Mit der Formbarkeit
in der Schmelze und der Möglichkeit des Schneidens und Schleifens
geht aber auch eine unvorteilhafte Eigenschaft des Glases einher.
Es ist die Zerbrechlichkeit des spannungsreichen Werkstoffes,
die über das Schicksal des Ehrenpokals von Johann Caspar von Ampringen
bestimmen sollte. Der Glaspokal zerbrach einst wohl so unglücklich,
dass Fuß, Schaft und Deckelhandhabe verloren waren. Eine erneute
Präsentation des Pokals konnte offenbar nur durch die Ergänzung
der tragenden Teile gelingen. So ersetzte ein Restaurator des
19. Jahrhunderts den fehlenden Glasfuß durch einen sechspassigen,
gotischen Kelchfuß und an die Stelle des Glasschaftes fügte er
zwischen vergoldete Blechmanschetten das Mittelstück eines barocken
Degengriffs und einen nicht zugehörigen, silbernen Kugelnodus.
Hätte sein Zeitgenosse, der Kunsttheoretiker John Ruskin (1819-1900)
den Deckelpokal nach dieser Reparatur zu Gesicht bekommen, wäre
sein Urteil vermutlich vernichtend ausgefallen. Als Verfechter
einer neuen Auffassung im Umgang mit Kulturgut, insbesondere mit
Baudenkmälern, schrieb er in seinen wegweisenden Schriften „Seven
Lamps of Architecture“ von 1849: „Statt ein Baudenkmal durch kalte
und falsche, ja unmögliche Ergänzungen bis zur Unkenntlichkeit
zu verunstalten, sollte man besser die Vergänglichkeit akzeptieren.
Die Lüge der Restaurierung ist für ein altes Gebäude schlimmer,
als wenn es in einem Haufen Staub zusammengefallen und im Sumpf
versunken wäre.“ Hinter dieser Überzeugung steht eine ehrfürchtige
Haltung gegenüber dem gealterten, unverfälschten Zustand von Denkmälern
und Kunstwerken, wie sie im 19. Jh. nicht selbstverständlich war.
Es war die Zeit, in der Restauratoren und Denkmalpfleger in die
Lager der „Rückrestaurierer und Vollender“ und der reinen „Konservierer“
gespalten war. Dass der Restaurator, der den Deckelpokal im 19.
Jahrhundert aus material- und zeitfremden Resten zusammenbaute,
tendenziell zu den ersteren gehörte, ist offensichtlich. Mit der
Vereinigung von zusammenhanglosen alten Teilen zu einem neuen
Werk wurde das Ziel allerdings weit verfehlt, eines der beteiligten
Objekte durch eine idealtypisch korrigierende Ergänzung wiederherzustellen.
Viel wichtiger schien damals die Verwendung von „antikem“ Material,
um die Stimmung der alten Zeit wieder zu erwecken. Damit wurde
ein schöpferischer Ansatz der Restaurierung fortgeführt, wie er
Jahrhunderte vorher bereits bestand. So hatten restauratorische
Eingriffe im Mittelalter meist nicht zum Ziel, das Aussehen eines
Kunstwerkes wiederherzustellen, vielmehr wurde das Werk selbst
durch Erweiterung oder Veränderung der ursprünglichen Gestalt
in die eigene Zeit weitergeführt. Die Restauratoren der Renaissance,
die meist selbst Künstler waren, hofften durch Einfügungen und
Überfassungen ihre Vorbilder sogar zu übertreffen. Dieser gestalterische
Wille blieb in der Restaurierung des 17. und 18. Jahrhunderts
bestehen, so dass es immer wieder zu großen Eingriffen und Uminterpretationen
kam.
Heute ist die Restaurierungsauffassung eine andere, und aus den
Künstlern, Sammlern und Handwerkern, die sich früher um die Erhaltung
von Denkmälern und Kunstwerken bemühten, ist seit rund dreißig
Jahren der eigenständige und weitgehend akademisierte Berufszweig
der Restauratoren hervorgegangen. Diese setzen sich in unterschiedlichen
Fachgebieten dafür ein, dass das historische Objekt in seinem
überlieferten authentischen Bestand und Kontext größte Wertschätzung
erfährt und substanzerhaltende Maßnahmen stets Vorrang vor interpretierenden
haben. So verbietet es heute die Berufsehre, historische und objektfremde
Teile zur Wiederherstellung eines Exponats zu verwenden. Nach
einer zeitgemäßen Restaurierung würde der Glaspokal vermutlich
auf einem neuen, gestalterisch zurückhaltenden und als Ergänzung
erkennbaren Fuß aus Glas oder einer formneutralen Stütze aus transparentem
Kunststoff stehen. In den frühen Bestand des 1908 in der Hauptstraße
eröffneten Kurpfälzischen Museums der Stadt Heidelberg wurde der
Deckelpokal allerdings bereits mit seinem metallenen Ersatzfuß
übernommen. Offenbar wurde die Reparatur des 19. Jahrhunderts
bereits damals als authentisches Merkmal gesehen, so dass kein
Restaurator eine Rückführung des Pokals in seine Einzelteile unternahm.
Heute kommt dem Pokal besonders hohe Wertschätzung zu, gerade
weil er eine historische Restaurierungsauffassung und damit den
Wandel eines Berufsstandes dokumentiert. In seiner einmaligen
Ausprägung wird er auch für die Zukunft zu bewahren sein.
Text:
Carl Ludwig Fuchs, Annina Seele
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