10.12.18

Naturschutzgebiet Bruchgraben wurde für Wiesenbrüter reaktiviert

(rpk) Anfang Dezember wurden im Auftrag des Regierungspräsidiums Karlsruhe im Naturschutzgebiet „Bruchgraben“ bei Baden-Baden Gehölze entfernt. Damit werden seltene Vogelarten, zum Beispiel der Kiebitz gefördert, die offene, gehölzarme Landschaften benötigen.

Das Naturschutzgebiet „Bruchgraben“ liegt in einer ausgedehnten Feuchtniederung, die durch ein mächtiges Flusssystem am Ende der letzten Eiszeit gebildet wurde. Im 18. Jahrhundert wurde dieses Sumpfgebiet zum Teil entwässert  und die ersten Wiesen angelegt. Da sich sowohl die Mahd, als auch der Abtransport des Materials äußert schwierig gestalteten, wurden bestehende Abflussrinnen vertieft und neue angelegt. Das Mahdgut der feuchten Flächen war als Viehfutter zu schlecht und wurde vor allem als Einstreu für die Ställe genutzt. Mit der Umstellung auf modernere Viehställe wurde diese Einstreu aber nicht mehr benötigt. Da außerdem die Ackerbewirtschaftung trotz großer offener Flächen aufgrund großer Nässe erfolglos blieb, fiel das Gebiet brach. 1986 wurde das Gebiet aufgrund seiner Bedeutung für viele seltene Tier- und Pflanzenarten als Naturschutzgebiet ausgewiesen.  Nach und nach erwarben das Land und die Stadt Baden-Baden die aus Naturschutzsicht besonders wertvollen Grundstücke und übertrugen die Pflege an Landwirte.

In den drei Teilgebieten des „Bruchgrabens“ mit einer Größe von 185 Hektar, haben sich seitdem typische Biotope der Feuchtniederungen entwickelt, zum Beispiel Großseggen-Riede, Schilfröhrichte und Nasswiesen. In der Sumpflandschaft wurden zudem einige Tümpel angelegt. Die Biotope boten einst der Bekassine, der Wasserralle, dem Teichrohrsänger und dem Kiebitz einen geeigneten Lebensraum zur Brut und Aufzucht der Jungtiere.
In den letzten Jahrzehnten ist jedoch ein landesweiter Rückgang dieser und weiterer Arten, vor allem aber der Bodenbrüter bemerkbar. Einige dieser Arten sind selten geworden, andere, wie der Kiebitz, gelten baden-württembergweit als vom Aussterben bedroht. Für diese Art wurde ein dramatischer Bestandsverlust von 80 Prozent in den letzten 25 Jahren verzeichnet. In den vergangenen Jahren konnten im „Bruchgraben“ vereinzelt Kiebitze nachgewiesen werden, die jedoch nicht zur Brut kamen. Das Gebiet ist auch eines der letzten Brutgebiete von Tüpfelsumpfhuhn und Bekassine in Baden-Württemberg. Auch diese Arten, die in feuchten Niederungen leben, sind vom Aussterben bedroht. Inmitten des Biodiversitäts-Hotspots am Oberrhein nutzen neben den dort brütenden Arten viele weitere, darunter auch seltene Vogelarten, den „Bruchgraben“ als Rastplatz und zur Nahrungsaufnahme während des Zugs oder gar als Überwinterungsgebiet.

Seit 2016 erfolgt aus Naturschutzgründen eine erneute Wiedervernässung. Dies unterstützt nicht nur Vögel, sondern auch eine Vielzahl anderer Tiergruppen zum Beispiel Amphibien, Insekten und Feuchtwiesenpflanzen. Um die Wiesenbrüter wieder zur Brut im Gebiet anzuregen, sind jedoch weitere Maßnahmen dringend notwendig. „Die offenen Wasserflächen ziehen viele Vogelarten an, aber nur wenige verbleiben zur Brut im Gebiet oder geben die Brut im Laufe der Saison auf“, so der ehrenamtlich aktive Jochen Lehmann, Leiter der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Karlsruhe (OAG). Seit Jahren beobachtet und dokumentiert Herr Lehmann zusammen mit weiteren ehrenamtlichen Kartierern des Naturschutzbundes (NABU) Baden-Baden/Sinzheim das rege Treiben der Vogelwelt im Schutzgebiet. „Ausschließlich in weiträumig offenen Feuchtwiesenkomplexen mit hohen Wasserständen finden die Arten geeignete Brutbedingungen. Die Erhöhung des Offenlandanteils muss deshalb angestrebt werden“, sagt Lehmann.

Durch Nutzungsänderung und -aufgabe sind mit den Jahrzehnten im Gebiet viele Gehölzinseln entstanden, die die Flächen zerschneiden. In den 1960er Jahren fanden sich dagegen nur vereinzelt Bäume und Sträucher. Veränderungen im Gebiet sind besonders aus der Luft erkennbar. Viele am Boden brütende Vogelarten vermeiden das Brüten auf Flächen, die von Gehölzreihen umrandet oder durchsetzt sind. Mangels Sichtweite befürchten sie eine Gefahr durch Fressfeinde. Deshalb wurde vom Ornithologen Dr. Martin Boschert, der für das Artenschutzprogramm Wiesenbrüter des Regierungspräsidiums Karlsruhe arbeitet, in Abstimmung mit den Behörden ein Maßnahmenplan für die Wiederherstellung von weitläufigen „gefahrlosen“ Flächen erstellt.

In den vergangenen Jahren wurden nach diesem Konzept bereits einige der Gehölzinseln entfernt. Auch der landesweit vom Aussterben bedrohte Moorfrosch profitiert von den Arbeiten, findet er doch nun wieder mehr offene Wasserflächen, die ehemals von Grauweiden überwuchert waren.

Über das „Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt“ des Landes Baden-Württemberg können nun vom Regierungspräsidium Karlsruhe verstärkt Maßnahmen umgesetzt werden. Ziel dieses 2017 vom Ministerrat beschlossenen zweijährigen Programms ist sowohl die Stärkung der Biodiversität in den Natur- und Kulturlandschaften, als auch die Förderung der Landnutzer, die sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzen. Nach Abstimmung mit dem Fachgebiet Forst und Natur Baden-Baden werden im Herbst und Winter insbesondere der zentral im Gebiet liegende Heckenzug und verstreute Grauweidengebüsche zurückgenommen. Durch die Gehölzentfernung entstehen nicht nur große Freiflächen, sondern bedingt durch den Maschineneinsatz temporär auch schlammige Bereiche. Besonders für den Kiebitz sind diese Flächen sehr anziehend, da er seine Nester gerne auf offenem Boden anlegt. Dr. Martin Boschert schätzt die Erfolgsaussichten als sehr gut ein. „Die anstehenden Maßnahmen unterstützen die gesamte Population des Kiebitzes im Bezirk, aber auch viele andere Vogelarten werden profitieren. Wir können gespannt sein, welche Arten zurückkehren.“ Die stete Maßnahmenumsetzung im Bruchgraben zeigt beispielhaft, wie durch die Zusammenarbeit vieler Akteure wertvolle Flächen für den Artenschutz zurückgewonnen werden können. Lena Zech, zuständige Referentin des Regierungspräsidiums Karlsruhe für die Naturschutzgebiete im Kreis Baden-Baden, empfiehlt allen Besuchern, sich bei einem Spaziergang selbst einen Eindruck von der außergewöhnlichen Schönheit des Sumpfgebietes zu machen.

Die im Gebiet aufgestellten Infotafeln zeigen Rundwege auf, die durch die Highlights des Gebietes führen. Zech empfiehlt, falls vorhanden, am besten ein Fernglas mitzunehmen und zum Schutz der störungsempfindlichen Arten auf den Wegen zu bleiben.

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