12.4.11
Hightech-Methoden eröffnen neue Perspektiven auf keltische
Schädelfunde
Zwei der am besten erhaltenen keltischen Schädelfunde überhaupt
haben Wissenschaftler im Vorfeld der Ausstellung „Schädelkult“ mit
modernen Hightech-Methoden untersucht. Ihre Erkenntnisse zu einer
Schädelmaske und einem Trophäenschädel aus der
Eisenzeit präsentierten sie jetzt in den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen.
Die Funde stellen einzigartige Speicherträger dar, die für
das Forschungsteam über 2000 Jahre alte Informationen über
die rituellen Praktiken einer der spannendsten Kulturen Mitteleuropas
bereit halten: die Kelten.
Dank moderner Hightech-Methoden entlockten Wissenschaftler des
German Mummy Projects und der Universität Freiburg den nicht
nur für Deutschland bedeutenden keltenzeitlichen Zeugnissen
ihre Geheimnisse. Die Computertomographie, die neuartige 3D-Drucktechnik
in Echtfarbe sowie die Verfahren der anthropologischen Gesichtsrekonstruktion
eröffnen neue Perspektiven auf archäologische Funde,
die das Phänomen keltischer Schädelkult-Praktiken in
Mitteleuropa eindrucksvoll belegen. Durch die Anwendung dieser
Hightech-Methoden wurde außerdem ein wichtiger Beitrag
zu restauratorischen und objektschützenden Maßnahmen
geleistet.
Die modernen Untersuchungsmöglichkeiten setzen die fragilen
Originale keiner unnötigen Gefahr aus und lösen bisherige
Methoden wie beispielsweise den Gipsabguss weitgehend ab. In
Kooperation mit der Universitätsmedizin Mannheim konnten
die Schädelmaske und der Trophäenschädel, beides
archäologische Funde aus dem Raum Koblenz, im Computertomographen
gescannt werden. So entstanden wichtige Basisdaten, die das Cochemer
Unternehmen SCYTEQ für den 3D-Druck des Trophäenschädels
verwenden konnte. Das dem Druck vorausgehende 3D-Scanning erfasst
detailgenau Textur und Dekor des Objekts und führt schließlich
zur Fertigung einer täuschend echten Replik des Originals
in Echtfarbe.
Auch für die Gesichtsrekonstruktion der keltischen Schädelmaske
sind die computertomographischen Daten ein wichtiger Ausgangspunkt.
Die Anthropologin Prof. Dr. Ursula Wittwer-Backofen von der Universität
Freiburg konnte anhand dieser Messdaten die Rekonstruktion des
Unterkiefers und nachfolgend des gesamten Gesichts erstellen.
So entstand das authentische Antlitz eines männlichen Erwachsenen
aus der Keltenzeit, dessen knöcherne Überreste von
seinen Zeitgenossen im Kontext eines Ahnenkults verehrt, bevor
sie erneut bestattet wurden.
Für den Ausstellungsmacher und Leiter des German Mummy
Projects Dr. Wilfried Rosendahl haben sich durch die Untersuchungen
wichtige Erkenntnisse ergeben, die in die Ausstellungskonzeption
einfließen werden: „Dank der Replik des Trophäenschädels
wissen wir jetzt mehr über das Innere des Schädels,
denn das Original ist mit Sediment verbacken und verhindert den
Blick in das Schädelinnere. Mittels der hervorragenden Unterkiefer-Rekonstruktion
und der daraus folgenden Gesichtsrekonstruktion der Schädelmaske,
sind wir in der glücklichen Lage, den Ausstellungsbesuchern
die faszinierende Begegnung mit unseren Vorfahren zu ermöglichen.
Wann hat man schließlich schon mal die Möglichkeit,
in ein keltisches Antlitz blicken zu können?“ Diese
Faszination teilt auch Dr. Dr. Axel von Berg, Leiter der Außenstelle
Koblenz der Direktion Landesarchäologie Rheinland-Pfalz.
Von dem Ergebnis der Gesichtsrekonstruktion zeigt er sich beeindruckt: „Für
mich als Archäologe hat es natürlich einen besonderen
Reiz, in das rekonstruierte Gesicht eines eisenzeitlichen Kelten
zu blicken.“ Schließlich handelt es sich um die erste
Nachbildung dieser Art überhaupt für eines der Zentren
keltischen Schädelkults in Mitteleuropa – die Region
um Koblenz.
Erneut konnten die Reiss-Engelhorn-Museen die Generaldirektion
Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz als wichtigen Kooperationspartner
für ein großes Ausstellungsprojekt gewinnen. Durch
die wissenschaftliche Zusammenarbeit im Vorfeld der Ausstellung
gewinnt die Landesarchäologie Rheinland-Pfalz wichtige zusätzliche
Erkenntnisse über ihre Fundobjekte, die die Reiss-Engelhorn-Museen
dann für über ein halbes Jahr im Rahmen der Schädelkult-Ausstellung
einer breiten Öffentlichkeit präsentieren können.
Die Ausstellung „Schädelkult – Kopf und Schädel
in der Kulturgeschichte des Menschen“ ist ab dem 2. Oktober
2011 im Museum Weltkulturen der Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim
zu sehen. Begleitend erscheint im Verlag Schnell und Steiner
ein umfassender Katalog mit gut verständlichen Beiträgen,
darunter auch die neuesten Forschungserkenntnisse.
www.schaedelkult.de |