4.2.10
Forschungsprojekt: Sprachalltag im nördlichen
Baden-Württemberg
Neues sprach- und kulturwissenschaftliches Forschungsprojekt
am Ludwig-Uhland-Institut Tübingen
Am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft
hat im November 2009 das Projekt "Sprachalltag in Nord-Baden-Württemberg" unter
der Leitung der Professoren Hubert Klausmann und Bernhard Tschofen
begonnen. Ziel des Forschungsvorhabens ist zum einen die Erfassung
lokaler Mundarten für die Dialektforschung, um damit die
einzige Lücke in der sprachgeografischen Dokumentation des
süddeutschen Raumes zu schließen. Zum anderen untersucht
es den Dialektgebrauch in gegenwärtigen Alltagssituationen.
Das Projekt verbindet dabei sprach- und kulturwissenschaftliche
Ansätze. Getragen wird das Projekt "Sprachalltag in
Nord-Baden-Württemberg" vom Ministerium für Wissenschaft,
Forschung und Kunst Baden-Württemberg und der Eberhard Karls
Universität Tübingen mit Unterstützung des Ministeriums
für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und
des Fördervereins Schwäbischer Dialekt e.V.
Das Schließen der geografischen Lücke in der Dialektforschung
ist ein dringliches Vorhaben, das aus methodischen Gründen
zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr vorgenommen werden
kann. Alle bisher erschienenen Atlanten des süddeutschen
Sprachraums haben mit einem Fragebuch gearbeitet, das sich vor
allem auf die bäuerliche Lebenswelt bezieht. Für die
wissenschaftliche Arbeit muss das Datenmaterial vergleichbar
sein. Daher sollten die Erhebungen für den Norden Baden-Württembergs
mit dem traditionellen Fragebuch durchgeführt werden, solange
noch genügend Menschen mit dieser Lebensweise vertraut sind.
Ein wesentliches Ziel des Projekts ist die Aufarbeitung der
Daten in einem populärwissenschaftlichen Sprachatlas, mit
dem die Ergebnisse auch der interessierten Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden sollen. Durch den Einsatz neuer
Medien werden Ausschnitte aus den Erhebungen bereits als 'work
in progress' online verfügbar sein.
In einer ersten Phase werden etwa 90 Ortschaften zwischen Ulm
und Wertheim sowie zwischen Lauchheim und Mannheim untersucht.
Dabei wird zur Datenerhebung in allen Ortschaften ein Katalog
von 1500 Fragen durchgearbeitet, der lautliche, lexikalische
und grammatikalische Besonderheiten der lokalen Mundart erfasst.
In der zweiten Phase kommt in weiteren Ortschaften ein verkürzter
Katalog zum Einsatz, der lediglich diejenigen Fragen enthält,
bei denen sich in der ersten Befragung Unterschiede ergeben haben.
Nach drei Jahren soll die zweite Phase abgeschlossen sein.
Der sprachliche Alltag in Baden-Württemberg spiegelt sich
in der Erfassung der lokalen Mundarten jedoch nur unzureichend
wider, da diese Dialekte in ihrer "reinen" Form heute
nur noch von der älteren Generation gesprochen werden. Parallel
zur sprachgeographischen Erhebung untersucht das Projekt daher
zudem Reichweite und Funktion der Alltagssprache. Dabei sind
auch die Einstellungen zu lokalen und regionalen Formen aus der
subjektiven Sicht der Sprechenden interessant. Ein weiterer Aspekt
der Untersuchungen gilt der Akzeptanz regionaler Varianten im
Schriftdeutschen. In diesem Kontext arbeitet das Projekt auch
mit Schulen zusammen.
Die sprach- und kulturwissenschaftlichen Dissertationsprojekte
der wissenschaftlichen Mitarbeiter Rudolf Bühler, Rebekka
Bürkle und Nina Kim Leonhardt werden zudem unter anderem
Vertiefungen zum Sprachwandel und Generationenvergleich, zu kultureller
Zugehörigkeit und räumlicher Orientierung enthalten.
Michael Seifert,
Eberhard Karls Universität Tübingen |