Kunstwerk des Monats
Januar 2007
- Sammlungsblatt -

"Heidelberga deleta" - Medaille auf die Zerstörung Heidelbergs

 
Medaille "Heidelberga deleta"

"Der menschliche Witz ist von den ältesten Zeiten her auf allerley Mittel bedacht gewesen, das Andencken berühmter Personen und merckwürdiger Begebenheiten zu verewigen und unsterblich zu machen. Von allen in diese Absicht angewandten Bemühungen ist ihm wohl keine besser gelungen, als da er auf den Einfall gerathen, dasjenige, was er der Vergessenheit entreißen wollte, auf Gold, Silber und Ertz zu prägen und der Nachwelt in Müntzen vorzulegen", schrieb anno 1759 der Zweibrückener Gymnasiallehrer Friedrich Ludwig Exter (1714 - 1787) in seinem dem Kurfürsten Karl Theodor gewidmeten "Versuch einer Sammlung von pfältzischen Medaillen" im Vorwort.
Der Sonnenkönig Ludwig XIV. war einer der ersten Regenten der Neuzeit, der sich der Wirkung der Medaille als Propagandamittel zur Verfolgung staatspolitischer Ziele bewusst war. Er beschäftigte einen großen Stab an Wissenschaftlern und Künstlern in seiner Akademie, um entsprechende Emblemata zusammenzustellen, die als Rückseitenbilder für seine "Histoire métallique" Verwendung und wie Flugblätter und Flugschriften reißenden Absatz weit über die Grenzen des eigenen Landes hinaus fanden. Dominieren im 16. Jahrhundert in erster Linie die Wappen der Herrscherhäuser die Rückseiten der Medaillen, so fließen im 17. Jahrhundert verstärkt historische Ereignisse oder die Darstellung politischer Ziele und Haltungen, kunstvoll ausgedrückt durch eine barocke Allegorie, in die Gestaltung von Medaillenrückseiten ein.
Auch Liselotte von der Pfalz hatte eine leidenschaftliche Vorliebe für solche Medaillen. Aus ihrer umfangreichen Korrespondenz mit den Verwandten an den europäischen Höfen wissen wir, dass die Herzogin von ihrem Vater Karl Ludwig das lebendige Interesse für Numismatik geerbt hat. Zwar galt ihre besondere Liebe antiken Münzen, daneben aber auch europäischen und orientalisch geprägten, ebenso Medaillen und selbstverständlich pfälzischen Stücken, die sie sogleich in ihr Münzkabinett einordnete, wenn sie ihrer habhaft werden konnte.
Die obige Medaille wird dabei ihrer besonderen Aufmerksamkeit nicht entgangen sein. Sie lenkt des Blick des Betrachters auf die Ereignisse des Jahres 1693, "da die Zorn-Schale Gottes völlig über Heydelberg sollte ausgegossen, und sie wegen ihren Sünden mit einer scharffen Zucht-Ruthe heimgesucht wurden,."(Johann Peter Kayser, 1733) - gemeint ist das denkwürdige Ereignis der zweiten Zerstörung Heidelbergs am 22. Mai 1693 im so genannten Pfälzischen Erbfolgekrieg.
An diesem Tag vollendeten die Truppen des französischen Sonnenkönigs unter ihrem Brigadier Mélac das Zerstörungswerk, das sie vier Jahre zuvor, im Januar 1689, begonnen hatten. Nachdem ihnen die Stadt kampflos in die Hände gefallen war, pferchte man die Bevölkerung in der Heiliggeistkirche zusammen und setzte die Kirche in Brand. Auf dem Schloss sprengte man den Pulverturm, der zusammen mit den übrigen Gebäuden des Areals und den Häusern der Stadt in hellen Flammen aufging. Die Stadt und ihre Bewohner wurden Opfer des Großen Brandes, der viele Häuser bis auf die Keller zerstörte. Auf der Suche nach Beutegut und verwertbarem Metall öffnete man sogar die kurfürstlichen Gräber und warf die Gebeine der Bestatteten auf die Straße.
Ludwig XIV., dem man in diesem Fall Rachegefühle nicht absprechen kann, feierte die Meldung von der völligen Zerstörung Heidelbergs mit einem Festgottesdienst und ließ aus Genugtuung darüber eine Gedenkmünze anfertigen.
Die Vorbereitung hierfür hatte die Académie royale des Inscriptions et Belles-Lettres zu leisten. Die klassisch kurze Formulierung der Devise gemahnt in ihrer Unerbittlichkeit und Endgültigkeit an die von dem älteren Cato während des dritten punischen Krieges zur geflügelten Redewendung gewordene Äußerung: "Ceterum censeo Carthaginem esse delendam" (Im übrigen beantrage ich, Karthago müsse zerstört werden"), die wie im Fall Heidelberg auch das Wiederansiedlungsverbot der vertriebenen Einwohner beinhaltete. Nach der Intention des Dichters Boileau (1636 - 1711) hat der Maler und Kupferstecher Sebastian Le Clerc (1637-1714) den Entwurf gestaltet, für den dann im Laufe des Jahres 1694 der Hofmedailleur Jérome Roussel (1663 - 1713), der an der Histoire métallique du règne de Louis XIV. beteiligt war, die Wachsmodelle und Stempel für die Medaille lieferte.
Wir erkennen auf der Vorderseite den Kopf Ludwigs XIV. mit Allongeperücke und Lorbeerkranz im Profil nach rechts und der Umschrift LUDOVICUS MAGNUS REX CHRISTIANISSIMUS. Am Halsabschnitt H.(ierome) ROUSSEL.F(ecit). Die Rückseite zeigt im Vordergrund links den bärtigen Flussgott Neckar, eine Wasserurne ausleerend, rechts die trauernde, nach antikem Vorbild gewandete Stadtgöttin Heidelberga. Sie sitzt weinend auf dem zerbrochenen ovalen Wappenschild mit dem Heidelberger Löwen und stützt sich auf die Trümmer der Zerstörung. Der Hintergrund öffnet den Blick auf eine Landschaft mit dem brennenden Heidelberg, die Umschrift HEIDELBERGA - DELETA verkündet "Heidelberg ist zerstört". Im Kreissegment findet sich die Jahreszahl M-DC-XCIII, darunter H. ROUSSEL F(ecit).
Das Exemplar des Kurpfälzischen Museums wurde 1867 auf Ansuchen des Heidelberger Rechtsanwalts Albert Mays in der Pariser Münze aus dem Originalstempel nachgeprägt und der Städtischen Altertümersammlung des Grafen Charles de Graimberg überlassen. Inwiefern die brutalen Verwüstungen großer Teile des Rheinlandes im Pfälzischen Erbfolgekrieg ihr militärisches Ziel erreichten und dazu beitrugen, dass der französische Festungsgürtel gegenüber den im Türkenkrieg erfolgreichen Truppen des Kaisers und des Reichs standhalten konnte, da aus den entvölkerten und zerstörten Landstrichen keine ernstlichen Gegenaktionen zu fürchten waren, ist bis heute umstritten. Sicher hingegen ist, dass das Ansehen Frankreichs und seines Königs in der öffentlichen Meinung Europas eine ungeheure Einbuße erlitt. Die Empörung im Reich über die französischen Gräueltaten war allgemein und wurde zusätzlich durch eine entsprechende Publizistik angeheizt. Getroffen und bis in ihre Träume geplagt war die unglückliche Liselotte von der Pfalz. Kurfürst Philipp Wilhelm sprach gar vom "occidentalischen Türken", der solches anrichtete.
Die negative Langzeitwirkung der französischen Zerstörungspolitik war im Fühlen und Denken nicht nur der Pfälzer noch bis ins 20. Jahrhundert hinein spürbar und die geschichtlichen Ereignisse aus jener Zeit blieben weit über den pfälzischen Raum hinaus ein populärer, emotionsbefrachteter Gesprächsstoff.


Text: Frieder Hepp



Literatur
Exter, Friedrich, Versuch einer Sammlung von Pfälzischen Medaillen ... , Zweybrücken 1759.
Kayser, Johann Peter, Historischer Schau-Platz der Alten berühmten Stadt Heidelberg ..., Frankfurt / Main 1733.
Stemper, Anneliese, Die Medaillen der Pfalzgrafen und Kurfürsten bei Rhein. Pfälzische Geschichte im Spiegel der Medaillen, 2. Bde., Worms 1997.
Vetter, Roland, Heidelberga deleta. Heidelbergs zweite Zerstörung im Orléansschen Krieg und die französische Kampagne von 1693. Heidelberg 1989. (Schriftenreihe des Stadtarchivs Heidelberg H.1)

 

"Heidelberga deleta"
Medaille auf die Zerstörung Heidelbergs
Jérome Roussel, 1693
Kupfer, Dm 76,1 mm .

Foto: Museum (K. Gattner)

 
 
siehe auch:

Bild im Großformat

zurück zur Übersicht

weiter:  Februar 2007


Hauptmenü | Heidelberg | Kurpfälzisches Museum | Register | Impressum | ZUM |
© Text und Abbildung Kurpfälzisches Museum 2006
© Gestaltung Badische Heimat 2006

-