Der
1885 in Polotjobnoje in der russischen Provinz Rjasan als Sohn
eines Rechtsanwaltes und Gutsbesitzers geborene Igor von Jakimow
sollte ursprünglich in die Fußstapfen seines Vaters treten und
Jurist werden. Einundzwanzigjährig schlug er jedoch einen ganz
anderen Berufsweg ein und ging, mit dem Ziel Bildhauer zu werden,
nach Paris. Prägend wurde für ihn hier sein Kontakt zu den französischen
Malern und Bildhauern E. A. Bourdelle und H. Matisse. Auch seine
erste Frau, die Kunststudentin Annemarie Kruse (Tochter des Berliner
Bildhauers Max Kruse), lernte er in Paris kennen. 1918 ließ sich
die junge Familie in Berlin nieder. Die Berliner Jahre gehören
zu den kreativsten Schaffensphasen in Jakimows künstlerischem
Werdegang. Er stellte in dieser Zeit jährlich in der Freien Sezession
und auf Einladung des Direktors Max Liebermann auch in der Akademie
aus. Nach der Trennung von seiner Frau und der Teilnahme an einer
archäologischen Expedition (1928/30), deren Eindrücke er in seinem
Buch "Orientalische Briefe" festhielt, ließ sich Igor von Jakimow
schließlich 1931 in Heidelberg nieder, wo er die Violinistin Louise
Michelis heiratete. Bis zu seiner Einberufung sowie nach dem Zweiten
Weltkrieg beschickte er bis in die 1950er Jahre hinein erneut
zahlreiche Ausstellungen.
Wenngleich sich Igor von Jakimow vornehmlich als Bildhauer verstand
und hier seinen Schwerpunkt im Bereich des Aktes und der Bildnisbüste
legte, hat er doch ein sehr vielseitiges, breitgefächertes Oeuvre
hinterlassen. So übernahm er beispielsweise Auftragsarbeiten für
die Firma Käthe Kruse, für die er Puppenköpfe modellierte. Zustande
kam dieser Kontakt über seine erste Gattin, deren Stiefmutter
Käthe Kruse war. Außerdem war er als Maler, Zeichner und Radierer
tätig. Wie bei seinem plastischen Oeuvre befasste er sich auch
in diesem Bereich häufig mit dem Sujet des Aktes. Weitere bevorzugte
Motive waren Landschaften, Stillleben, Porträts und Figurenkompositionen.
Seine Arbeiten blieben stets dem Gegenständlichen verhaftet, wenn
sie auch unterschiedliche Grade und Ansätze der Abstraktion zeigen.
Für die kleinformatige Radierung, die 1921 in Berlin entstand,
wählte Jakimow das von ihm bevorzugte Sujet des Aktes. Zwei Mädchen-
oder Frauenakte, wobei man am linken Blattrand noch eine dritte
Figur erahnen kann, hielt er in unterschiedlichen Posen fest.
Die sie umgebende Landschaft, der situative Zusammenhang ist lediglich
ganz reduziert mit wenigen charakteristischen Linien angedeutet.
Nahe liegt eine Deutung als Badeszene in freier Natur.
Bei dem vorliegenden druckgraphischen Blatt handelt es sich um
eine Neuerwerbung des Museums, die den Sammlungsbestand sinnfällig
ergänzt und erweitert. Die beiden Frauenakte stehen in ihrer figürlichen
Darstellung, den klar umrissenen Konturen der leicht abstrahierten
Körper einer in Museumsbesitz befindlichen Folge von Aquarellen
des Künstlers nahe, die ebenfalls seinen frühen bzw. Berliner
Arbeiten zuzuordnen sind.
Obschon sich Igor von Jakimow nicht direkt einer der herrschenden
Kunstrichtungen anschloss, sind in seinen Arbeiten doch zeitgenössische
Strömungen und Tendenzen zu spüren, wie beispielsweise entfernte
Anklänge an die Bildfindungen Matisses, mit dessen Arbeiten sich
der junge Russe während seines Parisaufenthaltes auseinander setzte.
Mit ihren mit wenigen Linien klar konturierten Körpern, den weich
fließenden Lineaturen, der abstrahierenden Reduktion der Formen,
scheint seine Radierung entfernt an die von Matisse angestrebte
Vereinfachung des Gegenständlichen, den Verzicht auf eine Hell-Dunkel-Modellierung
der Körper, das Streben nach Gleichgewicht und Harmonie von Komposition,
Farbe und Form anzuknüpfen. Auch der dekorative Aspekt der Arbeit
kann als Anknüpfungspunkt verstanden werden. Wobei all' diese
Assoziationen bei Jakimows Aquarellen klarer zu Tage treten als
bei seiner druckgraphischen Arbeit.
Augenfälliger erscheinen hier der Einfluss und die Nähe zur Auffassung
der "Brücke"-Maler. Eines der oder vielleicht das herausragende
Bildsujet der Dresdner "Brücke"-Jahre ist der Akt, mit dessen
Darstellung in der Landschaft sich die Künstler dem Ideal eines
von Zwängen befreiten und im Einklang mit der Natur geführten
Lebens zu nähern suchten. In Berlin hatte Jakimow die Gelegenheit,
sich direkt mit diesen und auch späteren Arbeiten auseinander
zu setzen. So erinnern seine Mädchenakte vage an typische Bildfindungen
verschiedener "Brücke"-Künstler (wie Mueller, Heckel oder Kirchner).
In ihrer Zartheit und "Leichtigkeit" stehen sie wohl den Zeichnungen
und druckgraphischen Arbeiten Otto Muellers am nächsten. So gleicht
beispielsweise die Stehende, wenn auch weicher in der Linienführung,
in Haltung und Ansatz dem stehenden Akt einer zeitgleichen Lithographie
("Mädchen im Bade") Muellers.
Wie Muellers Akte haben auch Jakimows Mädchenakte nichts von der
oft direkten, provozierenden Erotik, wie man sie beispielsweise
bei Kirchner findet. Und auch das bildnerische Mittel der Deformation
und Verzerrung setzt er wohl bewusst nicht ein und entscheidet
sich für eine ruhige, ausgeglichene, in ihrer Reduktion fast "überzeitlich"
wirkende Komposition. In der scheinbaren Einfachheit ihrer Darstellung
präsentiert die Radierung zarte und elegante Silhouetten des weiblichen
Körpers, harmonisch eingebettet in eine skizzenhaft verkürzte,
formelhaft reduzierte Natur.
"Das ganze Leben besteht aus Bruchstücken, die man beständig sammeln
und vereinigen muss. Aber das Leben ist so kurz, und groß ist
Dein Glück, wenn Du - sei es auch nur aus einem Bruchstück - das
Wesen des Ganzen erkennen kannst." schrieb Jakimow in seinen "Orientalischen
Briefen" und später 1942 während des Krieges in Russland, wo er
jede freie Minute zum Zeichnen und Malen nutzte: "Im Urwald hier
wirkt der Geist der Ewigkeit, menschliche Leiden erschaut man
durch das Prisma kosmischer Gesetze; in der Stadt aber wird man
in einer konventionellen Atmosphäre leben." In diesen Zeilen offenbart
sich letztlich seine Suche nach dem Ursprünglichen, nach "natürlicher
Ganzheit" und eine klare Differenzierung von städtischem, den
Konventionen verhaftetem Leben und dem Ideal eines freien Lebens
im Einklang mit der "ewigen" Natur. In dieser "Suche bzw. Sehnsucht
nach dem Ursprünglichen" rückt er gedanklich und künstlerisch
in die Nähe der Expressionisten. Wie Mueller bewegt er sich mit
seinen "Badenden" im Kontext von Tradition und Zeitgeist, insofern
als Künstler seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das
Thema als motivische Grundlage für die Darstellung eines friedvollen,
von Konflikten unbelasteten menschlichen Miteinanders im Einklang
mit der Natur einsetzten. Außerhalb von Zivilisation und Konvention
erscheint der Mensch in einem natürlichen und folglich als ursprünglich
empfundenen Zustand.
Anja-Maria
Roth
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