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Kurze Stadtgeschichte

826 errichtete Bischof Radolt von Verona (Amtszeit 799 bis 840, gestorben um 847) hier eine klösterliche Zelle, die von ihm ihren Namen Radolts-Zell (lat.: Cella Ratoldi) erhielt. Die Gründungsgeschichte wird in der Reliquienübertragungslegende des Klosters Reichenau „De miraculis et virtutibus beati Marci evangelistae“ (Von den Wundern und den Tugenden des Heiligen Evangelisten Markus), einem Teil der Sammelhandschrift des Reichenauer „Codex domesticus“, die um 930 niedergeschrieben wurde, berichtet. Danach habe Radolt, der Bischof von Verona, den Reichenauer Abt Hatto gebeten, ihm die am nördlichen Inselufer gegründete Kanoniker-Zelle Eginos, seines 802 verstorbenen Lehrers und Vorgängers auf dem Veroneser Bischofsstuhl, zu überlassen. Der Abt, der ihm diesen Wunsch nicht erfüllen wollte, habe ihn auf einen anderen, von ihm ausersehenen Ort am gegenüberliegenden Seeufer verwiesen, von dem es in der besagten Reichenauer Schrift heißt:

Est locus valde speciosus, a nostro monasterio segregatus ultra lacum iacens inter aquilonarem et occidentalem plagam spatio duorum milium, in quo erant piscatorum domus nullique alii aptus cultui. Hunc coepit excolere, domos aedificare nec non ecclesiam ad honorem deo in eodem loco construere nominisque sui vocabulum eidem cellulae imponere vocans eam Ratoltescella, quae nunc usque comparet. Quam cum multimodis decoraret ornamentis omnibusque iuxta suae mentis affectum rite patris ad episcopalem sedem, unde venerat, reversus est.

„Dieser Ort nun von dem Kloster jenseits des Sees gegen Nordwesten zwei Meilen entfernt, war überaus lieblich gelegen, jedoch nur von Fischern bewohnt und zu keinem andern Anbau geeignet. Ihn also begann Radolt herzurichten und Wohnungen nebst einer Kirche zur Ehre Gottes daselbst zu erbauen und die so gegründete Zelle nach sich Radoltszelle zu benennen, wie es noch heute ist. Nachdem er sie mannigfach geschmückt und ganz nach seinem Sinne ausgestattet hatte, kehrte er wieder an seinen Bischofssitz zurück.“

In der Folge habe sich Radolt gegen beträchtliche Summen Geldes in Venedig Reliquien des Evangelisten Markus und in Treviso die Gebeine des Heiligen Senesius und Theopontus erworben. Die Markus-Reliquien habe er 830 in die Reichenau überführt, die letzteren in der Kirche seiner neugegründeten Zelle beigesetzt, die dann bereits früh zu einem Wallfahrtsort der beiden Heiligen, Schutzpatrone der späteren Stadt („Hausherren“), wurde. Zu ihnen trat später noch der Heilige Zeno. Ratold verbrachte in seiner Gründung nach dem Verzicht auf das Bistum Verona 840 seine letzten Lebensjahre. (Bild: Die Wallfahrt zu den "Hausherren", Aquarell 1845)

Im Jahr 1100 unternahm der Reichenauer Abt Ulrich II. von Dapfen, nachdem vorher in Allensbach eine Marktgründung gescheitert war, einen neuen Versuch zur Förderung der wirtschaftlichen Infrastruktur. Mit Zustimmung Heinrichs IV. errichtete er „in dem Weiler Radolfs“ (in villa Ratolfi), neben dem Bauern- und Fischerdorf, dem alten reichenauischen Kelhof und der Kirche Radolfs, wo inzwischen ein Chorherrenstift entstanden war, einen vom Kelhof getrennten Markt, vermutlich verbunden mit einem eigenen Münzrecht. Gleichzeitig wurde die Siedlung erweitert und wenig später mit dem Bau einer umgebenden Mauer und ihrer vier ältesten Tortürme begonnen, von denen drei neben den Resten der Stadtmauer heute noch erhalten sind.

Die Äbte der Reichenau, welche in den Anfängen der Siedlung Grund- und Hofrechte und damit die Herrschaft über den Ort als Eigengut des Klosters besaßen, gaben auch das Vogteirecht an Reichenauer Ministerialen aus, die dann zusammen mit dem jeweiligen Meier und Schultheiß für die Gerichtsbarkeit bzw. für die recht- und regelmäßigen Abgaben der Zinsbauern (Censualen) und Hörigen an die Reichenauer Lehensherren zuständig waren.

1267 erhielt Radolfzell Stadtrechte und wurde in diesem Zusammenhang wieder der „rechtmäßigen Gewalt“ eines Reichenauer Abtes (Albrecht von Ramstein) unterstellt, nachdem es zwischenzeitlich den Herren von Friedingen, die Vogt- und Meieramt über Radolfzell ausübten, unterstanden hatte. 1298 verkaufte der Konstanzer Bischof Heinrich II. von Klingenberg, unter dessen Pflegschaft das äbtelose und hoch verschuldete Kloster Reichenau damals stand, die Vogtei über Radolfzell samt den Dörfern Aach (Hegau), Überlingen am Ried, Böhringen und Reute (Radolfzell) an das Haus Habsburg, in dessen Urbar die Orte zu Beginn des 14. Jahrhunderts dann auch geführt werden.

Bild: Münster, zwischen 1436 und 1520 an der Stelle erbaut, an der Bischof Ratold die Kirche seiner kleinen Klosterzelle errichtet hatte.

Als Folge der Ächtung Herzog Friedrichs IV. erhielt die Stadt 1415 die Reichsfreiheit – Friedrich hatte dem auf dem Konstanzer Konzil weilenden Papst Johannes XXIII. zur Flucht verholfen, der dann nach seiner Gefangennahme drei Wochen in der Radolfzeller Burg festgehalten wurde – kam aber 1455 wiederum unter habsburgisch-österreichische Herrschaft. Österreich allerdings erkannte nicht nur die alten Privilegien an, sondern erteilte auch neue, insbesondere die Ausübung der Vogtei und der Hochgerichtsbarkeit über die Stadt und einige Dörfer der Umgebung.

Im 16. Jh. konnte die wohlhabend gewordene Stadt einige Dörfer der Umgebung erwerben und so ihre Grundherrschaft ausweiten. Vom November 1576 bis zum Mai 1577 war die Universität Freiburg wegen einer in Freiburg herrschenden Seuche nach Radolfzell ausquartiert. 1609 verlegte der Ritterkanton Hegau seinen Sitz hierher. Die Kanzlei befand sich im Ritterhaus, einem ehemaligen Hof des Ritters Hans von Schellenberg, der 1810 Sitz des Bezirksamtes wurde (heute Amtsgericht, Bild links)

Radolfzell gehörte in österreichischer Zeit zur Landgrafschaft Nellenburg und zählte zu den schwäbisch-österreichischen Ständen. 1806 fiel die Stadt an Württemberg und kam 1810 im Tausch an das Großherzogtum Baden. Hier wurde die Stadt Sitz eines Bezirksamtes, dem Bezirksamt Radolfzell, das 1872 aufgelöst wurde. Radolfzell gehörte dann zum Bezirksamt Konstanz, aus dem 1939 der Landkreis Konstanz hervorging.

Text: Wikipedia (Stand 27.7.13, gekürzt und umgearbeitet)

im Detail:  
Aufsätze aus der Badischen Heimat: Klaus Eiermann: Die Baugeschichte der Stadt Radolfzell.
BH 13 (1926) S. 129 - 143
J. Zimmermann: Eine alte Schiffsprozession auf dem Bodensee.
Die Dankwallfahrt des Seedorfs Moos nach Radolfzell.
BH 34 (1954) S. 146 - 147
siehe auch:  
weiter:  

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