Projekt kulturer.be
1.3.24
(gnm) Unermesslicher Reichtum, ewige Jugend und Unsterblichkeit: Schon immer fesselte die Menschheit die Aussicht auf vermeintlich Unerreichbares. Die Erfüllung dieser Wünsche versprach ein einzigartiges Elixir, der sogenannte „Stein der Weisen“. Über Jahrhunderte versuchten Alchemisten, ihn herzustellen. Sie experimentierten und verfassten Traktate – doch der Stein blieb bis heute eine Legende. Wie sieht er aus, wie ist er beschaffen? Wir wissen es nicht. Doch gerade dieses Geheimnisvolle macht seinen Reiz aus
Eine Studioausstellung gibt mit rund 60 Handschriften und Drucken, überwiegend aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert, sowie ergänzendem pharmazeutischem Gerät Einblicke in die faszinierende und geheimnisumwobene Geschichte der Alchemie
Darstellung eines chaotischen Alchemie-Labors aus der Spottschrift „Von der Artzney bayder Glück, des guten und widerwertgien […]“ des italienischen Dichterfürsten Francesco Petrarcha, Augsburg, 1532. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Alraune, Darstellung aus dem „Hortus sanitatis“ von Johannes von Cuba, 1485. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Alraunmännchen, 17./18. Jh. (?), Bearbeitung 19./20. Jh. Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Wie stellen wir uns eine Welt ohne Sorgen vor? Ist das Licht ein anderes? In welch fantastisch-sphärische Farben wären die Landschaften getaucht? Die Vorstellungen des 16. Jahrhunderts von dieser Traumwelt zeigen kostbare Splendor Solis-Handschriften. Mit Splendor Solis, was übersetzt „Sonnenglanz“ bedeutet, wird eine alchemistische Bilderhandschriftengruppe bezeichnet, die zu den prunkvollsten ihrer Art zählt. Farbintensiv leuchtende, großformatige Illustrationen surreal anmutender Szenerien veredeln die Textseiten. Wirklich erklärend sind sie allerdings nicht: Ziel alchemistischer Abhandlungen war weniger das Festhalten und Vermitteln von Wissen als vielmehr die kultische Mystifizierung der Alchemie als Geheimwissenschaft
Die Bilderfindungen sind rätselhaft und orientieren sich nicht an der Natur. Die Bedeutung einzelner Figuren, Tiere, astronomischer und mathematischer Instrumente ist kaum zu entschlüsseln. Auch die kryptisch formulierten Texte helfen nicht. Für wen waren die Handschriften also gedacht? Die prachtvolle Ausgestaltung der Splendor Solis-Handschriften lässt auf Adressaten aus höfischem Umfeld schließen. Die Alchemie war die „Wissenschaft der Mächtigen und Reichen“, der Könige, denn nur sie besaßen die Mittel, Labore zu unterhalten und die mitunter seltenen und kostspieligen Zutaten zu erwerben.„Die Illustrationen der Splendor Solis-Handschriften leisten das, was deren Text uns vorenthält“, ist Generaldirektor Prof. Dr. Daniel Hess überzeugt. „Sie entfalten diese zauberhafte Welt jenseits der Realität und geben eine Vorstellung von dem, was der Stein der Weisen zu eröffnen verspricht.“
Anlass der Studioausstellung war der Ankauf einer seltenen Splendor Solis-Handschrift von 1582, die ein Privatmann dem Museum zur Begutachtung vorgelegt hatte. Außergewöhnlich, denn weltweit sind nur 21 Exemplare dieser Buchgattung bekannt. Der spätere Erwerb der Handschrift macht das Germanische Nationalmuseum zur einzigen Institution, die zwei dieser Raritäten besitzt. Erstmals sind sie jetzt zusammen ausgestellt. Die Präsentation hebt die Exklusivität früherer Jahrhunderte auf, als alchemistische Handschriften ausschließlich einer eingeschworenen herrschernahen Gemeinschaft vorbehalten waren
Geheimnisvolle Symbole
Das Geheimnisvolle faszinierte aber nicht nur Herrscher. Albrecht Dürer griff das Thema in seinem Meisterstich „Melencolia“ von 1514 auf, der neben einer geflügelten Figur allerlei Dinge wie Polyeder und Kugel sowie einen Schmelztiegel über einem Feuerbecken darstellt. Über keines seiner Werke sind mehr Publikationen erschienen und dennoch ist es bis heute nicht gelungen, alle auf dem Stich dargestellten Symbole zu deuten
Selbst die Bilder alchemistischer Labore bleiben vage: Drucke aus dem 16. Jahrhundert zeigen Menschen inmitten ungewöhnlicher Gefäße und wissenschaftlicher Instrumente wie Glaskolben und Destillierhelmen, von denen auch zwei Exemplare ausgestellt sind. Meist mischen sie nicht näher definierte Zutaten zusammen und stehen neben Öfen, um die Mixtur zu erhitzen
Neue Erkenntnisse durch Experimente
Der Stein der Weisen wurde bei diesen Experimenten zwar nicht gefunden, dafür gelangen andere, bahnbrechende Entdeckungen, von denen die Ausstellung einige exemplarisch hervorhebt: Maria die Jüdin, eine der wenigen Frauen in dem Metier, die als bedeutendste Alchemistin des Altertums gilt und im 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. erste Destillationsverfahren entwickelte. Henning Brand produzierte um 1669 versehentlich Phosphor und Johann Friedrich Böttger entschlüsselte um 1700 die damals in Europa noch unbekannte Rezeptur des Porzellans
Ein Flugblatt mit dem Titel „Die Hinrichtung des betrügerischen Alchimisten Georg Honauer an dem eigens aufgerichteten „Eisernen Galgen“ in Stuttgart, 2. April 1597“ zeugt von den Schattenseiten des Alchemistendaseins. Herrscher versprachen sich von Alchemisten Gold und Gesundheit. Blieb der Erfolg aus, drohten harte Strafen, nicht selten der Tod. Eine „Alternativentdeckung“ konnte ihr Leben retten
Die Alraune
Alraunen sind mit dem Thema der Alchemie eng verbunden. Laut Zutatenlisten werden sie für die Herstellung des Steins der Weisen allerdings nicht benötigt. Die knotigen Wurzeln, deren Formen mitunter an menschliche Körper erinnern, verfügen über heilende Wirkung und verhalfen angeblich zu Wohlstand. Bildliche Darstellungen und überkommene Alraunenmännchen aus dem 15. bis 19. Jahrhundert zeugen noch heute von der großen Popularität, die die Wurzel im Volksglauben über Jahrhunderte hatte
In Mozarts „Zauberflöte“, aber auch in Goethes „Faust“ finden sich Anspielungen auf die Suche nach dem Stein der Weisen. Joanne K. Rowling machte ihn durch Harry Potter wieder populär. Das macht auch die Studioausstellung überdeutlich: Obwohl bis heute nicht gefunden, ist der Stein der Weisen aus der Kulturgeschichte nicht mehr wegzudenken
Das Germanische Nationalmuseum ist das größte kulturgeschichtliche Museum des deutschen Sprachraums. Seit seiner Gründung 1852 verbindet es Menschen und Kulturen über nationale Grenzen hinweg. Mit 1,4 Millionen Objekten erforscht und vermittelt das GNM einen bedeutenden Bestand des materiellen Kulturerbes Zentraleuropas. Es ist heute eines der acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft
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Bild links | Pexels, Ksenia Chernaya |
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