23.5.19

Der Blog von kulturer.be

Amberger Welttheater - Der Herbst des Winterkönigs

grüner ApfelDer Plot: Friedrich V., der geschlagene und vertriebene Pfalzgraf, Kurfürst und König von Böhmen kommt 1632 mit den schwedischen Heer nach Nürnberg und macht sich von dort aus insgeheim und unerkannt auf den Weg nach Amberg, „seine“ Hauptstadt der Oberpfalz. Dort trifft er auf dem Marktplatz auf eine Schauspieltruppe, die sein „böhmisches Abenteuer“ verhöhnt und vor versammeltem Volk lächerlich macht. Die Schausteller dieser Truppe sind völlig überzeichnet, die Botschaft, die sie spielen, eigentlich vernichtend für den Fürsten.

Die Spielfläche vor der Mariahilf-Bergkirche in AmbergFriedrich muss eingreifen, muss Publikum und Spielern seine Version der Geschichte erzählen, so kann er diese Verzerrung der Wirklichkeit nicht stehen lassen.

Das Spiel: Auf einer zusammengezimmerten Bühne spielt die Posse als Musical, aus der Sicht der Sieger geboten, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen, der Luftikus hat mit Recht alles verloren. Friedrich greift, trotz der Versuche seines Begleiters, ihn daran zu hindern, ein, so kann, so darf er das nicht stehen lassen, diese Posse, diese grässliche Lachnummer, das ist nicht er. Die Bühne teilt sich und öffnet den Blick auf eine andere Wirklichkeit, auf die Sicht des Fürstenpaares, das lebt, das liebt und das zum Schluss auch leidet. Die Musik wechselt dabei in ein anderes, deutlich unterschiedenes Genre. Natürlich treten alle Beteiligten aus der Historie auf, außer Friedrich und Elisabeth auch Christian von Anhalt, auch Abraham Scultetus, die Hofdamen am Prager Hof.

Possenspiel: Auftritt der sieben TodsündenReal-Spiel: Friedrich V. und Elizabeth Stuart als BrautpaarReal-Spiel: Das Fürstenpaar

Immer wieder wird die Possenbühne für einen Blick auf eine andere Wirklichkeit geöffnet. Irgendwann kommen auch – bei den Zuschauern im Spiel – einzelne Zweifel auf, ob der Fürst denn wirklich nur der abenteuernde Luftikus war, als der er dargestellt wird. Historisch korrekt werden sie weggewischt, der Fürst am Erfolg gemessen.

Dennoch: Wer hatte jetzt „recht“? Die Possenreißer? Der Fürst?

„Immer eine Fremde sein“, singt Elizabeth Stuart auf der Treppe der Mariahilfkirche vor ihren böhmischen Hofdamen, „Fremdsein können sie nie verzeihn“. Das trifft.

Das Amberger Welttheater differenziert, reduziert Friedrich V. und sein böhmisches Königtum nie auf die eine oder andere Plattitüde. Jeder kommt zu Wort, auch Christian von Anhalt (der historisch gesehen mehr Abenteurer war als sein Fürst), der handfeste eigene Interessen an den böhmischen Erzgruben hatte, auch Abraham Scultetus, der Ideologiker.

Am Ende bleibt die Frage, wer recht hat, offen – aber der Zuschauer geht mit dem sicheren Gefühl nach Hause, dass Spott und Hohn über den Verlierer beileibe nicht die einzige Sicht auf die Dinge von 1619 sind.

Natürlich hat der Rezensent als Historiker noch den einen oder anderen Wunsch. Aber den behält er bei sich und zieht den (imaginären) Hut vor dieser ganz hervorragenden schauspielerischen Leistung. Die Truppe hat es tatsächlich geschafft, den alten Muffelkopp, der immer noch das Eine oder Andere auszusetzen hat, zum Schweigen zu bringen.

Friedrich V. hat nun mal keine gute Figur gemacht, er war nun mal nicht der glorreiche Politiker, der die Welt umstürzen konnte. Das wissen wir im 21. Jahrhundert, weil wir immer alles ohnehin schon besser gewusst haben. Dass es eine Weltrevolution, ein Umsturz aller Ordnungen hatte sein sollen, das wissen wir heute auch. So wie wir wissen, dass die Kräfte der Pfalz nun einmal überspannt wurden. Friedrich und Elizabeth aber traten hier als Menschen auf, als Menschen in einer politischen Ausnahmesituation, den Blick wohl tatsächlich vernebelt von konfessionellem Sendungsbewusstsein und dynastischem Anspruch.

Das Spiel richtet nicht, verhöhnt nicht, rechtfertigt nicht. Es ist ein Spiel um die Frage der Wahrheit. Und es ist ein gutes Spiel. Wert, in Heidelberg selbst aufgeführt zu werden.

Elizabeth und ihre Hofdamen

Possenspiel auf der Bühne


Schlussapplaus: Die Jahrmarktspieler

Schlussapplaus: Die Spieler aus der Geschichte

Amberger Welttheater – der Herbst des Winterkönigs. Noch bis 10. Juni. Restkarten sind noch erhältlich.

Amberger Welttheater

im Detail:  
siehe auch:  

Startseite | Service | zur ZUM | © Landeskunde online/ kulturer.be 2019
© Texte der Veranstalter, ohne Gewähr