Paul
Egell, geboren 1691, wurde von seinen Zeitgenossen als bedeutendster
kurpfälzischer Bildhauer hochgeschätzt, wobei er sich
parallel auch als begabter Zeichner einen Namen machte.
Da sich Egells plastisches Werk in großen Teilen nicht
erhalten hat, gewinnen seine Entwürfe und Zeichnungen zusätzlich
an Bedeutung. Über seine Jugend, seinen künstlerischen
Beginn gibt es keine gesicherten Erkenntnisse. 1716 wird er erstmals
in Bamberg erwähnt und im darauffolgenden Jahr tritt er
als Mitarbeiter Balthasar Permosers in Dresden in Erscheinung,
wo er in den folgenden Jahren am Figurenschmuck des Zwingers
mitwirkte. 30jährig stand er schließlich in pfälzischen
Diensten - 1721 war er in Oggers- heim mit Arbeiten am Schloss
betraut. Es folgten Aufträge für Mannheim, wo sich,
nachdem Kurfürst Carl Philipp die Residenz von Heidelberg
nach Mannheim verlegt hatte, eine rege Bautätigkeit entwickelte.
Unter Carl Philipp und seinem Nachfolger Carl Theodor gewann
Mannheim zunehmend Bedeutung als wichtiges kulturelles Zentrum
und zog weitere bedeutende Künstler an den Hof. So kam beispielsweise
Alessandro Galli da Bibiena als kurpfälzischer Hofarchitekt
nach Mannheim und die Brüder Asam wirkten bei der Ausgestaltung
der Jesuitenkirche und des Schlosses mit. Egell entfaltete sein
Können als Bildhauer, Bauplastiker und Entwerfer von Stuckornamenten
und Möbeln u. a. bei der Ausstattung des neuen Residenzschlosses
und der Jesuitenkirche. Honoriert wurde seine Arbeit schließlich
durch seine Ernennung zum kurpfälzischen Hofbildhauer, wobei
er weiterhin auch für bürgerliche Auftraggeber arbeitete.
Anfang der 40er Jahre war er in Würzburg (Residenz) tätig
und reiste schließlich 1744 nach Italien, wo ihn in Rom
und Florenz die Werke Gian Lorenzo Berninis in besonderer Weise
beeindruckten. Acht Jahre später starb er in Mannheim.
Bei seinen zeichnerischen Arbeiten gehört die Lavierung
zu Egells bevorzugten Ausdrucksmitteln – hatte er sie bei
seinen frühen Arbeiten nur ergänzend, akzentuierend
zu Strichrundungen und gestrichelten Schattierungen eingesetzt,
gewinnt sie bei den späteren Arbeiten mehr und mehr Gewicht.
So umreißt Egell auch bei dem vorliegenden Blatt mit der
Feder lediglich grob die Umrisse, um dann mit dem Pinsel in Grauschattierungen
nuanciert lavierend die Zeichnung „malerisch“ auszuarbeiten.
Die Feder kommt erst abschließend wieder zum Einsatz, um
Details zu betonen und im Sinne des Texturgradienten Räumlichkeit
zu suggerieren. Dieser für Bildhauerzeichnungen ungewöhnlich
malerischen, „bildhaften“ Auffassung (im Gegensatz
zu einer eher konturierten, stark plastisch durchgeformten Darstellung)
entspricht die Rahmung der vorliegenden Darstellung mit einem
breiten, abgestuften Tuschrand mit Feder und Pinsel.
Auf dem Blatt ist im Vordergrund links ein mit erhobenem Haupt
röhrender Hirsch, der sich mit den Vorderläufen auf
einem Sockel oder in einem Bassin mit in Rocaille-Form „sprudelnden“ Wassern
bzw. Ornamenten abstützt, zu sehen.
Darstellungen von Tieren tauchen in Egells Arbeiten erst spät
auf und sind teilweise in ihrer Umsetzung nicht ganz stimmig.
So sind auch die Proportionen des Hirsches, mit seinen verkürzten
Vorderbeinen, etwas dissonant. Anders erscheinen die eleganten
architektonischen und ornamentalen Formen, mit denen Egell dem
französischen Kunstkreis verpflichtet ist.
Dementsprechend findet auch das um 1730 in Frankreich entwickelte
Dekorationsmotiv der Rocaille zeitnah Eingang in sein Werk, setzt
er die Rokoko-Ornamentik, wie hier zu sehen, malerisch leicht
und gewandt ein.
Hinter dem vorderen Bassin (Sockel), dessen flächig in
Grau lavierte Frontseite Platz für fünf kurze Textzeilen
bietet, befindet sich im Mittelgrund ein Springbrunnen mit einer
kompositorisch zentriert positionierten, senkrecht aufsteigenden
Fontäne.
Das herabfallende Wasser zerstiebt auf dem Beckenrand in filigranen,
kaum fassbaren Rocaille- Formen und läuft vorn über
den Brunnensockel in Kaskaden herab. Rechts neben dem Brunnen
erhebt sich leicht nach hinten versetzt ein vasenbekrönter
viereckiger Pfeiler, hinter dem - quasi im Gegensinn bzw. in
einer Gegenbewegung zu dem im Vordergrund platzierten Hirsch
- ein weiterer röhrender Hirsch hervortritt. Im Hintergrund
hinterfängt eine barocke Halbkreisarchitektur mit hohen
Arkadenbögen die Darstellung.
Am unteren Darstellungsrand links in der rocailleartigen Sockel-
oder Bassinform (mit Wasserstrudeln) sind die ersten Zeilen eines
Psalms zu lesen. Die Nummerierung der Psalmen differiert beim
hebräischen Urtext einerseits und den griechischen (Septuaginta)
bzw. lateinischen Übersetzungen (Vulgata) andererseits,
demgemäß wird aus Psalm 42 in der Vulgata Psalm 41.
Martin Luther legte bei seiner Übersetzung den hebräischen
Text zugrunde und so findet sich bei ihm wieder dessen Zählung.
Den unterschiedlichen Zählungen Rechnung tragend werden
die Psalmnummern oft in der Form Ps 42 (41) angegeben, wobei
die hebräische Zählung vorangeht. Egell tut dies nicht
und geht bei seiner Zeichnung vom 41. Psalm nach der Zählung
der Vulgata aus.
Die Zeichnung sollte vermutlich als Vorlage für ein druckgraphisches
Blatt dienen. Für diese Annahme sprächen u. a. das
ausführliche Textzitat sowie die mehrfache Umrandung der
Darstellung. Eine geplante bildhauerische Umsetzung erscheint
dagegen sehr unwahrscheinlich. Zudem unterscheiden sich Bildhauerzeichnung
und Vorlage für Druckgraphik in Ansatz und Ausführung
in Egells Oeuvre schließlich im Großen und Ganzen
nicht mehr. Auch dies würde die Hypothese zulassen, dass
die Zeichnung als Illustration angelegt wurde – eventuell
im Kontext eines Zyklus’ verschiedener Psalmillustrationen
stehen sollte oder stand. Ferner spricht die klar angelegte Komposition,
die einerseits die sprudelnden Wasser (den Springbrunnen auf
der Mittelsenkrechten), andererseits die beiden in einer gegenläufigen
halbkreisförmigen Bewegung angelegten Hirsche (durch ihre
Positionierung im Goldenen Schnitt ebenfalls zentriert) betont
und damit den direkten Bezug zum zitierten (bzw. zu illustrierenden)
Text des Psalms herstellt, dafür.
Anja-Maria Roth
Foto: K. Gattner
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