29.12.11
Nachlese:
Hauptbahnhof Stuttgart und der Denkmalschutz (von
2010)
(dsd) Ein im Juli 2010 kurzfristig anberaumtes Gespräch
zwischen dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn, Dr. Rüdiger
Grube, und den Initiatoren des Zusammentreffens, dem Vorstandsvorsitzenden
der Bundesstiftung Baukultur, Prof. Michael Braum, sowie der
Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Prof. Dr. Gottfried Kiesow,
konnte die Abrisspläne nicht verhindern. Beide Stiftungen
bleiben bei Ihrem Standpunkt: "Stuttgart 21" lässt
sich auch mit dem Erhalt des Bonatz Baus realisieren.
Wir zitieren die Pressemitteilung vom 26. Juli 2010:
Erst vor wenigen Tagen wurde öffentlich bekannt, dass der
für November diesen Jahres avisierte Abriss der Seitenflügel
des Bonatz Baus schon im August 2010 beginnen soll. Dies geschieht
ungeachtet des Widerstands von Peter Dübbers, Enkel von
Paul Bonatz, und dem geführten Rechtstreits. Dübbers
hat beim Oberlandesgericht Stuttgart Berufung gegen das vor gut
einem Monat ergangenen Urteil des Landgerichts eingereicht, das
seine Urheberrechtsklage in der ersten Instanz ablehnte.
"Die Verstümmelung des Stuttgarter Hauptbahnhofs durch
den Abriss der Seitenflügel ist ein baukultureller Skandal",
betonte Prof. Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung
Baukultur. "Hier wird ausschließlich aus der Sorge
heraus, den Bauablauf zu verzögern, ein für Deutschland
einmaliges, international anerkanntes Ensemble der frühen
Moderne unwiderruflich zerstört. Jahre konnte man bislang
sorgfältig planen und nunmehr scheint es den Verantwortlichen
nicht schnell genug gehen zu können".
„Stuttgart 21 ist auch möglich, wenn der Hauptbahnhof
stehen bleibt. Das ist uns klar, das ist dem Architekten klar
und auch Rüdiger Grube. Letztlich fehlt nur der Wille, noch
einmal gegenzusteuern. Dieses Nationaldenkmal darf nicht amputiert
werden. Wird der Hauptbahnhof gehalten, könnte die Deutsche
Bahn einmal wieder positive Schlagzeilen machen. Stuttgart 21
würde besser und günstiger," unterstrich Prof.
Dr. Gottfried Kiesow, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Stiftung
Denkmalschutz.
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hatte sich sehr früh
für den Erhalt des Stuttgarter Hauptbahnhofs eingesetzt.
Sie gehört zu den ersten Unterzeichnern des Aufrufs der
Arbeitsgemeinschaft Hauptbahnhof Stuttgart.
Eine der ersten öffentlichen Initiativen der Bundesstiftung
Baukultur war 2008 die Aufforderung an die Bahn, den Bund, das
Land Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt Stuttgart,
einer sensibleren, den städtebaulichen Kontext würdigenden
Planung den erforderlichen Raum zugeben. "Die von den Akteuren
zu verantwortende Kompromisslosigkeit ist um so tragischer, als
der Deutschen Bahn - einem der europaweit größten "öffentlichen
Bauherren" - eine Vorbildfunktion in Sachen Baukultur zukommt",
so Michael Braum. "Hier wird eine Chance vertan, im Herzen
Stuttgarts Vergangenheit und Zukunft zu einem Ganzen zu verbinden,
indem historische und zeitgenössische Architektur in einen
sich gegenseitig respektierenden Zusammenhang gedacht werden".
Der Abriss bedeutet nicht nur einen Affront gegen den Denkmalschutz
sondern auch gegenüber dem bürgerschaftlichen Engagement.
Die Nichtberücksichtigung der breit gestreuten Widerstände
gegen den Abriss der Seitenflügel wird zu einem Vertrauensverlust
in der Bevölkerung in Sachen Baukultur und Denkmalschutz
führen, die bundesweit sehr deutlich zum Ausdruck bringt,
dass Baukultur einen Teil ihrer Identität ausmacht. Die
Diskussionen in Frankfurt, Braunschweig, Potsdam oder Berlin
stehen stellvertretend dafür. Besteht in diesen Städten
die Gefahr eines fragwürdigen Rekonstruktionsverständnisses,
so wird in Stuttgart nunmehr die Chance vergeben, Geschichte
zu bewahren und sie im Original mit dem Neuen in einen überzeugenden
Zusammenhang zu setzen.
Die Entscheidung zum Abriss bestätigt einmal mehr die "Risiken
und Nebenwirkungen einer Verselbständigung sektoraler Planungsansätze",
wie sie im April diesen Jahres von dem von der Bundesstiftung
Baukultur einberufenen Konvent der Baukultur aufgezeigt wurden.
Ein solches Planungsverständnis aus dem vergangenen Jahrhundert
ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die uns
alltäglich prägende Verkehrsinfrastruktur zumeist wenig
mit Baukultur zu tun hat. Das Stuttgarter Beispiel reiht sich
als das derzeit prominenteste in die Liste derjenigen Verkehrsprojekte
ein, die unsere Städte und Landschaften verunstalten. |