Am
12. Februar 1559 starb in Heidelberg Kurfürst Ottheinrich.
Beliebt bei seinen pfälzischen Untertanen, rühmen die
Nachrufe vor allem seinen Einsatz für den rechten Glauben,
seine Friedfertigkeit und seinen Kunstverstand: Schon bald nach
seinem Tod verlieh man ihm deshalb den Ehrentitel „der
Großmütige“.
Geboren als Venuskind am 10. April 1502 in Landshut, stand sein
Leben jedoch nicht immer unter einem günstigen Stern. Bereits
mit zwei Jahren verlor er beide Eltern, 1544 musste er wegen
finanzieller Überschuldung sein Herzogtum Pfalz-Neuburg
verlassen, und auch die Kurwürde hat ihm sein Onkel Friedrich
II. lange und erfolgreich vorenthalten. Als Ottheinrich endlich
Anfang März 1556 sein „wartend Erb“ als Kurfürst
im tiefverschneiten Heidelberg antreten konnte, war sein Körper
bereits gesundheitlich so schwer angeschlagen, dass ihm nicht
mehr viel Lebenszeit blieb, seine ehrgeizigen Ziele in die Tat
umzusetzen.
Gleichwohl kann sich die Bilanz seiner dreijährigen Regierungszeit
sehen lassen. So hat er die Reformation nach dem Vorbild Martin
Luthers eingeführt, die Universität als Landesanstalt
modernisiert und sich als großmütiger Förderer
der berühmten Bibliotheca Palatina erwiesen.
Darüber hinaus ist Ottheinrich jedoch vor allem durch die
Errichtung des nach ihm benannten Renaissancepalastes auf dem
Heidelberger Schloss bekannt. Sofort nach dem Regierungsantritt
scheint die Grundsteinlegung des Bauwerks erfolgt zu sein. Mehr
als jeder andere kurfürstliche Bauherr nahm Ottheinrich
auf den Fortgang der Arbeiten Einfluss und trieb die Bauleute
immer wieder zu großer Eile an. Sein Elan entspricht dem
Eindruck, den das Historiengemälde erweckt.
Dort steht der Kurfürst in klassischem Kontrapost in der
Brunnenhalle des Heidelberger Schlosshofs und deutet mit dem
Zeigefinger der rechten Hand auf den Bauplan, den der Architekt
barhäuptig und in devoter Haltung vor ihm ausrollt. Gleichzeitig
protokolliert ein junger Lehrling mit aufmerksamer Miene das
Gespräch zwischen dem herrschaftlichen Bauherrn und seinem
Baumeister.
Der Kurfürst ist zur Inspektion des Baufortschritts mit
großem Gefolge erschienen. Während der Name des Architekten
aus den Quellen bis heute nicht widerspruchsfrei ermittelt werden
kann - unter anderen werden die kurpfälzischen Baumeister
Jacob Heider und Hans Engelhard genannt, auch Caspar Fischer
und jüngst Heinrich Gut aus Speyer sind als Kandidaten im
Gespräch – kann Ottheinrichs Entourage durchaus identifiziert
werden. Unmittelbar hinter ihm steht, ganz im Schatten seines
Herrn, Kanzler Erasmus von Minkwitz, davor der von Ottheinrich
als Berater umworbene Philipp Melanchthon.
Durch die raffinierte Lichtführung wird das gute Einvernehmen
der beiden „Lichtgestalten“ Ottheinrich und Melanchthon
deutlich. Dahinter hat der Theologe Tilemann Heshusen seine Hand
auf die Schulter des Reformators gelegt. Er war auf Melanchthons
Empfehlung als Pfarrer von Heilig- geist, Theologieprofessor
und Generalsuperintendent nach Heidelberg berufen worden, zeitgleich
mit dem Hofprediger Michel Diller, dessen Gesicht durch die beiden
vor ihm stehenden Theologen halb verdeckt wird. Im Schatten der
Säulenarkaden legt ein Bildhauer letzte Hand an eine überlebensgroße
Steinskulptur.
Bei dem Künstler handelt es sich, wie aus einer 1868 aufgefundenen
Vertragskopie vom 7.
März 1558 hervorgeht, wohl um den jungen flämischen
Bildhauer Alexander Colin aus Mecheln bei Brüssel. Die Skulptur,
an der er arbeitet, ist an dem Blitzbündel in der erhobenen
Hand als Jupiter erkennbar. Sie ist zur Aufstellung auf dem Kranzgesims
vor dem rechten Giebel der Fassade des Ottheinrichsbaus vorgesehen,
wo im Hintergrund die buntgekleideten Bauleute auf dem Gerüst
die Fertigstellung der Skulptur erwarten.
Man hat das Gemälde mit guten Gründen schon früh
dem bayrischen Hofmaler Wilhelm von Kaulbach zugeschrieben. Nach
der Ausbildung an der Düsseldorfer Akademie bei Peter von
Cornelius ging er 1826 nach München. Dort ernannte ihn 1837
der bayrische König Ludwig I. zum Hofmaler. Nachdem der
Maler 1849 Direktor der Münchner
Akademie geworden war, begann er mit seinen Entwürfen für
die Fresken an der Neuen Pinakothek, wurde aber vor allem durch
seine satirisch pointierten Illustrationen etwa zu Johann Wolfgang
von Goethes »Reineke Fuchs« oder Friedrich Schillers »Verbrecher
aus verlorener Ehre« populär.
Das Gemälde ist auf der Darstellung unten links mit dem
Siegel „Sekretariat seiner Majestät des Königs
von Bayern“ versehen. Dies ist die Bezeichnung für
das sich nach der Auflösung im Jahre 1848 unter König
Maximilian II. neugebildete Kabinettssekretariat. Es amtierte
bis 1886 und wurde erst nach dem Tode König Ludwigs II.
aufgelöst. Anlass der Versiegelung ist wohl die nach dem
Tod Maximilians im Jahr 1864 eingetretene Testamentsvollstreckung.
Die Entstehung des Gemäldes datiert in die Zeit des sich
in Heidelberg anbahnenden Streits für oder wider eine Rekonstruktion
des Heidelberger Schlosses. Als nämlich 1861 im Schlossberg
Sprengungen für den Eisenbahntunnel durchgeführt wurden
und an mehreren Stellen Risse am Schloss auftraten, begann man
sich von staatlicher und nichtstaatlicher Seite erstmals intensiv
Gedanken um den Erhalt der Ruine zu machen und entwickelte verschiedene
Wiederaufbaupläne.
So konnte man in der Kölnischen Zeitung von 1868 lesen,„das
heidelberger Schloß soll keine Ruine bleiben!“, sondern „in
erneuerter Schönheit und Frische“, weithin leuchtend „als
eine Burg des deutschen Geistes!“ wiedererstehen.
Kaulbach war mit den Heidelberger Verhältnissen bestens
vertraut. Er gehört zu den Befürwortern eines Wiederaufbaus
der Schlossruine. In seinem Gemälde lässt er die Zeit
Ottheinrichs vor den Augen des Betrachters wieder lebendig werden.
Die agierenden Personen sind porträtgenau nach bekannten
Vorlagen dargestellt. Die Kostüme entsprechen der Zeit um
1550. Für die Schlossbauten, insbesondere die Fassaden-
und Giebelgestaltung des Ottheinrichsbaus, kann man die Radierungen
von Ulrich Kraus um 1683 als historische Vorlagen ausmachen.
So entsteht der Eindruck, dass Ottheinrich selbst und die Autorität
seiner Berater auf einen raschen Wiederaufbau der ruinösen
Schlossgebäude im 19. Jahrhundert nach den neuen Plänen
dringen.
Am Ende hat weder Ottheinrich die Fertigstellung seines Palastes
erlebt, noch Kaulbach den Ausgang des Heidelberger Schlossstreits.
Kaulbachs Appell auf Öl und Leinwand überzeugte die
nachfolgende Expertengeneration nicht, vielmehr entschied man
sich 1906 unter dem Motto „conserviren, nicht restauriren“ für
den Erhalt des Ottheinrichsbaus als Ruine. Die Diskussion endete
damals mit dem Appell Georg Dehios, dass man sich „jetzt
begnügen möge mit denjenigen Schutzmaßregeln
und Vorsichtsmaßregeln, welche ganz sicher eine Fortdauer
des Gebäudes ohne schwere Schädigungen auf eine absehbare
Zeit hin, sagen wir auf fünfzig, sagen wir auf hundert Jahre
garantieren – und dann wollen wir eine neue Heidelberger
Debatte anfangen“. Das Protokoll vermerkt Heiterkeit und
Beifall!
Frieder Hepp
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