Kunstwerk des Monats
Februar 2007

Alteisen vom Heiligenberg
Spärliches Zeugnis keltischer Streitwagenfahrer

 


"Zuerst jagen sie in allen Richtungen herum, schleudern Geschosse und bringen gewöhnlich schon durch die Wildheit ihrer Pferde und das Dröhnen der Räder die feindlichen Reihen in Verwirrung ... sie bringen es durch tägliche Übungen so weit, dass sie die Pferde in vollem Lauf anhalten, in kurzer Zeit zu einer Wendung zügeln und dass sie selbst die Deichsel entlanglaufen in Höhe des Jochs stehen bleiben und von dort schnell in den Wagen zurücklaufen können."

Caesar (100 - 44 v.Chr.)

Caesar begegnete erstmals in Britannien den berühmten keltischen Kampfwagen (essedum). Obwohl er deren strategischen Wert nicht allzu hoch schätzte, bewunderte er doch die Gewandtheit der rollenden Kampfgeschwader. Nur Männer aus der elitären Führungsschicht brachten die Zeit für die täglichen Übungen auf, die das Führen der viel Geschicklichkeit voraussetzenden Renn- oder Streitwagen erforderte. Den zweirädrigen Wagen waren zwei Pferde vorgespannt und die Besatzung bestand aus zwei Personen. Dies berichtet nicht nur Cäsar, sondern es bestätigen auch Experimente mit Rekonstruktionen, die einen Krieger und einen Wagenlenker verlangen.

Die Streitwagen wurden besonders an den Flügeln der Schlachtordnung oder zusammen mit der Reiterei im Vorfeld eingesetzt. Damit handelte es sich sicher nicht nur um einzelne Fahrzeuge, sondern um größere Gruppen. So sollen - antiken Schriftstellern folgend - in einem Heer von 20.000 Mann 160 Streitwagen eingesetzt worden sein. Es scheint, als wären diese in einer den eigentlichen Kampfhandlungen vorausgehenden Phase verwendet worden, in der vermutlich Drohungen und Schmähungen gerufen sowie Speere geworfen wurden. Zudem dienten sie als Fortbewegungsmittel vornehmer Krieger auf dem Kampfplatz.

Während im 6./5. Jahrhundert vornehmlich Geschlecht und Alter den Status einer Person definiert haben, stellten im 4./3. Jahrhundert Abstammung und kriegerischer Erfolg statusbestimmende Elemente dar; an die Stelle einer breiten und wenig gegliederten Oberschicht trat eine kleine Elite. Die keltische Gesellschaft war nun wesentlich stärker stratifiziert, denn diese Elite separierte sich klar vom größten Teil der Bevölkerung, die keinen Anspruch auf Zugang zu dauerhaften Begräbnisplätzen hatte. In den heute archäologisch erfassbaren Gräbern liegt der „Adel“, von dem die antiken Texte über die Keltenwanderungen berichten, begraben: Sie werden als die „Ältesten“ (seniores) bezeichnet, die den Rat stellten, oder als die „Fürsten“ (principes), die mit dem Streitwagen oder zu Pferde kämpften und über diejenigen befahlen, die die Unterschicht bildeten, die Fußtruppen. Eiserne Beschlagteile von mindestens zwei solcher Streitwagen sind zusammen mit anderen Gerätschaften Teil eines Depotfundes, der 1964 auf dem Heiligenberg etwa 150 Meter nordöstlich des Michaelsklosters ausgegraben wurde und zu den interessantesten Funden aus der Zeit der keltischen Höhensiedlung zählt. In ca. 50 cm Tiefe lagen eng zusammengepackt und miteinander verbacken ein Radreifen, eine Pflugschar sowie zwei Sensenblätter. In unmittelbarer Nachbarschaft dazu kamen drei Trensen, weitere Radreifenfragmente sowie ein Ösenstift zutage. Die Trensen sind für die zeitliche Einordnung des Depots von besonderer Bedeutung. Zwei der drei Trensen gehören demselben Typ an und sind zudem in Maßen und Details der Ausführung sehr ähnlich. Sie gehören demnach zu einem Paar, das von zwei zusammengehörigen Pferden stammen dürfte. Die Trensen bestehen aus jeweils vier durch Ösenverbindungen gegeneinander frei beweglichen Teilen: die beiden außen stehenden Ringe, an denen die Riemen des Kopfgestells und die Zügel befestigt waren, und das zweigeteilte „Gebiss“ oder Mundstück, das im Maul des Pferdes lag. Damit entspricht dieser Typ weitgehend den auch heute noch meist gebräuchlichen Trensen. Lediglich die starke Profilierung der Gebissstange ist in dieser Form ein Charakteristikum der Mittellatènezeit und findet sich an solchen Ringtrensen nahezu im gesamten keltischen Siedlungsgebiet.

Dieser kräftige Querwulst in der Mitte der beiden Mundstückhälften ist hier wohl nur ornamental zu verstehen, könnte aber typologisch auf ursprünglich bewegliche, aufgeschobene Scheiben bzw. Rollen zurückzuführen sein. Dort sollten sie verhindern, dass das Pferd durch Zusammendrücken von Unter- und Oberkiefer die Trensen festhalten konnte und somit für die Bewegung der Zügel nicht mehr so empfindlich gewesen wäre. Auf die gleiche Wirkung zielt die Zweiteiligkeit des Mundstückes, die bereits an mykenischen Exemplaren zu belegen ist. Gegenüber starren Gebissstangen wirken bewegliche, gebrochene Stangen durch die Möglichkeit des Abwinkelns besser auf die Maulränder ein. Dies ist wichtig, da die Befehlsübermittlung durch Zügelzug ohnehin primär auf die Maulwinkel bzw. die Zunge des Pferdes erfolgt. In der ausgehenden Mittellatènezeit hatte man wegen ihres Metallwertes alle Gegenstände in einer Holzkiste, in einem Sack oder Lederbeutel gesammelt und danach vergraben. Die Auswahl der Eisengegenstände erfolgte mehr zufällig, allein der Metallwert zählte. Es war ohne Bedeutung, ob die gesammelten Teile nun aus Handwerk und Landwirtschaft stammten oder ob es sich gar um Prestigeobjekte wie Pferdegeschirr und Wagenteile aus dem Lebenskreis der Nobilität handelte. Sehr wahrscheinlich hatte ein keltischer Schmied, der das damals kostbare Eisen wiederverarbeiten wollte, die Objekte in Sicherheit gebracht, kam aber nicht mehr dazu, seinen Hort noch einmal zu bergen. Hinter solchen Deponierungen standen Materialengpässe in der Versorgung mit Roheisen, die einen Hinweis auf Krisenzeiten liefern können. In diesem Fall ist der Heiligenberger Hort als Metallreserve zu verstehen, die vielleicht zum Anfertigen von Eisenwaffen bestimmt war. Jedenfalls entspricht der Zeitpunkt seiner Vergrabung dem beginnenden Untergang der großen keltischen Höhensiedlung.

Renate Ludwig


Literatur
Christopher F.E. Pare: Wagons and Wagon-Graves of the Early Iron Age in Central Europe (Oxford 1992).
Andres Furger-Gunti: Der keltische Streitwagen im Experiment. Nachbau eines essedum im Schweizerischen Landesmuseum. Zeitschr. Schweizer Arch. u. Kunstgesch. 50,1993, 213 - 222.
Gabriele Kurz: Keltische Hort- und Gewässerfunde in Mitteleuropa. Deponierungen der Latènezeit. Materialhefte zur Archäologie 33 (Stuttgart 1995).
Renate Ludwig, Peter Marzolff: Der Heiligenberg bei Heidelberg. Führer zu archäologischen Denkmälern in Baden-Württemberg 20 (Stuttgart 1999).
Renate Ludwig: Heidelberg (BW). Höhensiedlung auf dem Heiligenberg. In: Sabine Rieckhoff, Jörg Biel: Die Kelten in Deutschland (Stuttgart 2001) 358 -361.

 

 

Depotfund mit Pferdegeschirr, Wagenteilen und landwirtschaftlichen Geräten
Eisen, 3. Jh. v. Chr. .

Foto: Museum (R. Altaj)

 
 
siehe auch:

Bild im Großformat

zurück zur Übersicht

weiter:  März 2007


Hauptmenü | Heidelberg | Kurpfälzisches Museum | Register | Impressum | ZUM |
© Text und Abbildung Kurpfälzisches Museum 2006
© Gestaltung Badische Heimat 2006

-