Sibylla Augusta: Zwischen Repräsentation und Frömmigkeit
Franziska
Sibylla Augusta wurde am 21.1.1675 in Ratzeburg als Tochter Herzogs
Julius Franz von Sachsen-Lauenburg und Maria Hedwig Augusta von
Pfalz-Sulzbach geboren. Sie galt zusammen mit ihrer Schwester Anna
Maria Franziska (1672-1741) als eine der interessantesten Heiratskandidatinnen
des Reichs.
Ihr Großvater, Herzog Julius Heinrich von Sachsen-Lauenburg, hatte
während des Dreißigjährigen Krieges ausgedehnte Herrschaften erworben,
die sich vor allem in Böhmen befanden. Darunter war auch das nördlich
von Karlsbad gelegene Schloss Schlackenwerth mit seinem berühmten
"Garten der hundert Brunnen", wo Sibylla Augusta aufwuchs.
Eigentlich hätte Sibylla Augusta mit Prinz Eugen von Savoyen-Carignan
(1663-1736), dem anderen erfolgreichen Türkensieger neben Ludwig
Wilhelm und Vetter Ludwig Wilhelms, vermählt werden sollen. Ludwig
Wilhelm von Baden-Baden war seitens des Kaisers Leopold II. die
ältere Schwester Sibylla Augustas zugedacht. Dass Sibylla Augusta
und Ludwig Wilhelm ein Paar wurden, deutet auf eine persönliche
Entscheidung der beiden hin. Das war in dieser Zeit, in der unter
politischen, dynastischen oder finanziellen Überlegungen geheiratet
wurde, nicht üblich.
Ein reizender Brief der 16jährigen an ihren Großvater bestätigt:
"Gestehe es aber Euer Gnaden, das ich ein solche lib vor Ihm
(d.i. Ludwig Wilhelm) hab, die gewiss nicht grösser seyn khan
und khan Euer Gnaden nicht genug underdehnigen Dank sagen, das
Sie haben gnädigst erlauben wollen, das wir Einander haben, denn
wenn ich nur bey Ihm wehre, wehre ich das glücksehligste Mensch
auf der gantzen weld." (26.6.1691).
Nach der Hochzeit 1690, die auf Schloss Raudnitz an der Elbe gefeiert
worden war, residierten Sibylla Augusta und Ludwig Wilhelm zunächst
in Schlackenwerth, da die badische Markgrafschaft seit 1689 durch
französische Truppen verwüstet war und die Residenz in Baden-Baden
in Schutt und Asche lag. Nachdem Ludwig Wilhelm 1693 das Kommando
über die Truppen am Oberrhein gegen Ludwig XIV. übernommen hatte,
wechselten die Aufenthaltsorte des Paares ständig. Erst 1705 bezogen
sie die neu erbaute Residenz in Rastatt.
In den Jahren 1694 bis 1706 gebar Sibylla Augusta in kurzer Folge
neun Kinder, die in rascher Folge in Günzburg, Augsburg, Nürnberg,
Ettlingen und Aschaffenburg das Licht der Welt erblickten . Nur
drei von ihnen überlebten das Kindesalter. Erst das neunte Kind,
August Georg, kam 1706 in Rastatt zur Welt.
Nach dem Tod des Markgrafen 1707 übernahm Sibylla Augusta mit 32
Jahren mitten im Krieg die Regierungsgeschäfte, stellvertretend
für den erst vierjährigen Erbprinzen Ludwig Georg Simpert. Damit
beginnt ihr Bild Konturen zu gewinnen. In kriegerischen und schwierigen
Zeiten die Regentschaft anzutreten, erforderte in hohem Masse politisches
Geschick und Tatkraft. Sibylla Augusta erwies sich als kluge Politikerin,
selbstbewusste Diplomatin und umsichtige Verwalterin ihres Erbes.
Unterstützung erhielt sie von Herzog Leopold von Lothringen und
dem Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz sowie von dem Präsidenten
der baden-badischen Hofkammer, Hofrat Karl Ferdinand von Plittersdorf.
In späteren Jahren war Kardinal Damian Hugo von Schönborn, Fürstbischof
von Speyer, einer ihrer engsten Vertrauten.
Während der französischen Besatzung Rastatts, die am 23. Mai 1707,
nur vier Monate nach dem Tod ihres Mannes, begann, flüchtete sie
mit ihren Kindern in das nahe gelegene Ettlingen und nicht in die
böhmische Heimat, um in ihrem Land präsent zu bleiben. Die kostbare
Ausstattung des Schlosses war bereits in Sicherheit gebracht worden
und konnte nach dem Frieden von Rastatt, der 1714 den Spanischen
Erbfolgekrieg beendete, wieder zurückgeführt werden. Nach Rastatt
zurückkehren konnte sie erst nach dem Ende des spanischen Erbfolgekrieges
1714.
Die Markgrafschaft befand sich nach zwei kurz aufeinander folgenden
Kriegen hoch verschuldet in einem katastrophalen Zustand. Für den
Wiederaufbau setzte Sibylla Augusta auch Einkünfte aus ihren böhmischen
Gütern ein und förderte mit Privilegien und Steuervorteilen den
Wiederaufbau Rastatts.
Sibylla Augusta kennzeichnet eine vielseitige Bildung und eine
große Vorliebe für die bildenden Künste. Sie förderte Schulen und
Bildungseinrichtungen, widmete sich dem Bauwesen und legte umfangreiche
Sammlungen an. Schon an Ludwig Wilhelms Seite hatte sie an der Neugestaltung
der böhmischen Residenz Schlackenwerth und dem Bau des Residenzschloss
Rastatt mitgewirkt. Bald nach Antritt der Regentschaft setzte ihre
eigene Bautätigkeit ein. 1710 wurde ihr erstes großes Bauwerk, die
Einsiedelner Kapelle in Schlackenwerth, erbaut nach dem Vorbild
von Maria Einsiedeln in der Schweiz - wohin sie wiederholt Wallfahrten
unternahm -, geweiht. Den Schlossarchitekten Domenico Egidio Rossi
hatte sie nach dem Tod ihres Mannes aus Kostengründen entlassen
und durch den jungen böhmischen Baumeister Johann Michael Rohrer
ersetzt: Er baute für sie ab 1710 die Sommerresidenz Schloss Favorite
(Rastatt). Nach ihrer Rückkehr nach Rastatt begann sie die zerstörte
Stadt wieder aufzubauen und betrieb den Ausbau des Residenzschlosses,
indem sie die Schlosskirche mit Pfarrhaus, die Einsiedelnkapelle
in Rastatt und eine weitere Kapelle, ein Rat- und lagerhaus in Rastatt
(ab 1716) und einen Gartenpavillon errichten ließ. 1718 entstand
im Park von Favorite die der Heiligen Magdalena gewidmete Eremitage.
Im Leben Sibylla Augustas spielte die Religion eine zentrale Rolle.
Sie folgte streng dem katholischen Glauben und unterzog sich häufigen
Wallfahrten und harten Bußen. Ihre eigene Frömmigkeit war von Demut
geprägt: In religiösen Dingen wollte sie nicht als Landesfürstin,
sondern "als ein gemeines armes Bettelweib" behandelt werden. Diese
Demut veranlasste sie auch zu der Inschrift auf ihrem Grabstein
in der Schlosskirche: "Betet für die große Sünderin Augusta". Wenig
Verständnis brachte sie dem Protestantismus entgegen, was auch ihre
protestantischen Untertanen betraf.
Die umfassende Bautätigkeit, die Sibylla schon bald nach Antritt
der Regentschaft initiierte, erreichte 1720 mit dem Bau der Heiligen
Stiege und der Schlosskirche Heilig Kreuz durch Johann Michael Rohrer
ihren Höhepunkt. Die prächtige Ausstattung der Kirche, aber auch
des Jagd- und Lustschlosses Favorite mit seinen einzigartigen Sammlungen,
wurden ihre wichtigsten Förderungsprojekte. Auch der heutige Besucher
des Schlosses begegnet noch an diesen Stätten ihrem persönlichen
Engagement für die Kunst. Die Zeitgenossen Sibylla Augustas bewunderten
die Markgräfin wegen dieser Kunstforderung aber auch wegen der sparsamen
Haushaltsführung und der umsichtigen Regierung, mit der Sibylla
die Sanierung der Markgrafschaft gelang. Selbstbewusst hatte sie
gleich im Januar 1707 begonnen, die Befugnisse der von Ludwig Wilhelm
testamentarisch eingesetzten Mitvormünder, Kurfürst Johann Wilhelm
von der Pfalz und Herzog Leopold Josef von Lothringen, zu begrenzen;
im selben Jahr gelang es ihr, den französischen Marschall Villars
zu bewegen, seine Kriegskontributionsforderungen zu halbieren. Ihre
nächste Aufgabe war: Die gewaltigen finanziellen Versprechungen,
die Kaiser Leopold gegenüber Ludwig Wilhelm geleistet hatte, einzufordern.
Der gerade 32jährigen, die bis dahin in Regierungsdingen völlig
ungeübt war, gelang bei den Verhandlungen ein beachtlicher Teilerfolg.
1727 übergab sie nach zwanzig Jahren die Regentschaft ihrem Sohn
Ludwig Georg. Sie zog sich auf das Ettlinger Schloss, ihren Witwensitz,
zurück. Dort starb sie am 10. Juli 1733.
Markgräfin Sibylla Augusta erwies sich 20 Jahre lang als kluge
Politikerin, selbstbewusste Diplomatin und umsichtige Verwalterin
ihres Erbes. Wichtige Zeitgenossen bescheinigten ihr "staatspolitische
Fähigkeiten". Einer von diesen war der Kardinal von Schönborn. Er
schrieb:
"Sie sind selbst eine so gescheite und penetrante* Fürstin,
dass nur ein paar Worte ihnen genug sind, so machen sie alles
besser als der penetranteste Staatsmann und Minister. Wie denn
alles, was sie in dieser Sache getan, wahrhafftig höchst erleucht
und so getan, dass es der klügste Regent nicht besser tun kann."
Oder: "Wenn ich die gescheite Frau nicht vor mir gehabt
hätte, so mit einem Wort Information alles meisterhaft vollzogen
und nebst ihrer Klugheit wahrhafftig eine männliche Festigkeit
und Generosität bezeigte, so wäre es fast unmöglich gewesen alle
Intrigen zu überwinden."
* Penetrant: "diejenigen, die mit ihrem scharfen und subtilen Geiste
alles durchdringen" (Zedlers Universallexikon, ein zeitgenössische
Enzyklopädie)
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