Der Traum vom Orient, wie er seit einigen Jahrhunderten
den Westen beschäftigt, ist eines der Themen von kulturer.be.
La Turquerie, der geistige Hintergrund der Moschee im Schwetzinger
Schlossgarten, ist dabei weniger eine konkrete und differenzierte
Auseinandersetzung mit dem Morgenland und seinen Ideen
und Idealen als vielmehr Ausdruck einer fast schon naiven
Freude am Exotischen einerseits, Versuch der Bewältigung
eines Angsttraumas andererseits. Weist jenes mit chinesischen,
japanischen, türkischen, persischen, arabischen Elementen
durchaus austauschbare Versatzstücke auf, geht dieses
auf die Gefährdung des mitteleuropäischen Raums
durch die damals stärkste Militärmacht des Kontinents
während des 15. bis 17. Jahrhunderts zurück.
So ist gerade Mozarts zauberhaftes Singspiel „Die
Entführung aus dem Serail“ mit seiner gegensätzlichen
Rollenverteilung von Bassa Selim, dem Weisen, der mit ebendieser
Weisheit alle Feindschaft zunichte macht, auf der einen
Seite, und dem tumben Osmin, der so überzeichnet wird,
dass man ihn schon nicht mehr ernst nehmen muss, auf der
anderen Seite, eines der bekanntesten Stücke aus diesem
Genre.
Selim, die Verkörperung dieser idealisierten orientalischen
Weisheit, gab auch den Titel für die Oper des Komponisten
am schwedischen Hof Franz Xaver Kraus „Soliman der
Weise“, und auch Christoph Willibald Gluck konnte
mit seiner Oper „Die Pilger von Mekka“ („Le
rencontre imprevue“) nicht am Thema vorbei gehen.
Diese thematische Sammlung war indes nur ein kleines
Aspekt des Konzerts, mit dem das Mannheimer Nationaltheater
am 20.7.2010 als
Gastgeber im Rahmen seines „Mozartsommers“ einen
musikalischen „Blick“ auf den Orient werfen
ließ. Es war das inzwischen für seine klare
und schon fast sinnlich zu nennende Aufführungspraxis
bekannte „Concerto Köln“, das einen Abend
lang seine Hörer in den Bann zog. Sinfonische Geschmeidigkeit,
die oft zum Klischee wird, tritt bei deren Spiel zurück
zugunsten des ganz eigenen und differenzierten Klangs der
historischen oder am historischen Original orientierten
Instrumente.
Concerto Köln bei einer Aufführung (© Concerto Köln) Ganz anders die Versuche, osmanische Musik nach Europa
zu bringen. Hier sind Wojciech Bobowski alias Ali Ufki
(1610 – 1675) zu nennen oder Dimitrij Cantemir (1673 – 1723),
die beide versuchten, die Musik der osmanischen Zeit in
europäische Notensprache zu übersetzen – und
damit der Nachwelt überlieferten.
Damit ist der dritte Aspekt des Abends angesprochen.
Spielte Concerto Köln die „westliche Version“ eines
osmanischen Stücks, bot die Gruppe „Sarband“ einmal
dasselbe Stück im osmanischen Original. Und es war
tatsächlich kaum wiederzuerkennen. Sarband, das ist
die von Dr. Vladimir Ivanoff 1986 gegründete Gruppe,
die sich der orientalischen Musik verschrieben hat – nicht
der orientalisierenden, sondern der authentischen. Und
beide zusammen – Concerto Köln und Sarband – boten
einen hinreißenden Abend voller musikalischer Überraschungen
mit orientalisierender Musik aus dem Abendland und authentischer
Musik aus dem Morgenland. Der Berichterstatter ging allerdings nicht unvoreingenommen
in das Konzert. Orientalismen waren ihm schon vorher ebenso
bekannt – es war einleitend schon angedeutet – wie
die Musik der beiden Orchester. So war es aber auch um
so auffallender, dass im Shop des Nationaltheaters die
ganz wunderbare CD „Dream of the Orient“, die
die beiden Ensembles eingespielt hatten, ebenso wenig zum
Verkauf stand wie die nur wenig neuere Produktion „The
Waltz – ecstasy and mysticism“. Vergleicht
man allerdings die CD-Einspielung mit dem Life-Konzert,
dann wäre es ein Versäumnis gewesen, die Aufführung
nicht zu besuchen. Sie war noch um einiges lebendiger,
unmittelbarer und natürlicher.
Nachtrag im August 2010:
Ließ das Konzert einen musikalischen Blick des Westens
auf den Orient werfen, gibt die aktuelle Ausstellung im
Museum beim Markt in Karlsruhe einen umgekehrten Blick
des Orients auf den Westen und zeigt, wie der Westen in
Vergangenheit und Gegenwart im Osten „ankam“ bzw., „ankommt“.
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