Kunstwerk des Monats
November 2008

Zwei Männer, eine Frau und drei Kinder - Das tragische Schicksal einer jungsteinzeitlichen Familie aus Heidelberg-Handschuhsheim

 

Bestattungsriten entsprechen den Jenseitsvorstellungen, den Überlegungen über das Vorhandensein einer Seele oder dem Weiterleben nach dem Tode. Entsprechend ausdifferenziert und unterschiedlich gestalten sie sich im Verlaufe der Menschheitsgeschichte. Sie können dazu dienen, die Reise des Verstorbenen ins Jenseits so komfortabel wie möglich zu machen, sie kennen aber auch Rituale, die den Angehörigen behilflich sind und aus Angst vor dem Verstorbenen vollzogen werden, oder sie sorgen für eine Verbindung zwischen Lebenden und Toten.

Totenritual und Leichenbehandlung der jungsteinzeitlichen Bauernkulturen waren vielgestaltig und facettenreich. Die frühesten Bauern in Mitteleuropa (ab 5600 v. Chr.) erreichten ein durchschnittliches Lebensalter von nur 28 Jahren. Lediglich 30 - 50% der Neugeborenen wurden älter als ein Jahr, mehr als die Hälfte der Überlebenden starb bereits vor dem 20. Lebensjahr – der Tod war also allgegenwärtig.

Im Sommer 1985 wurde am Nordufer des Neckars im Gewann Schänzel ein Grab aus der Jungsteinzeit mit sechs Bestatteten aufgefunden. Das Grab befand sich im Bereich einer flachen Erhöhung, auf die wohl der Name des Gewannes zurückgeht, und wurde sorgfältig archäologisch untersucht, Skelette und Funde geborgen. Die dort Begrabenen lebten zu Zeiten der „Michelsberger Kultur“ (ca. 4300 – 3600 v. Chr.), die wohl durch reiche materielle Hinterlassenschaften charakterisiert ist, aus der aber kaum Bestattungen überliefert sind. Eine sorgfältige Erstbestattung wie in Handschuhsheim ist zu dieser Zeit die Ausnahme und kann nur in Zusammenhang mit dem tragischen Schicksal der Familie zu sehen sein.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die zahlreichen Spuren traumatischer Ereignisse. An den Skelettresten der drei Erwachsenen sowie des Jugendlichen lassen sich insgesamt sieben unverheilte Verletzungen, die meisten am Schädel, lokalisieren. Es handelt sich durchweg um Defekte, die auf stumpfe Gewalteinwirkungen zurückgehen und die zum Tode geführt haben. Nach forensischer Beurteilung sind diese auf Schläge mit den für die jungsteinzeitliche Kultur typischen Steingeräten zurückzuführen. Sie liegen unsystematisch verteilt und deuten daher auf ein Kampfgeschehen mit entsprechender Gegenwehr. Dass es bei der Auseinandersetzung vor 5000 Jahren in Handschuhsheim wahrscheinlich bekannte oder verwandte Überlebende gegeben hat, dafür spricht die pietätvolle Beerdigung der Opfer. Außerdem deutet das Fehlen jeglicher Spuren von Tierverbiss darauf hin, dass man die Familie – entgegen der sonst üblichen Totenbehandlung – rasch bestattet hat.

 

 

Die sechs Individuen der Mehrfachbestattung während der Ausgrabung im Mai 1985,
um 3800 v. Chr. Foto: Museum (E. Kemmet)


 

 

 
 
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