Nach Nazizeit, Hitlerjugend, Militär,
Gefangenschaft, Sowjetzone, war ich nach meiner Flucht,
1952 aus der DDR, mit 28 Jahren zum ersten Mal ein freier
Mensch. Jahre später, beim Anblick der Mauer, bestürzte
mich der Gedanke, ich hätte hinter dieser Mauer weiter
leben müssen.
Robert Häusser, 1983 anlässlich seiner Fotoreportage über
die Berliner Mauer.
In der ersten Zeit des Mauerbaus kam Robert Häusser
eigens nach Berlin West, um Eindrücke von der Mauer
festzuhalten. Es war zugleich eine Reise in die Vergangenheit
und eine Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte. Häusser
lebte von 1946 bis 1952 auf dem elterlichen Bauernhof in
der Mark Brandenburg, die damals unter sowjetischer Besatzung
stand. Die erhoffte Freiheit wurde wieder in Frage gestellt.
Der Kontakt zum Westen machte Häusser für das
neue DDR-Regime verdächtig. Seit 1950 nahm er an Ausstellungen
und Wettbewerben im westeuropäischen Ausland teil.
Er sah sich Schikanen ausgesetzt, weil er eine Funktion
im „Kulturbund“ ablehnte. Häusser war
durch das erlittene Unrecht in der Nazizeit „sensibilisiert“:
der Vater war denunziert und nach Dachau gebracht worden,
die Familie wurde gesellschaftlich geächtet und litt
Hunger. Um über die Runden zu kommen, ging Häusser
zusammen mit seinem Bruder nach der Schule Altpapier sammeln.
Seine Schulzeit war die verhasste Nazizeit. Krieg und Gefangenschaft
waren für ihn prägende Ereignisse, die sich in
Form von Metaphern in seinem Werk spiegeln.
Der Neuanfang 1952 in Mannheim brachte ihm die ersehnte
Freiheit. Hier baute er sich mit seiner Familie eine neue
Existenz auf.
Der Bilderzyklus zur Berliner Mauer veranlasst Häusser
immer wieder zur Reflexion darüber, was gewesen wäre,
wenn er sich damals nicht zur Flucht entschlossen hätte
und noch Jahre in der Unfreiheit hätte leben müssen.
Ein Hauptthema in Häussers Werk behandelt die vom
Menschen gesetzten Zeichen, die zur Abgrenzung und Abzäunung
eines bestimmten Territoriums dienen. Die aufgenommenen
Situationen zeigen Barrikaden, zugemauerte Eingänge,
Zaungitter, Absperrungen und Demarkationslinien. Diesen
Bildsujets liegt das Thema der Begrenzung und Ausgrenzung
zugrunde. Häuser und Orte werden zu Zonen der Unbehaustheit,
zu denen es keinen Zutritt gibt.
Häussers psychologische Grundgestimmtheit wurde durch
die Erlebnisse des Krieges, der Gefangenschaft, der Isolation
in der Ostzone, der Emigration und Existenzgründung
angesichts einer ungewissen Zukunft bestätigt und
prägt bis heute seine Sichtweise.
Einer seiner immer wiederkehrenden Albträume handelt
von dem „Gefühl, fliehen zu müssen, einen
freien Ort zu erreichen, wobei ich jedoch nur von Mauern
und Absperrungen umgeben bin.” (Robert Häusser
in einem Interview mit C.W. Sui, 5. Aug. 2000) In dem Bilderzyklus
zur Berliner Mauer hält Häusser oft in Frontalansicht
verschiedene Blickstandpunkte fest: vermauerte Häuserfronten
und Eingänge, Fenster mit heruntergelassenen Jalousien,
das Brandenburger Tor und in Rückenansicht die Quadriga
mit der Siegesgöttin Viktoria, zwei Grenzpolizisten,
die von ihrem Grenzwärterturm das Umfeld observieren
und abfotografieren.
Geradezu surreal wirkt das kleine helle Kinderbettgestell
mit den geschwungenen Zierornamenten, das sich im Stacheldrahtverhau
verfangen hat. Einige fotografierte Stellen der Mauer können
durch Straßennamen wie „Benschallee“, „Sebastianstraße“, „Legiendamm“ oder „Waldemarstraße“ geortet
werden.
In Robert Häussers Bilderzyklus zur Berliner Mauer
wird ein historischer Augenblick in subjektiver Sicht transparent,
er zeigt in harten Schwarzweißkontrasten die Mauer
als Physiognomie und Ausdruck der Brutalität des Systems.
Fotografie fungiert hier nicht nur als reine Dokumentation
oder als Ausdruck von Geschichtsbewusstsein, sondern sie
zeigt die unverwechselbare Handschrift Robert Häussers,
dessen künstlerische Bilder immer nach der Übereinstimmung
von Form und Inhalt streben.
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