12.9.17

Zu Gast bei Juden. Leben in der mittelalterlichen Stadt

Ausstellung im Archäologischen Landesmuseum Konstanz

(alm) Wer im späten Mittelalter die Städte im Bodenseeraum besuchte, traf wie selbstverständlich im bunten Trubel auch auf deren jüdische Bewohner. Über 250 Jahre lang, von etwa 1200 bis etwa 1450, waren jüdische Familien Teil der städtischen Kultur des Mittelalters. Die Juden pflegten Beziehungen zu Klerikern, Rittern und Kaufleuten, betrieben theologische Studien und waren kosmopolitisch vernetzt bis nach Frankreich, Italien und Böhmen.

Schmähziegel mit Kopf eines Juden aus Ravensburg. Foto: Humpis-Quartier RavensburgDie städtische Kultur des Mittelalters am Bodensee war - in dieser Hinsicht der Gegenwart nicht unähnlich - von einem multireligiösen und multikulturellen Alltag geprägt. Ab dem Beginn des 14. Jahrhunderts wurde das Zusammenleben durch brutale Verfolgungswellen immer wieder unterbrochen. Schließlich beendete die Vertreibung der Juden aus den Städten im 15. Jahrhundert die gemeinsame Kultur, und das jüdische Erbe wurde weitgehend zerstört. Durch diese gezielte Vernichtung ist die gemeinsame Geschichte fast vergessen. Falsche Vorstellungen haben sich unter Juden wie Nichtjuden über diese Epoche ausgebreitet. Anders als angenommen lebten die Juden der Bodenseeregion zum Beispiel keineswegs in Ghettos, sondern oft im Zentrum der Städte und hatten christliche Nachbarn.

Links: Schmähziegel aus Ravensburg. Foto: Humpis-Quartier Ravensburg

Die Ausstellung

Die Erforschung der bedeutenden Kulturregion Bodensee fand bisher nahezu ohne Berücksichtigung ihrer jüdischen Anteile statt. Die Sonderschau hingegen präsentiert das gemeinsame kulturelle Erbe von Juden und Christen im erweiterten Bodenseegebiet im Rahmen des Programms zum „Jahr der Religionen“ der Konstanzer Konzilsfeierlichkeiten 2017. Damit soll der jüdische Aspekt dieser Kulturen zum einen in der Kulturgeschichte des Bodenseeraumes und zum anderen in der Geschichte der Juden in Europa verankert werden. Dafür wurde die Forschung zusammengetragen und die wenigen und zerstreuten Spuren des jüdischen Erbes gesichert. Viele der raren Zeugnisse sind bisher schlecht erforscht. Gemeinsam mit Studierenden der Universität Konstanz hat die Professorin für die Geschichte der Religionen, Prof. Dr. Dorothea Weltecke, diese Hinterlassenschaften intensiv untersucht und stellt nun erstmals die neuen Forschungsergebnisse vor.

Die Besucherinnen und Besucher begegnen vor allem der Bilderwelt der Juden am Bodensee als dem besonders herausragenden Zeugnis der mittelalterlichen jüdischen Kultur der Region. Bildquellen wurden bisher vor allem dazu genutzt, um den diskriminierenden und aggressiven Blick auf Juden im Mittelalter zu verstehen. Dagegen werden erst seit wenigen Jahren von Juden in Auftrag gegebene Bilder gewürdigt. Diese Perspektive wird hier zum ersten Mal in einer Ausstellung erfahrbar.

Die Ausstellung ist zweisprachig in Deutsch und Englisch.

Die Exponate

Neben Medieninstallationen zeigt die Ausstellung prunkvolle Exponate wie hebräische Prachthandschriften, die in Konstanz oder in benachbarten Städten hergestellt wurden. Aber auch stille Zeugen jüdischen Lebens sind zu sehen, deren Bedeutung sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Dazu gehören neben Gebrauchshandschriften, Urkunden und Siegeln weitere Gegenstände, die mit jüdischem Leben in Verbindung stehen.

Darmstädter Haggadah Cod. Or.8 Fol.37v; Foto: Landes- und Universitätsbibliothek DarmstadtDetail einer jüdischen Wandmalerei, Brunngasse 8 in Zürich; Foto: Büro für Archäologie der Stadt ZürichIm Zentrum der Ausstellung befindet sich die Nachbildung einer mittelalterlichen jüdischen Züricher Wohnstube. Bild- und Schriftquellen sowie materielle Überreste werden als Spurenlese erfahrbar und vermitteln einen Eindruck vom Miteinander und von der wiederkehrenden Gewalt in der Welt der Bodenseestädte.

Es werden kostbare Leihgaben präsentiert, die sich heute in Oxford, Budapest, Darmstadt, Hamburg, München, Zürich und an weiteren Orten befinden. Sie wurden bisher nie zusammen gezeigt und kehren nun zum ersten Mal zum Ort ihrer Entstehung zurück.

Links: Darmstädter Haggadah Cod. Or.8 Fol.37v; Foto: Landes- und Universitätsbibliothek Darmstadt
darunter: Detail einer jüdischen Wandmalerei, Brunngasse 8 in Zürich; Foto: Büro für Archäologie der Stadt Zürich

Begleitpublikation

Zur Ausstellung erscheint im Stadler Verlag ein umfangreicher Begleitband. Der Katalog bietet dem historisch interessierten Laien sowie dem wissenschaftlichen Publikum einen Einblick in die jüdisch-christliche Geschichte des erweiterten Bodenseegebietes auf der Grundlage neuester Ergebnisse durch junge Konstanzer Forscher und international anerkannte Spezialisten. Er umfasst mit seiner reichen Bebilderung auch einen Katalog der Exponate und interpretiert diese im historischen Rahmen. Preis 19,80 €

Rahmenprogramm

Begleitend zur Sonderausstellung wird eine Vortragsreihe sowie ein umfangreiches Vermittlungsprogramm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Museum - auch kombiniert mit Führungen in der Stadt Konstanz - angeboten.

Eintrittspreise

7,- €, ermäßigt 5,- €, Kinder (6-18 J.) 1,- €, Familien 14 €, Schüler- und Jugendgruppen 1 € pro Person, 2 Begleitpersonen frei.
Gruppenführungen auf Anfrage.

Ausstellungsort: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Benediktinerplatz 5, D-78467 Konstanz
Öffnungszeiten: Ganzjährig Dienstag-Sonntag, feiertags 10-18:00 Uhr, montags geschlossen.

Text und Bildvorlagen: ALM Konstanz

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