Kunstwerk des Monats
Oktober 2007
Sammlungsblatt

Libysche Reiter in Heidelberg
Dachziegel aus römischen Militärbetrieben

 

Mit der Besitznahme des Landes durch die Römer hielten an Rhein und Neckar zahlreiche zivilisatorische Neuerungen Einzug. Hierzu gehörten etwa fremde Kulte, mediterrane Speisesitten, neue Formen der Bekleidung, der Gebrauch von reliefverziertem Tafelgeschirr, frei geblasenen Glasgefäßen und tönernen Öllampen. Manches hat bis heute Bestand und gehört zu den Grundlagen unserer Kultur, wie etwa das lateinische Alphabet und die Verwendung von Schreibgerät, die Einführung der Geldwirtschaft und des Münzwesens sowie die Heilkunde auf wissenschaftlicher Grundlage. Entdeckungen aus dem Areal der Heidelberger Kastelle und Zivilsiedlungen, aber auch die reichen Grabbeigaben aus der großen Nekropole von Neuenheim sind beredte Zeugen derartiger Errungenschaften. Sie wurden in den vergangenen Jahren anhand ausgewählter, bislang meist unbekannter Fundstücke in der Reihe 'Kunstwerk des Monats' vorgestellt.

Zu den technischen Fortschritten, von denen wir noch heute profitieren, gehört auch die Verwendung von Baustoffen aus gebranntem Ton: Aus Backsteinen wurden erstmals Mauern gesetzt, mit Platten Böden gepflastert und Kanäle gedeckt, aus Hohlziegeln Fußboden- und Wandheizungen konstruiert. Mit Dachziegeln schützte man Gebäude vor Regen, Schnee und Feuersbrünsten. Konzentrationen von Ziegelschutt sind oft der erste Hinweis auf einen römischen Siedlungsplatz. Auch in Heidelberg weisen einschlägig bekannte Fundstellen dieses Merkmal auf, wobei die Fragmente selten von Mauerziegeln stammen, denn in der Regel bestanden die Gebäudewände aus Lehm-Holz-Fachwerk, und das Vorkommen von Fußbodenheizungen dürfte auf wenige Badeanlagen beschränkt gewesen sein. Es handelt sich in Heidelberg vielmehr meistens um Platten, mit denen die flachgeneigten Dächer gedeckt wurden. Dabei verwendete man zwei unterschiedlich geformte Elemente: Die flache, rechteckige ,tegula' mit seitlichen Leisten wurde auf den hölzernen Sparren des Dachstuhls verlegt. Die obere Reihe überlappte dabei jeweils die untere, wobei die Platten mittels Falzen an der Unterseite und Absätzen an der Oberseite stabil verfugt waren. Die zwischen den Leisten benachbarter Platten verlaufende Stoßfuge wurde mit einem gewölbten .imbrex' (lat. imber: Regen) wasser- und winddicht abgedeckt (s. Abb.). Mit Mörtelbatzen waren die imbrices auf den tegulae fixiert. Wie so vieles hatten die Römer dieses Prinzip der Dachhaut von den Griechen übernommen. Es ist bis heute in leicht abgewandelter Form erhalten geblieben, und auch in dem Wort .Ziegel' (althochdeutsch .ziagaP, engl. ,tile', franz. ,tuile') steckt noch die lateinische .tegula'.

In Heidelberg sind zahlreiche Dachziegel unversehrt erhalten geblieben. Die Maße der tegulae bewegen sich zwischen 44 und 56 cm Länge sowie 33 bis 45 cm Breite. Das abgebildete intakte Exemplar mit Maßen von 49 cm x 37 cm besitzt ein gängiges Format, dem die meisten der hier bekannten Funde angenähert sind. Für die Deckung des Daches musste selbstverständlich jeweils eine Charge Platten von genormter Größe verwendet werden.

Die ausgewählten tegulae tragen Stempel. Auf der vollständigen Platte liest man COH XXIIII sowie auf den beiden Fragmenten COH II AVG CYRN E[QV] bzw. COH A II CYR. Letztere Buchstabensequenz ist schwer zu entziffern und wirkt fast verschlüsselt, denn einige Lettern sind kopfstehend oder spiegelverkehrt in den Stempel geschnitten worden.

Es handelt sich um die Kürzel zweier Hilfstruppeneinheiten, die in Heidelberg auch in steinernen Inschriften genannt werden. Nacheinander waren die jeweils 500 Mann starken Kohorten zwischen 74 n. Chr. und der Mitte des 2. Jahrhunderts in Neuenheim stationiert, bevor sie an Standorte am obergermanischen Limes verlegt wurden.

Die 24. Kohorte freiwilliger römischer Bürger (Cohors XXIIII Voluntariorum Civium Romanorum) wurde von der zweiten berittenen Kohorte aus der Cyrenaica, genannt ,die Erhabene' (Cohors II Augusta Cyrenaica Equitata) abgelöst. Dieser gemischte Verband aus Fußsoldaten und Kavalleristen war im östlichen Libyen (Provinz Cyrenaica) ausgehoben worden. Die Funde belegen eine Besonderheit des römischen Militärwesens: Der Bedarf an Baumaterial wurde nach Möglichkeit von entsprechend ausgebildeten Soldaten (figlinarii) der Legionen und Hilfstruppen selbst gedeckt. In Neuenheim konnte bereits vor vielen Jahren der Standort einer Truppenziegelei identifiziert werden. Andere Stempel bezeugen den zivilen Betrieb des Publius Attius Rufinus, dessen Öfen unmittelbar am Neckar standen.

Heidelberg bot Ziegeleien ideale Standortbedingungen; in der näheren Umgebung gibt es zahlreiche ergiebige Tongruben, die noch bis vor wenigen Jahrzehnten ausgebeutet wurden. Davon zeugt nicht zuletzt der Name des östlichen Stadtteils Ziegelhausen, in dem das Zisterzienserkloster Schönau um 1210 eine Ziegelei gründete.

Die hier vorgestellten Dachplatten zeigen eine weitverbreitete Eigentümlichkeit: Vordem Brand fuhr der Ziegler mit zwei bis vier Fingern über den bereits angetrockneten .lederharten' Ton und hinterließ auf der Platte eine meist bogen- oder kreisförmige, selten dreieckige Spur (s. Abb.). Über die Bedeutung dieser .Wischmarken' wurden verschiedene Vermutungen geäußert: Sie könnten bestimmte Schritte des Produktionsablaufs kennzeichnen oder auch als Zählmarken für die Abrechnung gedient haben. Manche Exemplare weisen eine andere Art von .Prägung' auf: Hunde und Katzen, die über die vor dem Ofenbrand zum Trocknen ausgelegten tegulae schlichen, haben sich vielfach und unauslöschlich verewigt. In einem Fall machte sich ein gelangweilter Arbeiter der Ziegelei den Spaß, seinen nackten Fuß zweimal mit Bedacht und im rechten Winkel in den weichen Ton zu drücken.

Von den hier vorgestellten Fundstücken ist eines (Abb.: Fragment vorne links) bei einer Ausgrabung im Bereich der nördlichen Kastellmauer (heute: Kastellweg) entdeckt worden. Die drei anderen Exemplare stammen aus Gräbern der großen Ne-kropole von Neuenheim: Gelegentlich waren die sterblichen Überreste mit den Beigaben in Kisten aus zweitverwendeten Ziegelplatten deponiert worden. In anderen Fällen hatte man über der Totenasche aus tegulae und imbrices ein schützendes .Zeltdach' errichtet. Dabei handelt es sich um einen aus Italien übernommenen Brauch, der z. B. in den Nekropolen von Ostia bei Rom häufig praktiziert wurde und von italienischen Archäologen mit der Bezeichnung ,tomba alla cappuccina' charakterisiert wird.

Römische Dachziegel aus Heidelberg sind demnach nicht nur Relikte des antiken Bauwesens. Sie tragen zur regionalen Heeres- und Wirtschaftsgeschichte bei und gewähren Einblicke in die Praktiken des Grabkultes.

Andreas Hensen

Literatur:
A. Hensen, Das Alphabet kommt nach Heidelberg. Kunstwerk des Monats Nr. 260 (Heidelberg 2006).
A. Hensen/R. Ludwig, Straße ins Jenseits (Remshalden 2005) 30 f.
B. Heukemes: Römische Keramik aus Heidelberg. Materialien zur römisch-germanischen Keramik 8 (Bonn 1964) 7 ff.
MC Whirr (Hrsg.) Roman Brick and Tue. Studies in Manufacture, Distribution and Use in the Western Empire. BAR Internat.Series 68 (Oxford 1979).
http://www.ziegelforschung.de/

 

Dachziegel mit Kohortenstempeln, 2 intakte Exemplare und 2 Fragmente
Kastell und Gräberfeld von Heidelberg-Neuenheim, 80 n. Chr. bis Mitte des 2. Jh. n. Chr.
Inv. Nr. HD-Neu 1964/144.1; 1966/19 b; 1990/1075 a

 
 
siehe auch:

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