10.10.06
Warum nicht gleich die ganze Reichenau verkaufen?
Im baden-württembergischen
Handschriftenstreit geht es vorrangig um den Erhalt der in der
Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe aufbewahrten Handschriftensammlung,
um die Bewahrung des kulturellen Erbes. Nicht unbedingt nur des
badischen Erbes, sondern eines Erbes, dem sich das ganze Land
Baden-Württemberg, einschließlich seiner Landesregierung, verpflichtet
fühlen muss. Mit vielen Winkelzügen versucht die Landesregierung,
ihre einmal eingenommene Position zu verteidigen.Wahr ist, und
das darf nicht übersehen werden, dass das Land im Augleich mit
dem Haus Baden Kunstschätze im geschätzten Wert von 250 - 300
Millionen € erwirbt. Endgültig erwirbt, ohne irgend ein künftiges
Wenn und Aber. Wahr ist auch, dass das Haus Baden mit dem Erhalt
von Schloss und Münster Salem Lasten auf sich genommen hat, die
es alleine nicht mehr tragen kann und die es an den Rand der finanziellen
Belastbarkeit gebracht haben. Wahr ist weiterhin, dass das Haus
Baden durchaus unbestrittene Eigentumsrechte an ehemals großherzoglichen
Sammlungen hat, die es - rein theoretisch - zur Tilgung seiner
Schulden einsetzen könnte. Aber das Haus Baden strebt in Abwägung
von Notwendigkeit und Verantwortung diesen Kompromiss an und erklärt,
das Land Baden-Württemberg nicht mit Klagen um dieses Kulturerbe
überziehen zu wollen. So weit, so gut. Ministerpräsident Öttinger
erklärt derweil, der Verkauf müsse sein, weil man verhindern müsse,
dass eines nicht allzu fernen Tages der Gerichtsvollzieher im
Museum steht und Sammlungsgut pfändet. Das klingt wie eine Drohung
und ist wahrscheinlich auch so gemeint. Minister Frankenberg
sagt, es dürfe nicht nur um die "badische Seele" gehen, wenn auch
die wissenschaftliche badische Landesgeschichte einer der zwingend
anzulegenden Maßstäbe sei. Mittelalterliche Handschriften sind
jedoch - und hier seien die karolingischen und ottonischen Handschriften
der Reichenau stellvertretend genannt - nicht nur ein integraler
Bestandteil des mitteleuropäischen Kulturerbes, das zu schützen
eine der vornehmsten Aufgabe des Landes ist. Sie kamen nach Karlsruhe,
weil der badische Staat in der Säkularisation, deren 200. Jahrestag
vor zwei Jahren ausführlich gewürdigt wurde, die Klöster aufhob.
Die Mönche wurden in den Ruhestand geschickt, die Bibliotheken
und Archive nach Karlsruhe geschafft und die mobilen Kunstgegenstände
verwertet, eingeschmolzen, verkauft. Es war der Geist des anbrechenden
19. Jahrhunderts, der die Klostergebäude zum Abbruch bestimmte
und den Speyrer Goldschatz in die Karlsruher Münze fließen ließ.
In diesem Geist wurde auch 1833 der Basler Münsterschatz verkauft
- und es wird heute als großartiger Triumph gefeiert, wenn Teile
davon wieder zu einer Ausstellung zusammenfinden. Der badische
Staat hat damit aber auch eine kulturelle und historische Verantwortung
übernommen, das Kulturerbe der aufgehobenen Klöster zu wahren
und an die Nachkommen weiterzugeben. Wo bleibt diese Verantwortung
angesichts dieser Verkaufspläne? Es geht nicht um "badisches"
Erbe, weil die Reichenau erst im Zustand ihrer Demontage badisch
wurde. Es geht um das Erbe der mittelalterlichen Klöster, das
zu bewahren Aufgabe des Landes Baden-Württemberg ist. Wer über
Jahrhunderte gewachsene Klosterbibliotheken auseinanderreißt und
den Bestand auf leichtfertige Weise zerstört, der sollte besser
gleich die ganze Reichenau verkaufen. Dann ist die Insel mit ihrem
Erbe nicht länger ein Klotz am Bein, nicht länger totes Kapital.
Unsere
Pressemeldung
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