerzeit
(Fouilles récentes an Alsace 10)

Eine bedeutende Grabungsstätte: „Porte des Romains“

Die Grabungsstätte „Porte des Romains“ (Route des Romains Nr. 8 bis 20) liegt mitten im Koenigshoffener Stadtgebiet auf dem Baugelände eines von der Eurometropole Straßburg errichteten Wohn- und Geschäftskomplexes und umfasst eine Fläche von 4500 m2. Die vom Service régional de l’Archéologie (DRAC Grand Est/Alsace) angeordnete Präventivgrabung wurde von September bis November 2014 durchgeführt; vom 15. März bis 14. August 2015 erfolgten weitere Ausgrabungen unter Leitung der beiden Archäologen Pascal Flotté und Géraldine Alberti von Alsace Archéologie. Die Untersuchungen lieferten zahlreiche neue Erkenntnisse über die Entwicklung der römischen Siedlung und ihrer räumlichen Gegebenheiten sowie die Beziehungen zum nahen Legionslager von Argentorate.

Erstmals genutzt wurde das Gelände in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. für Bestattungen, wie verschiedene frühere Funde von Grabstelen nahelegen. Bei Grabungen wurden an der ehemaligen römischen Hauptstraße (heute Route des Romains) auf einer Länge von 75 Metern fünfzehn nebeneinander errichtete Grabmale gefunden. Es handelte sich um Kapellen aus kleinen Sandsteinquadern mit quadratischem oder rechteckigem Grundriss. Eine in der Mitte platzierte Urne enthielt die Asche des Verstorbenen und Grabbeigaben unterschiedlichen Umfangs. Den Abschluss der Grabstätte bildete meist eine hohe Stele, die teilweise mit figürlichen Darstellungen versehen war und die Grabinschrift trug; bei manchen Monumenten war die Stele in einen Sockel eingelassen. Anhand weiterer architektonischer Elemente, die in großer Zahl geborgen wurden und derzeit untersucht werden, dürfte eine umfassende Rekonstruktion dieser Grabstätten möglich sein. Auf das Vorhandensein eines beim Bau von Wohnhäusern abgerissenen Mausoleums deuten zwei als Rundpiastik ausgeführte Löwen- und Sphinxfiguren, die in einer später entstandenen Aufschüttung entdeckt wurden.

Das Gräberfeld blieb vermutlich bis ins 2. Jh. n. Chr. erhalten. In dieser Zeit dehnte sich die römische Siedlung stark aus. Quer zur Hauptstraße (decumanus), die unter der heutigen Route des Romains noch erhalten ist, entstanden zwei Nebenstraßen aus Kies und Grobgestein (eine davon mit einer Länge von ca. 100 Metern), die in ein Wohnviertel führten. Dessen aus Lehm und Holz erbaute Häuser verfügten über Keller und waren an Brunnen angeschlossen. Die zahlreichen in diesem Sektor zutage geförderten Fundstücke vermitteln eine sehr anschauliche Vorstellung vom Alltagsleben im vicus. Ab dem 3. Jh. wurde dieses Gebiet offenbar allmählich verlassen.

Die Archäologen werten die zahllosen Funde dieser Ausgrabungen weiter aus; dennoch will die Ausstellung eine erste Bilanz ziehen und die Öffentlichkeit mit dem neusten Wissen über die Organisation und Entwicklung dieses Straßburger Stadtviertels in der Römerzeit bekannt machen.

Ein Handwerkerviertel vor den Toren des Legionslagers von Argentorate

Die römischen Gräberfelder von Koenigshoffen sind allgemein bekannt, aber auch für Handwerk und Handel spielte die antike Siedlung eine bedeutende Rolle. Generell lebte die Zivilbevölkerung in der Nähe von Militärlagern vor allem vom Handel mit der Armee. Dies gilt auch für den Straßburger vicus. Er befand sich im heutigen Stadtviertel Koenigshoffen unmittelbar neben dem riesigen „Verbrauchermarkt“, den die II. und später die VIII. Legio Augusta mit ihren 6000 Legionären darstellte. In diesen Vierteln am Rande von Agentorate siedelten sich zahlreiche Geschäfte, Märkte und Tavernen an, die die Armee mit Rohmaterial, Alltagsgegenständen und Lebensmitteln versorgten.

Öllampen in verschiedenen GrößenIn Koenigshoffen konnten die Standorte von mehreren Produktionsstätten ausgemacht werden; dabei handelte es sich zumeist um Töpferwerkstätten, in denen Tischgeschirr, Vorratsgefäße und verschiedene andere Alltagsgegenstände wie Öllampen (Bild links: Öllampen in verschiedenen Größen) und Braseros in großer Zahl hergestellt wurden (z. B. Rue du Schnockeloch, Rue Mentelin, Rue des Capucins, Route des Romains). Ferner wurde in der heutigen Rue des Capucins die Heeresziegelei lokalisiert, in der Ziegeln und Baukeramik für das Legionslager und öffentliche Baumaßnahmen gebrannt wurden (versehen mit dem Ziegelstempel der VIII. Legion); hier wurden auch Überreste von Lagerhallen gefunden.

Schmelztiegel, Fragmente von Gussformen und Produktionsrückstände weisen darauf hin, dass im 1. und 2. Jh. Bronzeschmiede im vicus tätig waren. Anhand verschiedener Rückstände lassen sich die Schritte bei der Herstellung von Bronzeobjekten nachvollziehen, vom „Recycling“ über das Einschmelzen bis hin zum Behämmern. Von der Eisenbearbeitung zeugen mehrere Werkzeuge und Gegenstände aus Eisen (Meißel, Ambosse, Hämmer, Eisenbauteile aus einem Fahrzeug), die in einer um 1910 ergrabenen Stellmacherwerkstatt im Chemin de servitude geborgen wurden.

Auch Bein, Hirschgeweih und Horn wurden bearbeitet. Die bei dieser Tätigkeit anfallenden typischen Rückstände sowie zahlreicher Ausschuss wurden in der Rue des Capucins und im Umfeld der Porte des Romains in Abfallgruben hauptsächlich aus dem 2. Jh. gefunden.

Blick in den Sonderausstelungsraum im Archäologischen Museum Strassburg

Heiligtümer und Nekropolen

Am östlichen und westlichen Ende der befanden sich entlang der decumanus genannten Ost-West-Achse (heute Route des Romains) mehrere Gräberfelder unterschiedlicher Größe. Der decumanus, dessen Verlauf auch die heutige Hauptverkehrsader des Stadtviertels noch folgt, bestimmte von Beginn an die Topografie und allgemeine Raumaufteilung des vicus: am decumanus entlang entstanden die großen Wohnsiedlungen sowie zahlreiche Werkstätten; die von ihm abgehenden Seitenstraßen unterteilten die Siedlung in Wohnblöcke (insulae), die sich zu beiden Seiten der Straße befanden. Auch die Grabstätten waren auf diese Art angeordnet und lagen in manchen Perioden in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohnviertel.

Löwenstatue aus einem Grabmal an der Rue des Romains. Kalkstein, 1. Jh. n. Chr. Im Zuge der Grabungskampagnen „Porte des Romains“ wurde die Entwicklung der Gräberfelder im 1. und 2. Jh. eingehend untersucht; dabei konnten auch frühere Forschungsarbeiten an den Standorten Porte Blanche und Avenue du Cimetière sowie am Anfang der Route des Romains ergänzt werden. Unter anderem wurden weitere Grabstelen von Legionären und bemerkenswerte Skulpturenfragmente aus dem Dekor monumentaler Mausoleen zutage gefördert. Am Westende von Koenigshoffen (Hohberg) wurden bei Grabungen in den 1980er und 1990er Jahren ebenfalls mehrere Bestattungsareale entdeckt, auf denen Brandgräber, Ziegelgräber und Körpergräber sowie die Fundamente eines Bestattungsplatzes und die Überreste eines großen kreisförmigen Mausoleums gefunden wurden.

Löwenstatue aus einem Grabmal an der Rue des Romains. Kalkstein, 1. Jh. n. Chr.

Während die städtebaulichen Merkmale des vicus von Koenigshoffen, der sich drei Kilometer am decumanus entlangzog, bei Grabungen weitgehend erhellt werden konnten, ist das Wissen über Glauben und Kulte der Bewohner trotz zahlreicher Untersuchungen im 19. und 20. Jh. noch immer sehr lückenhaft. Besonders problematisch ist hier das Fehlen von Zeugnissen, die eindeutig religiösen oder zivilen Kulten zugeordnet werden können. Als große Ausnahme darf daher das von Robert Forrer im Winter 1911/1912 beim Bau der Paulskirche ergrabene Mithras-Heiligtum gelten.

Rückschlüsse auf die Glaubensvorstellungen und die von der Bevölkerung des vicus verehrten Götter erlauben die bei Grabungen gefundenen Monumente und Votivgaben. Vertreten sind Jupiter, Merkur, Bacchus und Herkules, nicht zu vergessen auch ein genius loci, der auf einem im Deutsch-französischen Krieg von 1870/71 zerstörten Votivaltar erwähnt war. Ein Beleg für den Kaiserkult ist der am Ortseingang von Eckbolsheim zutage geförderte monumentale Kaiserkopf. Auch gallisch-römische Gottheiten sind anzutreffen, darunter Epona, die als Göttin der Pferde und Händler ähnliche Zuweisungen hatte wie Merkur. Weibliche Gottheiten wie die Schutzgöttinnen der Kreuzungen sind eine der zahlreichen Verkörperungen der früher von der einheimischen Bevölkerung verehrten Muttergöttinnen.

Inschrift eines Mithrassteins (Rue du Schnokeloch) aus dem Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr.Inschrift eines Mithrassteins (Rue du Schnokeloch) aus dem Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr.: Das Hauptrelief im Mithräum wurde wiederhergestellt und neu bemalt auf Veranlassung und auf Kosten eines Adepten des Kults, des Veterans Caius Celsinius Matutinus.

Unten ein Mithrasstein mit der Opferungsszene aus der Rue du Schnokeloch. darunter ein Fragment der Felsgeburt des Mithras, in dem Zustand, wie es zu Beginn des 20., Jahrhunderts nach der Erorschung des Mithräums durcn R. Forrer in Gips ergänzt wurde.
Mithrasstein mit der Opferungsszene aus der Rue du Schnokeloch
Fragment der Felsgeburt des Mithras

 

im Detail:  
siehe auch: Mithraskult
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