4.4.09
Unser Kommentar:
Mehr Besucher ins Schloss?
Neuschwanstein mit seinen 1,3 Millionen Besuchern jährlich
ist die Zielmarke für den neuen Geschäftsführer
der neuen „Schlösser und Gärten“ Baden-Württembergs.
Das ist zunächst einmal nicht so schrecklich viel, das bedeutet „nur“ eine
Steigerung der Besucherzahlen um 30%.
Auch wenn Michael Hörrmann kaum Neuschwansteiner Verhältnisse
in Heidelberg möchte – wer Neuschwanstein kennt, diese
für Gäste aus Fernost oder dem nicht weniger fernen
Amerika „deutscheste“ aller deutschen Kulissen, dem
mag schon bei der Nennung des Begriffs das Blut in den Adern
gefrieren. Lange Besucherkolonnen, die im Takt durch den Bau
geschleust werden, die erzählt bekommen, welchen Traum sich
hier ein am Leben und an der rauen Wirklichkeit verzweifelnder
Bayernkönig zusammengezimmert hat, und die wieder gehen,
in dem sicheren Gefühl, jetzt „Deutschland“ gesehen
zu haben –das ist ganz sicher nicht die Zielvorstellung
für Heidelberg.
Heidelberg ist kein Traum. Heidelberg war die Residenz eines
der ranghöchsten deutschen Fürsten, vielfach in die
eigene Geschichte, die Wittelsbacher Hausgeschichte und schließlich
in die deutsche und europäische Geschichte verwoben und
verstrickt. Hier kulminieren 5 Jahrhunderte Geschichte. Das lässt
sich nicht im Zehnminutentakt vermitteln, das erfordert mehr.
Mehr Zeit, mehr Gespür, mehr Didaktik. Mit all dem sind
Schlösser und Gärten und das Service-Center auf dem
richtigen Weg. Mit einem einfachen „mehr“ ist das
nicht getan.
Vermittelt das Schloss seinen Bürgern, damit dieser unsägliche
Spruch, dass Heidelberger nie aufs Schloss gehen, endlich in
der Müllkiste der Vergangenheit verschwindet. Wer an Sonderführungen
teilnimmt, weiß, dass der Spruch längst nicht mehr
stimmt. Macht Angebote für bildungsferne Schichten, mehr
und preisgünstigere Angebote für Schulklassen – hier
können sich Sponsoren verwirklichen, können ihr soziales
Herz schlagen spüren. Nur eine im Herzen der Bevölkerung
verwurzelte Kulturgeschichte vermag ein lebendiges Bewusstsein
zu schaffen – nicht eine Kulisse, von der der eine oder
andere dann denkt, dass der Bauherr wohl doch nicht ganz richtig
im Kopf war.
Und schließlich: 30% mehr Besucher im Schloss – das
sind auch 30% mehr Verkehr. Vielleicht sollten wir erst an dieser
Stelle ansetzen, die Wege hinauf anders gestalten, damit nicht
jedes Prozent mehr den Heidelbergern an den Nerven zehrt.
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