28.1.11
Fund eines spätgotischen Tonmodels in der Spendhausstraße
5 in Reutlingen
Der Archäologischen Denkmalpflege am Regierungspräsidium
Tübingen gelang bei einer Grabung in der Spendhausstraße
5 in Reutlingen im September 2010 ein bedeutender
Fund: ein Tonmodel, das als
Negativvorlage zur Abformung für ein Tonrelief diente. Das
Fundstück kam in einer Auffüllschicht zum Vorschein,
mit der beim Neubau des Hauses im Jahre 1559 der ursprüngliche
Abgang zum Keller des Vorgängerbaus verfüllt wurde.
Der Model war in drei nahe beieinander liegende Teile zerbrochen.
Der nach der Restaurierung des Fundstücks nun angefertigte
Abguss zeigt das außerordentlich fein geschnittene, hagere
Gesicht eines bärtigen Mannes mit langem, lockigem Haar.
Sein Kopf trägt einen kranzförmigen Gegenstand. Die
Ikonographie ist eindeutig: es kann sich bei der Darstellung
nur um den dornengekrönten Christus handeln. Die Dornen
selbst wären für die Direktabformung im Model jedoch
zu fein gewesen. Folglich mussten sie nach der Abformung einzeln
am Positiv montiert werden.
 Die äußerst kunstfertige Gestaltung lässt darauf
schließen, dass der Model an einer vermutlich aus Holz
geschnitzten Vorlage eines fähigen Bildhauers abgenommen
wurde.
Die Verwendung des Tonreliefs kann aus dem Fundstück heraus
nicht erschlossen werden. Allerdings gibt es auffällige
Parallelen zu rund oder viereckig geformten und bemalten Terrakottatafeln
der Zeit um 1500 in verschiedenen deutschen Kunstsammlungen.
Auf diesen ist nur das Haupt des dornengekrönten Christus
in einem mehr oder weniger aufwändig gestalteten Zierrahmen
dargestellt. Möglicherweise handelt es sich dabei um Andachtstafeln,
die man auch in Privathäusern an die Wand hängen konnte.
Der Tonmodel aus der Spendhausstraße 5 ist somit ein indirekter
Hinweis auf eine höchstwahrscheinlich in Reutlingen, vermutlich
in der näheren Umgebung des Fundortes tätige Werkstatt,
in der man solche Tafeln produzierte. |