9.9.09
Der "kleine Klimawandel" vor der Industrialisierung
Schon lange vor der Industrialisierung hat der Mensch
das Klima beeinflusst. Indem er Wälder in Ackerland umwandelte,
erhöhte er den CO2-Gehalt der Atmosphäre deutlich.
Eine neue Studie zeigt jetzt: Bereits um 1850 war ein Drittel
des
bis heute durch Landnutzung freigesetzten Kohlenstoffs
schon
in der Luft - quasi ein "kleiner Klimawandel".
Die Studie im Fachmagazin "Global Biogeochemical Cycles",
die jetzt vorab online veröffentlich wurde, entstand am
Max-Planck-Institut für Meteorologie am KlimaCampus der
Universität Hamburg. Zum ersten Mal nutzten die Klimaforscherin
Julia Pongratz und ihre Kollegen ein Modell, mit dem sich der
globale Kohlenstoffkreislauf des letzten Jahrtausends berechnen
lässt. Dieses Modell verknüpften sie mit einer Weltkarte
der Landnutzung. In einer vorangegangenen Arbeit hatte die Wissenschaftlerin
die Umgestaltung der gesamten Erdoberfläche durch Ackerbau
und Weidewirtschaft rekonstruiert - und zwar für das komplette
vergangene Jahrtausend. (siehe: http://www.dkrz.de/dkrz/gallery/vis/land)
Ergebnis: Ein Drittel des bis heute durch Landnutzung freigesetzten
Kohlenstoffs entstand bereits in den Jahren 800 bis 1850. Diese
53 der bis heute 161 Gigatonnen Kohlenstoff, die durch Ackerbau
und Rodung freigesetzt wurden (Effekte durch fossile Verbrennung
wurden in der Studie nicht berücksichtigt), konnten schon
damals die Zusammensetzung der Atmosphäre beeinflussen und
den CO2-Gehalt erhöhen. Gleichzeitig machen diese frühen
Emissionen einen substanziellen Anteil an den Gesamtemissionen
des Menschen (inklusive fossiler Verbrennung) aus - bis heute
etwa 320 Gigatonnen Kohlenstoff.
Viele Klimastudien gehen davon aus, dass die CO2-Emissionen
erst mit Beginn des Industriezeitalters einsetzen. Pongratz'
Arbeit belegt jedoch, dass zu diesem Zeitpunkt der Kohlenstoffkreislauf
schon deutlich von Menschenhand beeinflusst war - die Industrialisierung
kann also nicht mehr als Referenzpunkt "Null" für
die Kohlenstoffbilanz gelten. Anders als heute, bewirkte der "kleine
Klimawandel" bis 1850 jedoch keine globalen Temperaturänderungen.
Der langsame Anstieg über eine lange Zeitspanne erlaubte
ein besseres Ausbalancieren von Kohlenstoffaufnahme und -abgabe.
"Noch nie konnte der Einfluss des Menschen auf das vorindustrielle
Klima so detailliert beschrieben werden", sagt Pongratz. "Erstmals
konnten wir zum Beispiel auch rechnerisch prüfen, ob bestimmte
historische Ereignisse das Gesamtklima beeinflussten." So
fand die Klimaforscherin heraus, dass die Pest, der Fall der
Ming-Dynastie und die Invasion der Mongolen lokal zu deutlich
weniger Kohlenstofffreisetzung führten. Weniger Menschen,
weniger Ackerbau und die natürlich Renaturierung entvölkerter
Flächen konnten hier lokal die Emissionen bremsen.
Aber nur der Einfall der Mongolen in China, der mehr als hundert
Jahre dauerte, wirkte lang genug, um eine Umkehr der Verhältnisse
zu bewirken: Nur dieses Ereignis führte unterm Strich dazu,
dass lokal eine Kohlenstoffsenke entstehen konnte. Doch auch
dieser Effekt blieb örtlich begrenzt und hatte auf die steigenden
Kohlenstoff-Emissionen des Mittelalters global keinen Einfluss.
Publikation: Pongratz, J., C. H. Reick, T. Raddatz, and M. Claussen
(2009): Effects of anthropogenic land cover change on the carbon
cycle of the last millennium
http://www.agu.org/journals/gb/papersinpress.shtml#id2009GB003488 |