3.12.15
Menschen in Bewegung – „Kultur“ und „Heimat“ als
politische Instrumente
Erklärung österreichischer Volkskunde-Institute,
Museen, Vereine und Verbände
Die unterzeichnenden österreichischen Universitäts-Institute
für Volkskunde, Europäische Ethnologie und Kulturanthropologie
sowie die Verbände und Museen für Volkskunde wenden sich
gegen die Art und Weise, wie derzeit im Zusammenhang mit der Bürgerkriegsflucht
und Migration vieler Menschen die Begriffe Kultur, Heimat und Identität
instrumentalisiert werden.
In Massenmedien, in Internet-Foren und auf politischer Ebene
sind aktuell Diskussionen über vermeintliche Effekte der „Flüchtlingskrise“ entbrannt,
die oftmals wenig sachlich verlaufen, dafür jedoch Ängste
und Fremdenfeindlichkeit schüren. Verstärkt wird
dabei damit argumentiert, dass von Flüchtlingen eine Gefährdung
ausgehe – speziell für „Heimat“, „Kultur“ und „Identität“.
Die politische Instrumentalisierung dieser – historisch
bereits vielfach für unterschiedliche Zwecke genutzten – Bilder
und Begrifflichkeiten betrachten wir mit Sorge.
Das heutige Alltagsverständnis von „Heimat“ entstand
seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in Zusammenhang mit der
bürgerlichen Gesellschaft. „Heimat“ wurde
als ein Wunsch-Ort stilisiert, der Sehnsüchte enthält
und Verlustängste kompensiert. Aufgeladen mit Ideologien
der Ausgrenzung und Wir-Behauptung war und ist die Vorstellung
von „Heimat“ leicht auch ein Ausgangspunkt für
Vertreibung und sogar Vernichtung. Dieses Reden über „Heimat“ hat
mit der gegenwärtigen mobilen Gesellschaft an Bedeutung
gewonnen. Allerdings wird in der Regel übersehen, dass
Menschen mehrere Zugehörigkeiten haben (können).
In problematischer Weise wird auch in der politischen und
medialen Diskussion in Österreich von „Kultur“ und „Identität“ gesprochen,
als ob es sich dabei um feststehende Kategorien handele und
als ob es keine innergesellschaftlichen Unterschiede gäbe.
Diese scheinbar kulturwissenschaftlich geführten Debatten
entbehren einer differenzierten wissenschaftlichen Begründung.
Als Vertreter_innen eines universitären Fachs, das auf
ein Jahrhundert der Beschäftigung mit Alltagskulturen
und mit der Reflexion kultureller Diversität und Differenz
zurückblicken kann, müssen wir einer politischen
Instrumentalisierung dieser Begriffe entschieden widersprechen:
Der Blick auf die Geschichte zeigt, dass „Kultur“ und „Identität“ im
Laufe der Geschichte vielfach auf gefährliche Weise verwendet
wurden, um das „Fremde“ vom vermeintlich „Eigenen“ abzugrenzen
und Menschen auszuschließen – wie in der aktuellen
Diskussion.
Gerade die Entwicklung Österreichs zeigt deutlich, dass
infolge migrantischer Mobilität Mehrsprachigkeit und kulturelle
Pluralität schon immer integraler Bestandteil der gesellschaftlichen
Entwicklung waren. Die Vorstellung von „Kulturen“ als
einheitlichen, nach außen geschlossenen Containern oder
als nationale Besitzstände, die zudem noch in nationale
Grenzen zu gießen wären, war und ist eine wirkmächtige
Fiktion. Was wir als Kultur betrachten, ist nicht naturgegeben,
sondern wird von allen am Alltagsleben beteiligten Menschen
stets neu ausgehandelt und mit Bedeutung versehen: Kultur ist
dynamisch, richtungsoffen und in Bewegung. Diese Prozesse sind
immer auch von Ungleichheiten und Macht geprägt bzw. stellen
diese her. Wir erkennen folglich fremdenfeindliche und diskriminierende
Aussagen gegenüber anderen Gruppen als Versuch, eigene
Ansprüche auf die Definition von Kultur zu rechtfertigen
und eigene politische Einflussbereiche zu vergrößern.
Solchen politischen Ansprüchen dient auch die derzeitige
Krisenrhetorik, die Zuwanderer_innen eine Bedrohung unterstellt.
Dabei verdeckt sie die Gründe und Dynamik für die
aktuelle Zuspitzung der Lage von Flüchtlingen. Diese wurzeln
in europäischen Migrationspolitiken, die jahrzehntelang
auf die Militarisierung und Sicherung der Außengrenzen
ausgerichtet waren, anstatt für sichere Migrationswege
und die koordinierte Aufnahme von international Schutzbedürftigen
aus Kriegsgebieten zu sorgen.
Politische Entscheidungen und Aktivitäten sind aktuell
auf kurzfristige Krisenbewältigung ausgelegt. Nicht zuletzt
das Erstarken fremdenfeindlich gesinnter Gruppen macht jedoch
deutlich, wie dringend der Bedarf an Maßnahmen zur Förderung
nachhaltiger Lösungen ist. Eine integrative und demokratische
Kulturpolitik würde allen gesellschaftlichen Gruppen und
Schichten den Zugang zu sozialer, ökonomischer, demokratischer
und kultureller Teilhabe ermöglichen. (28.11.2015)
Unterzeichnende Universitätsinstitute, Museen, Vereine
und Fachverbände:
- Abteilung Kulturanthropologie, Institut für Kultur-,
Literatur- und Musikwissenschaften, Alpen-Adria-Universität
Klagenfurt/Celovec
- Fach Europäische Ethnologie im Institut für
Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie, Leopold-Franzens-Universität
Innsbruck
- Institut für Europäische Ethnologie, Universität
Wien
- Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie,
Karl-Franzens-Universität Graz
- Volkskundemuseum am Universalmuseum Joanneum, Graz
- Österreichisches Museum für Volkskunde,
Wien
- Österreichischer Fachverband für Volkskunde
- Verein für Volkskunde, Wien
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