Das irdische Paradies


Über das Werk Edward Burne-Jones'

 

Topsy und Ned – zwei viktorianische Dioskuren
Die Bildfolgen zu Dornröschen, Perseus oder König Artus und den Rittern der Tafelrunde waren meist nicht als isolierte Kunstwerke konzipiert, sondern Teil einer umfassenden Raumausstattung mit Möbelstücken, Tapeten, Glasmalereien und anderen plastischen oder textilen Arbeiten. Für diesen Aspekt im Schaffen von Burne-Jones ist seine lebenslange Freundschaft mit William Morris (1834-1896), Dichter und Begründer der Arts and Crafts-Movement, von großer Bedeutung. Morris gilt heute vor allem als Vater des modernen Designs, als Wegbereiter der Ästhetik von Jugendstil und Bauhaus. Dabei war Morris nicht weniger als ein uomo universale des 19. Jahrhunderts, ein begnadeter Dichter, ein umfassend gebildeter Literaturwissenschaftler, Historiker, Maler und Architekt. Mit Burne-Jones, mit dem ihn seit Oxforder Studientagen eine unzertrennliche Freundschaft verband, teilte er vor allem die romantische Begeisterung für Kunst, Literatur und Ästhetik des Hohen Mittelalters und der italienischen Renaissance. Die beiden Künstler verbindet der Wunsch, die Schönheit dieses Goldenen Zeitalters der europäischen Kultur in der eigenen, von der industriellen Revolution geprägten Lebenswirklichkeit wiedererstehen zu lassen. Ihr Streben nach einer moralischen Erneuerung der viktorianischen Gesellschaft spiegelt sich in ihren Werken wider: Das darin enthaltene Heilsversprechen ist letztendlich Ausdruck einer spirituellen Suche, die auch die Werke Schumanns, Wagners und Franz Lizsts wie einen roten Faden durchzieht. Die Karikaturen, in denen Burne-Jones (von Morris „Ned“ genannt) seine Begegnungen mit „Topsy“ (sein Kosename für Morris) festhält, lassen erahnen, dass die physisch so unterschiedlichen Freunde verschiedene Wege einschlagen würden: Der schlaksige Burne-Jones erscheint als zweifelnder, in sich gekehrter Mystiker, während der kleine, untersetzte Morris den unentwegten „Macher“ verkörpert (Kat. 10).

Dekorationsaufträge für Morris & Co.
Edward Burne-Jones/ Morris & Co., Der Pilger im Garten oder Das Herz der Rose, Entwurf ca. 1890, gewebt 1901, 1861 gründete Morris, unter anderem mit Rossetti und Burne-Jones als Teilhabern, die Firma Morris, Marshall, Faulkner & Co. für Dekoration und Innenarchitektur. Burne-Jones arbeitete hauptsächlich als Entwerfer von Glasfenstern und Raumdekorationen in Gestalt von Stickereien, Tapisserien und Mosaiken, während Morris die nicht-figürlichen dekorativen Bordüren lieferte und die Farbstellung festlegte. Daneben entwarf Morris Wandbespannungen, Vorhangstoffe und später seine berühmten Tapeten. Durch wichtige Aufträge und die Teilnahme an weithin beachteten Ausstellungen konnte sich die Firma schnell als führender Lieferant hochexklusiver Innenausstattungen etablieren. So wurde sie 1871 mit der Ausstattung des Dining Room für Palace Green beauftragt, die neu erbaute Residenz des Earl of Carlisle unweit des Kensington Palace. Burne-Jones entwarf einen umlaufenden Fries mit der Geschichte von Amor und Psyche (Kat. 44 – 55), die in eine von Morris gestaltete Wand- und Deckenbemalung eingebettet war. 1874 erhielt die Firma von dem Industriellen Isaac Lowthian Bell den Auftrag zur Ausstattung des Speisezimmers von Rounton Grange bei Northallerton. Für diesen Raum entwarf Burne-Jones einen in Stickerei ausgeführten Fries mit Themen aus dem Roman de la Rose, den die Frau und die Tochter des Auftraggebers in jahrelanger Handarbeit realisierten (Abb. 1).

Edward Burne-Jones, Der Heilige Georg tötet den Drachen, 1868Aus diesen Entwürfen entwickelte Burne-Jones seine späteren Bilderfindungen zu Themen aus der mittelalterlichen Liebesallegorie (Kat. 1-6). Für das im Tudorfachwerkstil erbaute Haus The Hill, das sich der Künstler und Sammler Myles Birket Foster bei Witley, Surrey, hatte erbauen lassen, lieferte die Firma ab 1862 von Burne-Jones entworfene Glasfenster und Kamineinfassungen zu den Themen Aschenputtel, Die Schöne und das Biest und Dornröschen (Kat. 114). 1865 gab Foster bei Burne-Jones den zentralen Künstlerschmuck in Auftrag, einen Georgszyklus (Kat. 27-36), der das Speisezimmer friesartig umlaufen sollte.

Nachdem sich Morris im Selbststudium die Kunst der spätmittelalterlichen Teppichweberei angeeignet hatte (Kat. 19), nahm die Firma auch großformatige Bildteppiche in ihr Angebot auf. Den Auftrag des Unternehmers William Knox D’Arcy zur Ausstattung seines neu erworbenen Landsitzes Stanmore Hall in Middlesex nahmen Morris und Burne-Jones zum Anlass, ab 1890 eine Serie von Bildteppichen zu ihrem gemeinsamen Lieblingsbuch zu entwerfen, Le morte d’Arthur (1469) des englischen Adligen Sir Thomas Malory. Sie wählten die Geschichte der Suche nach dem Heiligen Gral für eine Folge großformatiger Tapisserien aus, die das weitläufige Speisezimmer schmücken sollten (Kat. 132-141). Die Essenz dieser Erzählung über Schuld, Vergebung und Erlösung ist bereits in vier kleinen Glasfenstern enthalten, die Burne-Jones 1886 für sein eigenes Anwesen in North End House in Rottingdean unweit Brighton entworfen hatte (Kat. 126-129). Für die Firma entwarf Burne-Jones zudem einzelne Tapisserien und Glasfenster wie Die Anbetung der Könige und Der gute Hirte zwischen Samuel und Thimoteus (Kat. 130 und 142). Der Erfolg dieser Entwürfe führte zu einer bis weit ins 20. Jahrhundert hinein anhaltenden Nachfrage nach den Produkten von Morris & Co. Noch in den späten 1920er Jahren wurden einzelne Motive der Artus-Serie auf Bestellung gewebt und geliefert.

Erzählerischer Fluss und dekorativer Stillstand – Das Prinzip der Serie
Aus seiner Tätigkeit als Designer raumbezogener und raumprägender Bildzyklen, aber auch aus seiner Arbeit als Illustrator bezog Burne-Jones die Inspiration für eigene erzählerische Serien. Die Lektüre von Grimms Märchen sowie die Betrachtung der Illustrationen Ludwig Richters bilden den Ausgangspunkt der Beschäftigung mit dem Dornröschen-Thema, das Burne-Jones in insgesamt drei vollendeten Bildzyklen behandelte (Kat. 114-125). Genuine Probleme des Künstlertums sind Gegenstand der Pygmalion-Serie (Kat. 37-40), die stilistisch eine Öffnung in Richtung der griechischen Antike mit sich bringt. Als Reverenz an Morris’ großes Gedicht The Earthly Paradise ist schließlich die Perseus-Serie zu verstehen (Kat. 62-113.), die ab 1875 im Auftrag des späteren britischen Premierminister Arthur James Balfour für das Gesellschaftszimmer in dessen Londoner Haus entstand.

Edward Burne-Jones, Das Schreckenshaupt, 1885-87Mit seinen erzählerischen Bildzyklen knüpfte Burne-Jones bewusst an malerische Raumdekorationen der italienischen Renaissance wie etwa Andrea Mantegnas Triumphzug Cäsars an. In der Perseus-Folge blieben die dramatischen Szenen um die Auffindung und Tötung der Medusa unvollendet; dafür wurden stillere Episoden wie Perseus und die Graien und das zuerst vollendete Schreckenshaupt (1879, Kat. 109) zur kunstvollen Choreographie und gedankentiefen Beziehungsallegorie ausgestaltet. Der oftmals verschlungene Prozess der Werkentstehung verhilft den Zyklen zu einer dekorativen Harmonisierung, die eine ganz unmittelbare Wirkung auf den Betrachter entfaltet. Die Arbeit an den Details und den Figurenkonstellationen bringt erst die symbolistischen und surrealen Konstellationen hervor, welche die eigentliche Faszination von Burne-Jones’ Kunst ausmachen. So entsteht die eigentümliche Rüstung des Perseus aus einer originellen Vermischung textiler und metallischer Rüstungsteile. In der fast sakralen Ruhe des Schreckenshauptes nimmt ein Bild-Mysterium von geheimnisvoller Schönheit zusehends die Stelle der Nacherzählung der literarischen Vorlage ein.

Sidonia von Bork und König Artus – Nicht-serielle Meisterwerke
Edward Burne-Jones, Sidonia von Bork 1560, 1860In der ersten Retrospektive im deutschsprachigen Raum werden neben den erzählerischen Zyklen auch nicht-serielle Hauptwerke aus allen Schaffensphasen Burne-Jones’ gezeigt. Seine frühesten, in ihrer kraftvollen Buntfarbigkeit noch ganz Rossetti verpflichteten malerischen Arbeiten greifen Themen der deutschen romantischen Literatur auf. Die beiden kleinformatigen Gouachen Sidonia von Bork und Clara von Bork (1860, Kat. 22/23) basieren auf Wilhelm Meinholds heute vergessenem Schauerroman Sidonia von Bork, die Klosterhexe (1848). Burne-Jones zeigt keine dramatische Erzählszene, sondern stellt die Antagonistinnen, die schöne, aber abgrundtief böse Sidonia und die herzensgute Clara einander gegenüber. Auch in Burne-Jones’ Hauptwerk Das Glücksrad (Kat. 147), wie der Perseus-Zyklus ein Auftrag Arthur Balfours, ist es eine Frau, Fortuna, die gleichgültig das Rad dreht, auf dem Dichter, König und Sklave hilflos ihrem Schicksal entgegensehen. Die Frau als Klagende und Hoffende begegnet dem Betrachter im monumentalen, unvollendet hinterlassenen Vermächtnisbild des Malers, Der Schlaf des König Artus in Avalon (Kat. 149). Burne-Jones identifizierte sich so sehr mit dem von jugendlich-schönen Königinnen betrauerten Keltenkönig, dass er selbst im Schlaf dessen Haltung einnahm. Zu den Topoi der Artussage gehört, dass Artus in seiner letzten Schlacht nicht gestorben ist, sondern auf einer verwunschenen Insel schläft, um nach seinem Erwachen England zu retten.

„Sucher des Inneren im Äußeren“
Burne-Jones war sich der visionären Kraft seiner Kunst bewusst und sah sich in einer Rolle ähnlich einem Schamanen, der kraft seiner Selbstkenntnis und seines Wissens um alternative Realitäten in der Lage ist, seinen Mitmenschen den Zauber seiner Welt zu offenbaren. Burne-Jones nutzte seine Kunst, um einer Welt, die er als grau und industrialisiert empfand, die Lebenskraft der Schönheit zurückzugeben. Sein Weg führt ihn zusehends weg von der Sicherheit und Geborgenheit des romantischen Geschichts- und Kunstverständnisses und von der Möglichkeit, Form und Inhalt im überkommenen Sinn zur Deckung zu bringen. Während der lebensvolle Tatmensch Morris zeitlebens an seinem Ideal eines „bunten“ Mittelalters festhielt, wurde Burne-Jones zusehends zu einem „Sucher des Inneren im Äußeren“ (Wassily Kandinsky). Seine späten Artus- und Gralsbilder sind mystische Gleichnisse, deren inhaltliche Offenheit auf Bildstrategien des Symbolismus und Surrealismus vorausweist.

     
 

im Detail:

Website
(weitere Informationen):

Staatsgalerie Stuttgart

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