Projekt kulturer.be
Kaiser Napoleon III. im Krönungsornat und Kaiserin
Eugenie. Kollage aus zwei Gemälden von Franz Xaver Winterhalter
(1805-73). Bild: Napoleonmuseum
Als der letzte französische Monarch am 9. Januar 1873 für immer die Augen schloss, trug er der Überlieferung nach neben dem auf dem Thurgauer Schloss Arenenberg 36 Jahre zuvor abgefassten Abschiedsbrief seiner Mutter noch ein Dokument bei sich, das ihn unmissverständlich als Schweizer Bürger auszeichnete. Gibt es schönere Beweise für die Anhänglichkeit eines Menschen an seine Heimat?
Geboren am 20. April 1808 in Paris, lebte der spätere französische Kaiser unter dem Namen Prinz Louis Napoléon Bonaparte zwischen 1815 und 1817 in Konstanz, dann in Augsburg, um ab 1823 seinen Hauptwohnsitz endgültig an den Bodensee zurück zu verlegen. Schloss Arenenberg im Kanton Thurgau bildete sein Elternhaus und das nahe gelegene Konstanz diente ihm als „Residenzstadt". Hier erfuhr er seine weitere Erziehung und vor allem Prägung.
Längere Aufenthalte in Italien rundeten seine Ausbildung im humanistischen Sinne ab. Seine Privatlehrer, Philippe Le Bas und Narcisse Vieillard (letzterer mehr väterlicher Freund), standen dem frühen Sozialismus nahe und beeinflussten ihren Zögling entsprechend. Nicht umsonst galt der sozialen Frage in Frankreich später eines seiner Hauptaugenmerke . Während seiner Studien in Rom kam der Prinz ein erstes Mal mit den revolutionären Strömungen Europas in Kontakt und beteiligte sich aktiv am so genannten Carbonari-Aufstand, was seine Ausweisung zur Folge hatte.
Zurück am Bodensee beschäftigte er sich erfolgreich als politischer bzw. militärischer Schriftsteller und bereitete einen Putsch gegen das französische Königreich vor. Obwohl er in der Öffentlichkeit den „Dandy" spielte, blieben seine dynastischen Träume den Großmächten nicht verborgen. Sie ließen Schloss Arenenberg und Konstanz intensiv überwachen. Weitsichtig schrieb Fürst Metternich 1832 an den französischen Gesandten in Wien: „Ich bitte Sie, den König Louis Philippe auf die Persönlichkeit aufmerksam zu machen, die auf den Herzog von Reichstadt folgen wird. Am Tage, wo der Herzog die Augen schließt, wird sich der junge Louis Bonaparte an die Spitze der französischen Republik berufen fühlen." So sollte es auch kommen:
1836 scheiterte ein erster Putschversuch des Prinzen in Strassburg. Louis Napoléon wurde nach den USA verbannt und knüpfte dort enge Kontakte zu den teilweise noch heute maßgeblichen Familien. Aufgrund der schweren Erkrankung seiner Mutter kehrte er im August 1837 an den Bodensee zurück. Am 5. Oktober 1837 starb sie in seinen Armen. Ende 1838 musste der kaiserliche Thronanwärter auf militärischen Druck Frankreichs hin seine Heimat verlassen. Voller Melancholie schrieb er darüber aus dem folgenden englischen Exil an die Mutter des Grafen Zeppelin: „Ich bin so jung in Ihr Land gekommen, dass ich darin Wurzeln geschlagen habe; ich könnte mich daher auch niemals ganz verpflanzen und lasse wie ein abgehauener Baum meine Wurzeln dort, wo ich Freunde zähle und wo mich so viele liebe Erinnerungen festhalten."
Sein weiteres Leben gestaltete sich als spannender Roman: Von England aus putschte er 1840 in Boulogne-sur-Mer ein weiteres Mal erfolglos. Während seiner Haft in der Festung von Ham bildete er sich als Autodidakt weiter und publizierte fortwährend. 1846 gelang ihm die erneute Flucht nach England. Zwei Jahre später wählte ihn das französische Volk mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der Zweiten Republik. Während seiner Regierungszeit konzentrierte sich der „Prinzpräsident" auf die Außenpolitik und bereitete einen weiteren Staatsstreich vor. 1851 löste er das Parlament auf und ließ politische Gegner verhaften. Eine neue Verfassung, die ihm diktatorische Vollmachten verlieh, wurde per Plebiszit angenommen. Ebenso die ein Jahr später erfolgende Proklamation des zweiten Kaiserreiches.
In den ersten zehn Jahren seiner Regentschaft eilte er innen- wie außenpolitisch von einem Erfolg zum anderen. Es gelang Napoleon III. sein Vaterland aus der Isolation des Wiener Kongresses politisch, industriell und kulturell wieder an die Spitze Europas zu führen. Friedenskongresse, Sozialgesetzgebung, Umbau von Paris, Förderung der Eisenbahn, Weltausstellungen und ... und ... und, trotz der starken Repressalien gegen die Opposition blickte jedermann ehrfürchtig nach Paris.
Schwieriger gestaltete sich die zweite Phase seiner Regierung, auf die seine Frau, Eugénie de Montijo, starken Einfluss ausübte. Das Kaiserreich verlor u.a. durch den gescheiterten Versuch, in Mexiko ein Kaiserreich zu errichten, auch im eigenen Land erheblich an Prestige. Während der stark erkrankte Napoleon III. Liberalisierungsversuche unternahm, stand die Kaiserin solchen Bemühungen hauptsächlich ablehnend gegenüber. Sie sah in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit Preußen die einzige Chance, ihre Monarchie zu stützen. Die von Bismarck redigierte „Emser Depesche" musste also zur französischen Kriegserklärung führen.
Am 1. September 1870, ca. sechs Wochen nach Ausbruch der Kampfhandlungen, stellte Napoleon III. während der sog. Schlacht von Sedan sein persönliches Schicksal hinter das seiner ca. 80.000 Soldaten und rettete ihnen damit das Leben. Wohl wissend, dass dieser Schritt das Ende seiner Regierung bedeutete, kapitulierte der Kaiser und ging in preußische Internierung nach Kassel. Damit verhielt er sich als verantwortungsbewusster Offizier, so wie es ihm einst in der badischen und Berner Armee beigebracht worden war.
„Chapeau", „Hut ab" geht einem durch den Kopf, vor allem, wenn man bedenkt, dass die deutsche und französische Geschichte voll von Männern ist, die leider diese Größe nicht besaßen. Darunter zählt übrigens auch sein Onkel, Napoleon I. der die ihm anvertrauten Soldaten gleich dreimal (bei den Pyramiden, an der Beresina sowie in Waterloo) im Stich ließ und sich lieber nach Frankreich absetzte. Paradoxerweise gilt er bis heute als der „Grosse", während seinem Neffen immer noch der Makel des „Kleinen" anhängt.
Auf Sedan folgte in Paris ein Umsturz und zwang Eugénie, die schöne Regentin, mit „Loulou", dem gemeinsamen Sohn, nach Großbritannien zu fliehen. Die Dritte Republik etablierte sich. Sie war es, die den ohnehin verlorenen Krieg sinnlos weiter führte und deshalb auch die Abtrennung von Elsass-Lothringen hinnehmen musste.
Napoleon III. bereitete währenddessen von Kassel aus seine Rückkehr an den Bodensee vor und ließ Schloss Arenenberg modernisieren. Praktisch am Tag seiner Abreise entschied er sich aus bisher ungeklärten Gründen um und wählte erneut England als Exil. In der durchaus realen Hoffnung, die stark angeschlagene Dritte Republik durch einen weiteren Putsch zu beseitigen und den Thron wieder zu besteigen, liess er sich dort an seinem verschleppten Blasen- und Nierenleiden operieren. Der Eingriff misslang, Napoleon III. starb am 9. Januar 1873.
Im Urteil der modernen Geschichtsschreibung
Wäre Napoleon III. zu Beginn des Jahres 1870 gestorben, gälte
er wahrscheinlich als einer der erfolgreichsten Staatsmänner
Frankreichs. Immerhin gab es niemanden, der nach Ludwig XIV. länger
und vielleicht auch erfolgreicher regierte als er! Seine Gegner
schmähten ihn als „Napoléon le petit" oder
geißelten seine Regierung gerne als „Operettenmonarchie" und
selbst Proteges, wie General Emile-Félix Fleury, meinten
nach dem Untergang in ihren Memoiren: „Völlig egal,
wie haben uns köstlich amüsiert" . Johannes Willms,
ein ausgewiesener Kenner der Epoche, beschreibt die Problematik
in seiner jüngst erschienen Biografie des Kaisers treffend: „Kein
Bild eines anderen Herrschers schwankt [...] von der Parteien Hass
und Gunst verzerrt derart in der Geschichte, wie das von Napoleon
III. [...] Der schmähliche Untergang des Zweiten Kaiserreichs
hat allzu lange die großen und dauernden Verdienste dieses
Regimes verdunkelt, das nicht nur die Grundlagen für die Modernisierung
Frankreichs schuf [...]. Gegen die Revolution, deren unkalkulierbare
Folgen er fürchtete, setzte Napoleon III. deshalb immer auf
Reformen, die einen kontrollierbaren Fortschritt zu generieren
versprachen. Um das Gelingen dieses Konzepts zu gewährleisten,
verschrieb er sich einem gleichermaßen autoritären wie
behutsamen Vorgehen, dessen Umsetzung angesichts der schieren Komplexität
der Aufgabe notwendigerweise von einer Fülle von Widersprüchen
gekennzeichnet war. Diese nicht nur auszuhalten, sondern auch produktiv
zu überwinden, war eine Herauforderung, die jedoch selbst
die Fähigkeiten eines Napoleon III. übersteigen musste.
Ungeachtet seines Scheiterns gelang ihm dennoch die Lösung
des Grundsatzproblems, das der französischen Politik seit
1789 zu schaffen machte. Allein deshalb kann er als einer der großen
Staatsmänner Frankreichs gelten, der in seiner Bedeutung dem
glorifizierten Onkel, Napoleon I., durchaus nahe kommt."
Was macht Napoleon III. interessant?
Kaum ein Monarch vor und nach ihm besaß solch vielseitige
Talente und Anlagen wie Napoleon III.: Künstler, Schriftsteller,
Gartenbauer, Politiker, Dandy und natürlich leidenschaftlicher
Politiker. Von seinen Biografen völlig unbeachtet, verbrachte
er 23 Jahre, die längste zusammenhängende Zeit seines
Lebens, im deutschsprachigen Raum. Obwohl er sich immer als Franzose
verstand, prägte ihn diese Zeit entscheidend. Deutsch oder
besser „Alemannisch" entwickelte sich zu seiner eigentlichen
Muttersprache. Noch in seiner Zeit als Kaiser warfen ihm Kritiker
vor, er spreche Englisch mit einem französischen, Französisch
mit einem deutschen und Deutsch mit einem alemannischen Akzent.
Direkt nach Attentaten - und er musste einige erdulden - sprach
er für kurze Zeit zunächst auch Deutsch, bis sich die
Aufregung gelegt hatte. Was für ein Skandal! Der Kaiser sah
das anders und setzte diese Fähigkeit gerne zu diplomatischen
Zwecken ein (er beherrschte auch italienisch fließend). Auf
Staatsempfängen verständigte er sich mit seinen Gästen
liebend gerne in deren Landessprache. Sehr zum Schrecken seiner
Minister übrigens, die meist nicht verstanden, was ihr Souverän
gerade aushandelte.
135 Jahre nach seinem Tod befasst sich die Arenenberger und Konstanzer Ausstellung erstmals in einer umfassend-kritischen Retrospektive mit seinem Leben. Dominik Gügel und Christina Egli vom Napoleonmuseum Thurgau beschäftigten sich über drei Jahre intensiv mit den reichlich vorhandenen Quellen und entdeckten eine Person, die spannender nicht sein könnte.
Längst verloren geglaubte oder völlig unbekannte Exponate wurden gefunden und warfen ein neues Bild auf den Kaiser. Mit Napoleon III. gilt es nun eine bedeutende Gestalt der französischen, Schweizer, deutschen und europäischen Geschichte neu zu entdecken, die in der bisherigen Geschichte weitgehend auf die Bedeutung eines „nützlichen Crétin" reduziert wurde.
Wie sah sich der Kaiser selbst?
Napoleon III. beurteilte seine Leistungen mit einem guten Schuss
Selbstironie und meinte: „Was für eine Regierung ist
die meine! Die Kaiserin ist Legitimistin, Napoléon Jérôme
Republikaner, Morny Orleanist; ich selbst bin Sozialist. Einzig
Persigny ist Bonapartist, aber er ist verrückt!"
Autor: Dominik Gügel M.A., Direktor Napoleonmuseum Thurgau
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