9.9.09
Pfahlbausiedlungen der Jungsteinzeit bei Bad Schussenried,
Kreis Biberach: Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege
stoßen bei Sondierungsgrabungen in einem Moor auf einzigartige
Funde von großer wissenschaftlicher Bedeutung
Staatssekretär
Drautz: "Diese faszinierenden Funde frühester menschlicher
Technologie liefern weitere Argumente für den Weltkulturerbeantrag
für die Pfahlbauten im Alpenraum"
Regierungsvizepräsident Josef Kreuzberger stellte gestern
gemeinsam mit Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege
beim Regierungspräsidium Stuttgart einen herausragenden
Fund im Rahmen einer Sondierungsgrabung der Öffentlichkeit
vor. Es handelt sich bei den rund 5000 Jahre alten Funden in
der Hauptsache um drei jungsteinzeitliche Räder, die heute
an ihrem Fundort im Olzreuter Ried, einem Moor in Oberschwaben
(Bad Schussenried im Landkreis Biberach) präsentiert wurden.
Hier befinden sich in den Ablagerungen eines ehemaligen Sees
Pfahlbausiedlungen der Jungsteinzeit. Daneben wurden auch weitere
hölzerne Gebrauchsgegenstände aus dieser Zeit wie beispielsweise
eine Backschaufel oder ein Axtholm gefunden.
Mit Blick auf den auch vom Land Baden-Württemberg vorbereiteten
internationalen Weltkulturerbeantrag bei der UNESCO für
die Pfahlbauten im Alpenraum betonte der Staatssekretär
im Wirtschaftsministerium Richard Drautz: „An keinem anderen
Ort der Welt wird die Entwicklung jungsteinzeitlicher und metallzeitlicher
Siedlungsgemeinschaften so deutlich und auf so faszinierende
Weise sichtbar. Aufgrund der international anerkannten Forschungsarbeit
unserer Feuchtboden- und Unterwasserarchäologie kann dort
Kultur, Wirtschaft und Umwelt des Menschen vom 5. bis ins 1.
Jahrtausend v.Chr. detailliert erhellt werden.“
Der Leiter der Arbeitsstelle Hemmenhofen des Landesamtes für
Denkmalpflege beim Regierungspräsidium Stuttgart, Dr. Helmut
Schlichtherle, ein international angesehener Fachmann für
Unterwasser- und Feuchtbodenarchäologie, der die Sondierungsgrabung
leitete und vor einigen Monaten auch den Fund einer Steinzeit-Sandale
in Sipplingen vorstellte, betonte, dass die neuen Funde zwar
keinesfalls die ältesten Räder (den Rekord halten derzeit
Funde in Stare gmajne, Slowenien, und in Zürich) darstellten,
aber zur Gruppe der ältesten Räder gehörten. Die
neuen Funde vom Olzreuter Ried, insbesondere der eines zusammengesetzten
Vollscheibenrades, von dem beide Teile komplett erhalten sind,
seien von großer wissenschaftlicher Bedeutung, denn sie
eröffneten weitere Datierungsmöglichkeiten und technologische
Erkenntnisse.
Eines der drei Räder ist nahezu vollständig erhalten
und weist einen Durchmesser von 56 cm auf. Es besteht aus Ahorn-Holz,
verfügt über ein rechteckiges Achsloch sowie über
aus zwei Teilen zusammengesetzte und mit Einschubleisten zusammengehaltene
Vollholzscheiben, wie in der Nähe gefundene Fragmente zweier
weiterer Räder erkennen lassen. Die Funde liegen in Fundschichten
aus der Zeit um 2900-2800 v.Chr. und gehören somit zu den
wenigen erhaltenen, weltweit ältesten Radfunden. Die mittlerweile
vorliegende exakte Datierung im Dendrochronologischen Labor des
Landesamtes für Denkmalpflege in Hemmenhofen ergab als Datum
das Jahr 2897 v.Chr.
Schlichtherle wies auch darauf hin, dass die Radscheiben durch
die jahrtausendelange Lagerung im Moor weich geworden und teilweise
zerbrochen seien. Wurzeln eines modernen Fichtenforstes seien
durch sie hindurchgewachsen. Die Bergung erfordere besondere
Sorgfalt und Sachverstand. Nach eingehender Dokumentation und
Untersuchung werde die Konservierung in den Werkstätten
des Landesamtes für Denkmalpflege in Esslingen durchgeführt.
Die Radfunde würden dort einem speziellen Gefriertrocknungsverfahren
unterzogen und für die museale Präsentation restauriert.
Die Fundstellen im Olzreuter Ried bei Schussenried werden durch
Vermessungen, Bohrungen und Sondiergrabungen derzeit genauer
untersucht, weil durch Entwässerung und Durchwurzelung Schäden
an der archäologischen Substanz zu verzeichnen sind. Zudem
ist vorgesehen, das „Olzreuter Ried“ in die Liste
derjenigen Pfahlbausiedlungen aufzunehmen, für die der UNESCO-Welterbetitel
beantragt wird. Auch deshalb sind ausreichende Dokumente zur
Umgrenzung der Fundstellen und ihres Erhaltungszustandes erforderlich.
Die steinzeitlichen und bronzezeitlichen Pfahlbauten in den
Seen und Mooren des Alpenvorlandes gehören aufgrund optimaler
Erhaltung organischer Materialien zu den bedeutendsten archäologischen
Fundstätten der Frühgeschichte Europas. Der internationale
Antrag wird unter der Federführung der Schweiz, unter Beteiligung
der Alpenländer Baden-Württemberg, Bayern, Österreich,
Slowenien, Italien und Frankreich 2010 bei der UNESCO eingereicht
werden. |