Kunstwerk des Monats
März 2009

Eine Heidelberger Zunfttruhe

 

Wem gehörte die Zunfttruhe mit der Lackmalerei?

Zünfte waren eine Art Zwangsverbände. Die Mitgliedschaft war Voraussetzung zur Ausübung eines Handwerks. Zünfte waren ursprünglich mit einem weitgehenden eigenen Hoheitsrecht ausgestattet, so auch bei der Entscheidung über die Aufnahme von Mitgliedern in die Zunft oder bei den Handwerksprüfungen. Dadurch konnten unwillkommene Handwerksgenossen ferngehalten, Fehlverhalten sanktioniert und einer Überfremdung des Gewerbes vorgebeugt werden.

Auch in den reichen Sammlungsbeständen des Kurpfälzischen Museums haben sich Objekte erhalten, die den Zünften zugeordnet werden, darunter wertvolle Pokale und kostbare Zunfttruhen aus der Zeit vom Ende des 17. Jahrhunderts und aus der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Allerdings ist nicht immer klar, welche Zunfttruhe welcher Handwerksinnung gehörte. Nur gelegentlich lassen Angaben im Zugangsregister des Kurpfälzischen Museums oder Dekorationselemente diesbezügliche Schlussfolgerungen zu. Das prächtigste Exemplar unter den Zunfttruhen im Kurpfälzischen Museum kommt laut Inventar aus dem Besitz der Heidelberger Metzger. Es handelt sich um eine Kassette, die reich mit Chinoiserien bemalt ist. Die von verkröpften Profilen gerahmten Kissenfüllungen an der Außenseite sind mit einer zinnoberroten Grundierung, mit lasierendem Schwarz und mit einer schildpattimitierenden Oberfläche versehen. Außerdem zeigt sie eine Bemalung mit Landschaftsstaffagen und exotischen Vögeln mit Gold- und Silberfarbe, die zusätzlich partiell radiert wurde. Zwischen goldfarbenen Blütenzweigen tummeln sich fein gemalte Vögel und andere Tiere, teilweise sind auch Lattenzäune und pagodenartige Häuser zu erkennen. Ein bemerkenswertes Detail, das einen Hinweis auf die ursprüngliche Nutzung der Truhe gibt, befindet sich oben auf dem Deckel. Die Platte, die das Schloss verdeckt, zeigt einen aufgemalten Bohrer. Bei diesem Bohrer handelt es sich nicht um ein herkömmliches Handwerkszeug, sondern um ein medizinisches Gerät. Mit vergleichbaren Bohrern führten Chirurgen im 18. Jahrhundert Schädeloperationen durch.
Das genannte Detail legt den Schluss nahe, dass die Zunfttruhe ursprünglich nicht für die Metzger, sondern für die Wundärzte und Heiler bestimmt war. Die Truhe kann als Zeugnis der Chinoiseriemode gelten, der genaue Ort der Herstellung lässt sich allerdings nicht bestimmen. Im Anschluss an eine vom Import bestimmte Phase, in der originale Lackmöbel aus dem Fernen Osten eingeführt wurden, etablierte sich seit etwa 1680 die Eigenproduktion von asiatisch anmutenden Lackarbeiten.

Um ein vollständiges Bild des Heidelberger Zunftwesens um 1700 zu entwerfen, bedarf es einer intensiven Grundlagenforschung, die zum einen die vorhandenen Quellen systematisch auswertet und zum anderen nach erhaltenen Realien forscht. Leider sind Provenienzen nur in seltenen Fällen belegt, was eine Einordnung von historischen Handwerkserzeugnissen erschwert. Bedeutsam wäre auch, die Auswirkung und den Umfang der Zuwanderung von Handwerksmeistern aus anderen Gebieten zu erhellen. Hinzu kommt die fast vollständige Dezimierung kunsthandwerklicher Objekte aus Heidelberg durch die Zerstörung der Stadt 1693 im Orléansschen Erbfolgekrieg.

Karin Tebbe

 

 


 

Eine Heidelberger Zunfttruhe, Tanne, Obstholz, Lackmalerei
Inv.- Nr. Mb 51

 
 
siehe auch:

Sammlungsblatt
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