Mit
der Besitznahme des Landes durch die Römer hielten an Rhein und
Neckar zahlreiche zivilisatorische Neuerungen Einzug. Hierzu gehörten
etwa fremde Kulte, mediterrane Speisesitten, neue Formen der Bekleidung,
der Gebrauch von reliefverziertem Tafelgeschirr, frei geblasenen
Glasgefäßen und tönernen Öllampen. Manches hat bis heute Bestand
und gehört zu den Grundlagen unserer Kultur, wie etwa das lateinische
Alphabet und die Verwendung von Schreibgerät, die Einführung der
Geldwirtschaft und des Münzwesens sowie die Heilkunde auf wissenschaftlicher
Grundlage. Entdeckungen aus dem Areal der Heidelberger Kastelle
und Zivilsiedlungen, aber auch die reichen Grabbeigaben aus der
großen Nekropole von Neuenheim sind beredte Zeugen derartiger
Errungenschaften. Sie wurden in den vergangenen Jahren anhand
ausgewählter, bislang meist unbekannter Fundstücke in der Reihe
'Kunstwerk des Monats' vorgestellt.
Zu den technischen Fortschritten, von denen wir noch heute profitieren,
gehört auch die Verwendung von Baustoffen aus gebranntem Ton:
Aus Backsteinen wurden erstmals Mauern gesetzt, mit Platten Böden
gepflastert und Kanäle gedeckt, aus Hohlziegeln Fußboden- und
Wandheizungen konstruiert. Mit Dachziegeln schützte man Gebäude
vor Regen, Schnee und Feuersbrünsten. Konzentrationen von Ziegelschutt
sind oft der erste Hinweis auf einen römischen Siedlungsplatz.
Auch in Heidelberg weisen einschlägig bekannte Fundstellen dieses
Merkmal auf, wobei die Fragmente selten von Mauerziegeln stammen,
denn in der Regel bestanden die Gebäudewände aus Lehm-Holz-Fachwerk,
und das Vorkommen von Fußbodenheizungen dürfte auf wenige Badeanlagen
beschränkt gewesen sein. Es handelt sich in Heidelberg vielmehr
meistens um Platten, mit denen die flachgeneigten Dächer gedeckt
wurden. Dabei verwendete man zwei unterschiedlich geformte Elemente:
Die flache, rechteckige ,tegula' mit seitlichen Leisten wurde
auf den hölzernen Sparren des Dachstuhls verlegt. Die obere Reihe
überlappte dabei jeweils die untere, wobei die Platten mittels
Falzen an der Unterseite und Absätzen an der Oberseite stabil
verfugt waren. Die zwischen den Leisten benachbarter Platten verlaufende
Stoßfuge wurde mit einem gewölbten .imbrex' (lat. imber: Regen)
wasser- und winddicht abgedeckt (s. Abb.). Mit Mörtelbatzen waren
die imbrices auf den tegulae fixiert. Wie so vieles hatten die
Römer dieses Prinzip der Dachhaut von den Griechen übernommen.
Es ist bis heute in leicht abgewandelter Form erhalten geblieben,
und auch in dem Wort .Ziegel' (althochdeutsch .ziagaP, engl. ,tile',
franz. ,tuile') steckt noch die lateinische .tegula'.
In Heidelberg
sind zahlreiche Dachziegel unversehrt erhalten geblieben. Die
Maße der tegulae bewegen sich zwischen 44 und 56 cm Länge sowie
33 bis 45 cm Breite. Das abgebildete intakte Exemplar mit Maßen
von 49 cm x 37 cm besitzt ein gängiges Format, dem die meisten
der hier bekannten Funde angenähert sind. Für die Deckung des
Daches musste selbstverständlich jeweils eine Charge Platten von
genormter Größe verwendet werden. Die ausgewählten tegulae tragen
Stempel. Auf der vollständigen Platte liest man COH XXIIII sowie
auf den beiden Fragmenten COH II AVG CYRN E[QV] bzw. COH A II
CYR. Letztere Buchstabensequenz ist schwer zu entziffern und wirkt
fast verschlüsselt, denn einige Lettern sind kopfstehend oder
spiegelverkehrt in den Stempel geschnitten worden.
Es handelt sich um die Kürzel zweier Hilfstruppeneinheiten, die
in Heidelberg auch in steinernen Inschriften genannt werden. Nacheinander
waren die jeweils 500 Mann starken Kohorten zwischen 74 n. Chr.
und der Mitte des 2. Jahrhunderts in Neuenheim stationiert, bevor
sie an Standorte am obergermanischen Limes verlegt wurden.
Die
24. Kohorte freiwilliger römischer Bürger (Cohors XXIIII Voluntariorum
Civium Romanorum) wurde von der zweiten berittenen Kohorte aus
der Cyrenaica, genannt ,die Erhabene' (Cohors II Augusta Cyrenaica
Equitata) abgelöst. Dieser gemischte Verband aus Fußsoldaten und
Kavalleristen war im östlichen Libyen (Provinz Cyrenaica) ausgehoben
worden. Die Funde belegen eine Besonderheit des römischen Militärwesens:
Der Bedarf an Baumaterial wurde nach Möglichkeit von entsprechend
ausgebildeten Soldaten (figlinarii) der Legionen und Hilfstruppen
selbst gedeckt. In Neuenheim konnte bereits vor vielen Jahren
der Standort einer Truppenziegelei identifiziert werden. Andere
Stempel bezeugen den zivilen Betrieb des Publius Attius Rufinus,
dessen Öfen unmittelbar am Neckar standen. Heidelberg bot Ziegeleien
ideale Standortbedingungen; in der näheren Umgebung gibt es zahlreiche
ergiebige Tongruben, die noch bis vor wenigen Jahrzehnten ausgebeutet
wurden. Davon zeugt nicht zuletzt der Name des östlichen Stadtteils
Ziegelhausen, in dem das Zisterzienserkloster Schönau um 1210
eine Ziegelei gründete. Die hier vorgestellten Dachplatten zeigen
eine weitverbreitete Eigentümlichkeit: Vordem Brand fuhr der Ziegler
mit zwei bis vier Fingern über den bereits angetrockneten .lederharten'
Ton und hinterließ auf der Platte eine meist bogen- oder kreisförmige,
selten dreieckige Spur (s. Abb.). Über die Bedeutung dieser .Wischmarken'
wurden verschiedene Vermutungen geäußert: Sie könnten bestimmte
Schritte des Produktionsablaufs kennzeichnen oder auch als Zählmarken
für die Abrechnung gedient haben. Manche Exemplare weisen eine
andere Art von .Prägung' auf: Hunde und Katzen, die über die vor
dem Ofenbrand zum Trocknen ausgelegten tegulae schlichen, haben
sich vielfach und unauslöschlich verewigt. In einem Fall machte
sich ein gelangweilter Arbeiter der Ziegelei den Spaß, seinen
nackten Fuß zweimal mit Bedacht und im rechten Winkel in den weichen
Ton zu drücken. Von den hier vorgestellten Fundstücken ist eines
(Abb.: Fragment vorne links) bei einer Ausgrabung im Bereich der
nördlichen Kastellmauer (heute: Kastellweg) entdeckt worden. Die
drei anderen Exemplare stammen aus Gräbern der großen Ne-kropole
von Neuenheim: Gelegentlich waren die sterblichen Überreste mit
den Beigaben in Kisten aus zweitverwendeten Ziegelplatten deponiert
worden. In anderen Fällen hatte man über der Totenasche aus tegulae
und imbrices ein schützendes .Zeltdach' errichtet. Dabei handelt
es sich um einen aus Italien übernommenen Brauch, der z. B. in
den Nekropolen von Ostia bei Rom häufig praktiziert wurde und
von italienischen Archäologen mit der Bezeichnung ,tomba alla
cappuccina' charakterisiert wird. Römische Dachziegel aus Heidelberg
sind demnach nicht nur Relikte des antiken Bauwesens. Sie tragen
zur regionalen Heeres- und Wirtschaftsgeschichte bei und gewähren
Einblicke in die Praktiken des Grabkultes.
Andreas Hensen
|