Zum Zeitpunkt der Fragebogenerhebung 1894 waren einst bunte
und regional differenzierte Trachtenlandschaften in Baden seit
Jahrzehnten weitgehend verschwunden. Dank intensiver pflegerischer
Maßnahmen hatten sich allerdings in einigen Landstrichen,
insbesondere im Schwarzwald und in der Rheinebene, festliche
Trachtenformen erhalten oder waren als fest geschriebene bäuerliche
Standeskleidung wiederbelebt worden.
Die Aufgabe der Tracht als lokal- oder regionaltypische Kleidungsform
wurde gegen Ende des 18. Jahrhunderts durch den Wegfall der
herrschaftlichen Kleiderordnungen, vor allem aber durch ein
vergleichsweise bezahlbares Angebot an Kleiderstoffen (industrielle
Textilproduktion) begünstigt. Modische Orientierung empfing
man nun aus den Metropolen des europäischen Bürgertums
und nicht mehr aus der eigenen ländlichen Residenz. Bürgerliche
und bäuerliche Kleidungsmuster rückten einander näher
- der Landmann übernahm für sein Festtagsgewand den
langen, steifen Gehrock, die Knie- oder Langbeinhose sowie
als Kopfbedeckung den eleganten Zylinder oder auch breitkrempigen
Hut. Das Trachtenkleid der Landfrauen orientierte sich im Zuschnitt
an stilistischen Vorgaben des Empire mit der charakteristischen
hoch angesetzten Taille.
Die
neue Kleidungsfreiheit brachte rasch die alten bäuerlichen
textilen Formen zum Verschwinden. Deutlich früher als
ihre Frauen wandten sich die Männer den bürgerlichen
Modevorgaben zu, jedoch folgten auch die Frauen bald dem attraktiven
Wechsel modischer Neuheiten. Wie stets im Falle bedrohter kultureller Überlieferungen
riefen Obrigkeit und Bildungsbürgertum bewahrende und
pflegerische Maßnahmen ins Leben. Noch vorhandene Trachtenformen
wurden im Auftrag der herrschaftlichen Landesbeschreibung von
den Historikern Aloys Schreiber (Trachten Volksfeste und Charakteristische
Beschäftigungen im Großherzogtum Baden in XII malerischen
Darstellungen. Freiburg 1823) und Joseph Bader (Badische Volkssitten
und Trachten. Karlsruhe 1843/44) beschrieben sowie von offiziell
beauftragten Malern wie Johann B. Tuttine' (1 838-1 889), Heinrich
Issel (1854-1934) oder Rudolf Gleichauf (1826- 1896) in prächtigen
Bildern dokumentiert, teilweise ergänzt oder ganz rekonstruiert.
Bürgerliche Vereinigungen nahmen sich der ländlichen
Traditionspflege an, Schriftsteller wie der Straßburger
Journalist und Künstler Charles Lallemand (LES PAYSANS
BADOIS. STRASBOURG, Baden-Baden 1860) oder der Freiburger Pfarrer
Heinrich Hansjakob (Unsere Volkstrachten. Freiburg 1896) priesen
die sittlichen und kulturellen Leistungen des in Tracht gewandeten
Landvolks. In dieser Zeit wurden viele der heute bekannten
badischen Trachten kanonisiert und ihr künftiges Erscheinungsbild
festgeschrieben.
Im Jahrzehnt der Fragebogenerhebung hatten Trachtenkunde und
-pflege ihr Wirken bereits voll entfaltet: Farbenfrohe Umzüge
mit Tausenden von Zuschauern (Karlsruhe 1881, 1885), Trachtenfeste
mit großherzoglichen Besuchen (Freiburg 1895, Haslach
1899) und viele örtliche Trachtenvereinsgründungen
unter tatkräftiger Mithilfe bürgerlicher Förderer
wie Heinrich Hansjakob und Wilhelm Hasemann verhalfen dem badischen
Trachtenwesen zu neuer Blüte. Selbst die Landesmutter,
Großherzogin Luise, zeigte sich bei passender Gelegenheit
im schmucken Gutacher Gewand (mit dem Bollenhut).
Die Tracht war zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem im
südlichen und mittleren Schwarzwald, im Hotzenwald und
in der Rheinebene zwischen Offenburg und Achern anzutreffen,
im nördlichen Baden sowie im Odenwald dominierte bürgerliches
Kleidungsverhalten, nur vereinzelte Trachtenbelege wurden genannt.
Männer in Tracht konnten kaum mehr wahrgenommen werden.
Ein auffallender Schwerpunkt des Trachtenbestands lag in einem
breiten Bogen östlich und südlich um Freiburg. Hier
hat wohl der unermüdlich wirkende Schriftsteller und Trachtenfreund
Hansjakob mit seinem 1893 gegründeten „Verein für
Erhaltung der Volkstrachten" und seinen Mitkämpfern
Fridrich Pfaff, Elard H. Meyer und anderen erfolgreich gewirkt.
Andere, ebenfalls bekannte badische Trachtenregionen, z.B.
das Markgräflerland, die Baar oder der Kraichgau, fanden
in der Fragebogensammlung keinen Niederschlag, da die entsprechenden
Gemeinden jegliche Mitarbeit am Feldprojekt von 1894 aus unbekannten
Gründen unterließen.
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