Die Michelsberger Kultur und ihre Nachbarn


Über den grundlegenden Kulturwandel

 

Interview: „Der Kulturwandel betraf nicht nur Technik und Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft und die geistige Welt“

Kathrin Weber M.A. ist wissenschaftliche Volontärin am Badischen Landesmuseum Karlsruhe und unterstützt Dr. Clemens Lichter als Mitkuratorin der großen Sonderausstellung „Jungsteinzeit im Umbruch. Die 'Michelsberger Kultur’ und Mitteleuropa vor 6.000 Jahren“. Im Interview fasst sie Thesen und Themen der Ausstellung zusammen.

Der Michaelsberg bei Bruchsal-Untergrombach im Landkreis Karlsruhe ist Ausgangspunkt Ihrer Ausstellung. Wann hat man diese Fundstelle entdeckt?
Vor über 125 Jahren. 1884 las der Königliche Konservator für die preußische Provinz Hessen-Nassau, Karl August von Cohausen, bei einem Spaziergang auf dem Michaelsberg bei Bruchsal-Untergrombach an der Michaelskapelle die ersten Scherben auf. Bereits 4 Jahre später - 1888 - fanden erste Grabungen des Karlsruher Altertumsvereins auf dem Michaelsberg statt.

Was wurde da gefunden?
Überirdisch hat sich gar nichts erhalten. Alles, was man aus dieser Zeit finden und nachweisen kann, sind Gruben und Negativbefunde wie Gräben, Löcher, Eintiefungen (für den Hausbau beispielsweise) und das, was sich im Laufe der Jahrtausende in diesen abgelagert hat. Das bedeutet: Man kann zwar nachweisen, dass es zum Beispiel Grabenanlagen, Häuser und so weiter gab. Wie diese aber genau ausgesehen haben, kann man nur rekonstruieren. Auf dem Michaelsberg wurden zum Beispiel rund 100 Siedlungsgruben gefunden, verfüllt mit Keramik, Tierknochen, Geweih- und Steinwerkzeugen und auch menschlichen Skelettresten. Ebenso stießen die Archäologen auf die für die Michelsberger Kultur so typischen „Erdwerke“, deren Funktion aktuell diskutiert und in der Ausstellung thematisiert wird.

Wie muss man sich das Leben vor 6000 Jahren vorstellen?
Das ist schwer zu sagen. Von der Michelsberger Kultur haben wir extrem selten Hausnachweise und nur wenige „reguläre“ Bestattungen finden können. Die Ausstellung vermittelt deshalb sowohl anhand der Michelsberger Kultur als auch der gleichzeitig lebenden Nachbarkulturen einen Eindruck davon, welche Technologie und welche Wirtschaft die damalige Lebensweise charakterisierte, welche Geräte den Menschen zur Verfügung standen und welche Kleidung sie möglicherweise trugen. Zu den Exponaten zählen Keramikgefäße und Erntegeräte, Waffen, Schmuck und – was besonders spannend ist – Fasern und Gewebe aus Pflanzen, die vermutlich auch als Kleidung gedient haben.

Ihre Ausstellung heißt „Jungsteinzeit im Umbruch“: Wie zeigte sich der Umbruch?
Die Steinzeit wird in die Alt- und die Jungsteinzeit unterteilt. In der Altsteinzeit lebten die Menschen als umherziehende Jäger und Sammler. In der Jungsteinzeit wurden die Menschen sesshaft und versorgten sich als Bauern und Viehzüchter. Die Ausstellung behandelt eine bedeutende Fortentwicklung innerhalb der Jungsteinzeit, also nach diesem ersten epochalen Wandel. Sie setzt etwa 1000 Jahre nach der Einführung von Ackerbau, Viehzucht und Sesshaftigkeit ein. Zu dieser Zeit, im ausgehenden 5. und 4. Jahrtausend v. Chr., kam es in Mitteleuropa zu tief greifenden Veränderungen. In Südosteuropa hat man für diesen Abschnitt den Epochenbegriff der „Kupferzeit“ geprägt. Im kupferarmen Mitteleuropa allerdings hat sich dieser Terminus nie durchgesetzt.

Können Sie für diesen beschriebenen Umbruch ein paar ganz konkrete Beispiele nennen?
Zum einen kam es offenbar zu einer veränderten Siedlungsweise. In dieser Zeit wurden erstmals die Uferbereiche der Voralpenseen besiedelt, und auch in die norddeutsche Tiefebene weitete sich die neolithische Lebensweise aus. In Mitteleuropa entstanden regelrechte Dorfbilder mit Bauten, die erstmals an Gassen entlang angeordnet waren. Zahlreiche Siedlungen wurden außerdem befestigt. In der Landwirtschaft veränderte sich die Produktionsweise: Es wurden neue Anbaumethoden entwickelt.

Nutztiere wurden nicht mehr nur als „lebender Fleischvorrat“ gehalten, sondern auch als Zug- und Lasttiere bei der Arbeit sowie als Lieferanten von Milch und schließlich Wolle. Rad und Wagen waren umstürzende Erfindungen – ebenso wie der Pflug. Der intensivierte Abbau mineralischer Rohstoffe sowie das Auftreten von Kupfer als neuer Werkstoff wurden weichenstellend für spätere Entwicklungen. Solche Neuerungen beförderten die Arbeitsteilung und das Spezialistentum. Die wirtschaftlichen Veränderungen wirkten sich offenbar direkt auf die Gesellschaft aus: Einzelne Personen zeichneten sich durch den Besitz von Prestigegütern aus Metall oder wertvollem Gestein als ranghöher aus. Die Bestattungssitten änderten sich. Der Kulturwandel betraf somit nicht nur Technik und Wirtschaft, sondern auch die soziale und geistige Welt.

Was ist das Bemerkenswerte an Ihrer Ausstellung?
Besonders interessant sind Funde aus den Feuchtbodensiedlungen. Von dort haben wir organische Objekte, die unter Sauerstoffabschluss die Zeiten überdauerten. Das bislang älteste vollständig erhaltene Holzrad Mitteleuropas, die ältesten Kupfer- und Edelmetallfunde Mitteleuropas sowie eine der ältesten Türnachweise Mitteleuropas zählen zu den Highlights der Ausstellung. Außerdem sind attraktive Fundstücke zu sehen wie eine Kupfer-, eine Silber- und einige Goldscheiben. Und es wird einen ganz besonders zugerichteten Menschenschädel zu sehen geben …

Wie präsentiert die Ausstellung dieses spannende Thema?
Anhand anschaulicher Inszenierungen im Maßstab von 1:1, Modellen und Nachbauten. Eine Fühlstation in der Ausstellung und die sich anschließende „Steinzeitwerkstatt“ bieten Möglichkeiten, selbst aktiv zu werden.

Warum sollte man sich die Ausstellung ansehen?
Die Ausstellung möchte eine lang zurück liegende Zeitepoche mit all ihren innovativen Entwicklungen anschaulich machen und dem Besucher vermitteln. Die Objekte führen das Leben vor 6000 Jahren vor Augen, und manche machen sogar deutlich, dass sich damalige Werkzeuge von einigen der heutigen Zeit gar nicht mal so sehr unterscheiden. Daher ist es spannend, Vergleiche zwischen den ausgestellten Objekten und heute gebräuchlichen Gerätschaften zu ziehen, sich die Entwicklung seit der Jungsteinzeit vorzustellen und Parallelen zu entdecken.

Fragen von Gesa Dördelmann und Dr. Christiane Dätsch

 

    Text & Bilder: Badisches Landesmuseum Karlsruhe

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