Die
von Diderot und d'Alembert herausgegebene "Encyclopédie ou dictionnaire
raisonné des sciences, des arts et des métiers, par une société
des gens de lettres" stellte die aufwändigste Publikation des
18. Jahrhunderts dar und hat mit ihrem aufklärerischen Geist ganz
zweifelsohne der französischen Revolution den Weg geebnet. Die
Idee eines das gesamte menschliche Wissen umfassenden Nachschlagewerkes
geht bereits auf antike Schriftsteller wie Vitruv, Plinius oder
Horaz zurück. Zahlreiche Enzyklopädien entstanden vor allem im
späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, von denen die 1728 von
dem Engländer Ephraim Charles in zwei Bänden herausgegebene "Cyclopaedia
or an Universal Dictionary of Arts and Sciences" am populärsten
war. Der französische Verleger Le Breton fasste daher 1745 den
Entschluss, dieses englischsprachige Werk ins Französische zu
übersetzen. Das Projekt erhielt aber erst 1748 wichtige Impulse,
als Le Breton sich potente Mitverleger in Gestalt von Briasson,
David und Durand suchte und mit Diderot und d'Alembert als Herausgebern
zwei engagierte Persönlichkeiten gewinnen konnte. Denis Diderot
wurde 1713 als Sohn eines Messerschmiedes in der französischen
Kleinstadt Langres geboren und erlangte in Paris unter jesuitischer
Ägide den akademischen Grad des maître-ès-lettres. Dort verdiente
er sich zunächst mit Übersetzungen und Nachhilfe seinen Lebensunterhalt.
So übersetzte er z.B. im Auftrag des Verlegers Briasson das englischsprachige
Werk "A Medicinal Dictionary", und erhielt aufgrund dessen von
Le Breton den Auftrag für die Encyclopédie. Jean Baptiste le
Rond d'Alembert wurde 1717 als uneheliches Kind in Paris geboren
und ausgesetzt, erhielt jedoch durch Geldzuwendungen seines Vaters
eine umfassende Erziehung. Nach anfänglichen Medizin- und Jura-Studien
widmete sich d'Alembert autodidaktisch der Mathematik und Physik
und erlangte aufgrund seiner zahlreichen naturwissenschaftlichen
Theorien und Veröffentlichungen (u.a. "Traité de dynamique") auch
in England, Preußen und dem zaristischen Russland großes Ansehen.
Dieses Renommée als wissenschaftlicher Experte trug ihm schließlich
im Jahre 1748 die Berufung als Mitherausgeber der Encyclopédie
ein. Rasch waren die anfänglichen Pläne, das englischsprachige
Lexikon von Ephraim Chambers lediglich zu übersetzen, überholt,
und so kündigte Diderot in seinem 1750 veröffentlichten Prospectus
bereits 10 Bände zuzüglich zweier Tafelbände an. Zahlreiche Subskriptionen
zeugen von dem hohen Interesse, das Frankreichs gebildete Kreise
dem Vorhaben entgegenbrachten. 1751 erschien der erste Band, dem
d'Alemberts "Discours préliminaire" vorangestellt war. In diesem
Traktat wurde, aufbauend auf dem "Baum des Wissens" des englischen
Philosophen Francis Bacon, ein Überblick über die Zusammenhänge
allen menschlichen Wissens gegeben. Der überaus große Erfolg
des ersten Bandes, dessen Auflage auf 2.050 erhöht wurde, zog
zahlreiche Schmähschriften nach sich. Vor allem die Jesuiten sahen
in der Encyclopédie antiklerikale und antiabsolutistische Tendenzen
und erwirkten 1752 beim Königlichen Hofrat ein Verbot für das
Erscheinen weiterer Bände. Da den Verlegern durch dieses Verbot
jedoch nicht das königliche Druckprivileg entzogen wurde, konnten
in den Jahren 1753 - 1757 die Bände 3 -7 in noch höherer Auflage
herausgegeben werden.
Ein Artikel d'Alemberts über Genève [Genf] im 7. Band erregte
am französischen Hofe sowie in geistlichen Kreisen großes Missfallen
und fiel der Zensur zum Opfer, die 1756 nach einem Attentat auf
König Ludwig XV. noch verschärft worden war. Die Folge war der
endgültige Entzug der Druckprivilegien; Papst Clemens XIII. setzte
die Encyclopédie gar auf den Index. Jean Baptiste le Rond d'Alembert
legte daraufhin seine Tätigkeit nieder, bestärkt durch sein zunehmendes
Zerwürfnis mit Diderot aufgrund nicht mehr vereinbarer philosophischer
Ansichten. D'Alemberts Stelle übernahm der Chevalier de Jaucourt,
der für mehr als 28% der Artikel verantwortlich zeichnete.
Aufgrund der Protektion
durch Madame de Pompadour und den Obersten Leiter der Zensurbehörde,
de Malesherbes, konnte Diderot im geheimen die Publikation der
restlichen 10 Bände vorbereiten, die im Jahre 1765 zu gleicher
Zeit in Paris erschienen, des Verbotes wegen aber das schweizerische
Neuchâtel als Erscheinungsort aufführten. Aus Angst vor der Zensur
hatte der Verleger Le Breton zuvor jedoch viele Artikel eigenmächtig
überarbeitet, worüber Diderot besonders erbost war. Parallel
zu den 17 Textbänden entstanden zwischen 1762 und 1772 zwölf Tafelbände
mit 2885 Kupferstichtafeln unter dem Titel "Recueil de planches
sur les sciences, les arts libéraux, et les arts méchaniques,
avec leur explication". Diderot widmete sich in diesen Tafeln
anatomischen, zoologischen, botanischen und kunstgeschichtlichen
Bereichen, vor allem aber der umfassenden Darstellung des Handwerks,
welches er als eigene Kunst gewertet haben wollte. Seine Herkunft
aus einer alteingesessenen Handwerksfamilie manifestiert sich
an dieser Stelle deutlich. Die angeblich stark an Tafeln von Réaumur
angelehnten Kupferstiche trugen der Encyclopédie den Vorwurf des
Plagiats ein, jedoch wirken Diderots Tafeln insgesamt klarer und
einheitlicher als die angeblichen Vorlagen. Diese Tafeln sind
es, die heute die besondere Bedeutung der Encyclopédie ausmachen,
denn sie überliefern uns die Kenntnisse zahlreicher Handwerksgeräte
und Gepflogenheiten sowie den technischen Entwicklungsstand dieser
Zeit. So gewährt uns das vorliegende Blatt "Tailleur d'habits,
outils" - Tafel 1 von insgesamt 24 Tafeln zum Beruf des Schneiders,
Tafelband 9 - Einblick in eine Schneiderwerkstatt um 1770 mit
der bereits erfolgten Arbeitsteilung in Maßnehmen, Zuschneiden
des Stoffes sowie Zusammenfügen und Nähen der Einzelteile. Mit
leichtem, malerischen Duktus wird diese Interieurszene mit Ausblick
auf einen Straßenzug wiedergegeben. Darunter ist detailgetreu
ein Teil des Handwerkszeugs des Schneiders dargestellt, u.a. ein
Nähkästchen mit Schublade für Garn, Nadeln und andere Utensilien.
Auf diesem Nähkästchen konnte ein ebenfalls abgebildeter Kerzenhalter
befestigt werden, der bei den damaligen Lichtverhältnissen unentbehrlich
war. Drei Scheren verschiedener Größe runden das Blatt ab, dem
zwei weitere Tafeln mit Werkzeugen folgen. Der Entwerfer des
Blattes, J. R. Lucotte, ist zwischen 1760 und 1784 als Ornamentzeichner
in Paris nachweisbar und ist vor allem für sein Architekturwerk
"Le Vignole moderne" (1772/84) bekannt. Für die Encyclopédie fertigte
er zahlreiche Zeichnungen vor allem für die Tafelbände 8 und 9
an. Umgesetzt wurden diese von dem eher unbedeutenden französischen
Kupferstecher Robert Bénard (geb. 1743), der vor allem für Buchhändler
tätig war.
Kristine Scherer
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