Wütend befahl
Venus ihrem Sohn Amor, das Mädchen in einen hässlichen Mann verliebt
zu machen. Damit sind die drei Hauptfiguren vorgestellt: Venus,
die eifersüchtige Göttin, Amor, ihr Sohn, der durch Pfeilschüsse
bei Göttern und Menschen Liebe erweckt, und Psyche, das Mädchen,
das, nur weil es ungewöhnlich schön ist, Opfer einer Göttin werden
soll. Doch Amor verliebte sich selbst in Psyche und ließ deren
Eltern durch einen Orakelspruch Apollos weissagen, sie müssten
ihre Tochter für eine Hochzeit kleiden und sie zu einer einsamen
Bergspitze bringen. Von dort trug sie aber Zephyr, der Westwind,
in einen prächtigen Palast. Bereits in der ersten Nacht kam Amor
unerkannt zu ihr und liebte sie. Er versprach, jede Nacht wiederzukommen,
nur dürfe sie nie versuchen herauszufinden, wer er sei. Auf Drängen
ihrer eifersüchtigen Schwestern, aus Neugier und aus Angst, ein
Ungeheuer neben sich liegen zu haben, ging sie in der folgenden
Nacht mit einer Öllampe und einem Messer zu Bett. Doch als sie
die Lampe entzündete, sah sie den wunderschönen Amor, der aber
durch einen heißen Öltropfen aufwachte und entfloh. Die verzweifelte
Psyche suchte ihn auf der Erde vergeblich und gelangte schließlich
zur eifersüchtigen Venus. Für diese musste sie schwierige Aufgaben
erfüllen, bei denen ihr aber Amor, der sie immer noch liebte,
half. Mit den Worten "Nimm Psyche, und sei fortan unsterblich!
Nie wird sich Cupido aus den Banden, die ihn an dich knüpfen,
lösen, sondern ihr seid vermählt in Ewigkeit!" leitet Göttervater
Jupiter selbst das Happy End von Amor und Psyche ein. Die bezaubernde
Geschichte der beiden Götter inspirierte immer wieder die antiken
Künstler. Gleichermaßen fasziniert von ihr ließen sich Renaissance-Fürsten
im 16. Jahrhundert ganze Säle mit der erotischen Geschichte des
antiken Liebespaares ausmalen. Die römische Kaiserzeit stellte
beide auf Mosaiken dar, modellierte Statuen und auch die Kleinkunst
- auf Gefäßen und Terrakotten - widmete sich dem Pärchen. Im Laufe
der Zeit wurden beide immer mehr zu liebenden und unschuldigen
Kindern: Amor, der kleine geflügelte Putto, und Psyche, das zarte
Mädchen mit den Schmetterlingsflügeln. Alle Varianten gehen aber
letztlich auf einen hellenistischen statuarischen Prototyp zurück,
den Kopien vor allem in Rom und Florenz überliefern. In leicht
abgewandelter Form zeigen seit dem Späthellenismus bis weit in
die Kaiserzeit unzählige Terrakotten aus italischer und mittelgallischer
Fabrikation das beliebte Motiv. Die Heidelberger Terrakotte wurde
1877 beim Bau des Altklinikums im Bereich der Schurmanstraße,
in Höhe der Psychiatrischen Klinik entdeckt und gelangte in die
Archäologischen Sammlungen der Universität. Über die spärliche
Nachricht hinaus: "1877 am Neckar gefunden" gibt es keine weiteren
Informationen über die Befundsituation. Das 19 cm hohe hohlgegossene
Tonrelief zeigt das kindliche und geflügelte Paar in Dreiviertelansicht,
bis auf die Angabe der Frisuren ist die Rückseite glatt. Beide
stehen dicht nebeneinander, umarmen und küssen sich. Amor ist
nackt, die links stehende Psyche trägt ein gegürtetes, in pudrigen
Falten nach hinten wehendes Gewand. Amor greift mit seiner rechten
Hand an ihre Brust, sie erwidert die Liebkosung, indem sie mit
ihrer Rechten den Unterarm des Gefährten berührt. Der weiße,
sehr feine Pfeifenton hat eine fette, hartgebrannte Konsistenz
und wirkt sehr homogen; er ist charakteristisch für mittelgallische
Werkstätten. Die sorgfältig geglättete Oberfläche zeigt keinerlei
Spuren der ursprünglichen Farbfassung mehr. Doch war die Bemalung
das wichtigste Zierelement der Terrakotten und der weiße Pfeifenton
ein perfekter Malgrund. Tonfiguren gehörten im römischen Imperium
zu den billigen Massenwaren, denn sie konnten, in eine zweiteilige
Form gepresst, serienmäßig immer wieder abgeformt werden. So tauchen
sie denn auch zu Hunderten in Heiligtümern auf, wo sie für die
"einfachen Leute" die unerschwinglichen Weihefiguren aus Stein
oder gar Bronze ersetzten. Die Heidelberger Votivgabe stammt
sicherlich nicht aus einem Heiligtum. Der Fundort liegt mitten
im Heidelberger Südvicus, so dass hier am ehesten an ein kleines
Hausheiligtum zu denken ist, in dem das Pärchen als Symbol für
Liebe und/oder eheliche Verbundenheit oder aber mit der Bitte
um Liebeserfüllung geweiht wurde.
Text:
Renate Ludwig
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