Zitat Friedrich Kobler (1970)
Im Südwesten
Frankreichs und in Burgund findet sich unter den Bildwerken
an Fassaden, Portiken und Kapitellen im 12. Jahrhundert öfters
die "femme aux serpents" (1),
eine unbekleidete Frau, an deren Brüsten Schlangen saugen
oder die von Schlangen und Kröten umgeben ist. Diese Frau
wird als Luxuria interpretiert und gilt als ikonographische
Schöpfung
des Languedoc (2). Sie wird
nur selten allein dargestellt: meist kommt siemit dem Satan
zusammen vor. Hier also kommt es zu einer Paarbildung ähnlich
wie in Freiburg: Satan und Luxuria (3).
Doch wird das Attribut der Schlangen und Kröten in Freiburg
nicht der Frau beigegeben, sondern - wie in Straßburg
- dem Satan (4).
Es macht
also den Eindruck, als ob Freiburg in seinem Paar Satan und
Luxuria eine romanische Tradition Südwestfrankreichs aufgreifen
würde, wenn auch unter Verwendung neugeprägter Figuren,
die durch den Warn-Engel noch eine Erweiterung (und Erläuterung)
erfahren. Die
Zusammenstellung Satans mit den törichten Jungfrauen,
die als Gegenüber Christus und die klugen Jungfrauen erhalten,
scheint dagegen eine junge Erfindung zu sein. Die einige mir
bekannt gewordene Vorstufe zur Straßburger Gegenüberstellung
bietet ein Fenster in der Kathedrale von Troyes um 1250 (5).
Dort finden sich in zwei Lanzetten im Hochchor die klugen Jungfrauen
mit Christus den törichten mit Satan konfrontiert (6).
Die Gestalt
des Straßburger und Freiburger Satan als modisch gekleideter
Mann mit dem Rückenstreifen voller Kröten und Schlangen
ist vor Straßburg weder in Frankreich noch in Deutschland
bisher nachweisbar.
... ist
es ziemlich unwahrscheinlich, dass in Freiburg der Satan als
Anführer der törichten Jungfrauen projektiert gewesen
sein soll.
1 Emile
Mâle, L'art religieuse au XIIme siècle en
France. Paris, 5. Aufl. 1947, S. 365ff., bes. S. 373-76.
Hauptbeispiel ist der Portikus von St. Pierre in Moissac.
2 Von Mâle werden
die Tiere als Bestrafung der Luxuria erklärt; diese Interpretation
hat keinen rechten Sinn. Ein oberrheinisches Beispiel aus dem
13. Jh. in einer "Konsole" an der südlischen Hochschiffwand
des Straßburger Münsters: Straßbureger Münsterblätter
5 (1908), S. 23, Abb. 23
3 Satan: Münzel,
Skulpturenzyklus S. 105ff.
4 Bei Alexandre
Lenoir, Monuments des Arts libéraux, Paris 1840,
zeigt der Stich auf T. XVIII die männliche Figur mit
Klauenfüßen, also den Teufel, dem je eine Schlange
und Kröte beigegeben sind.
5 Aubert,
Chastel, Grodecki u.a., Le vitrail francais, 1958,
S. 49, Abb. 29. Jean Lafond, Les vitraux de la Cathédrale
de Troyes: Saint-Pierre des Troyes. Congrès archéologique
CXIII, 1955, S. 29ff, 46, 48
6 Die
gleiche Gegenüberstellung zeigt ein Hungertuch von Heiligengrabe
(Ostpriegnitz) um 1300: Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg
1,2: Eichholz, Solger, Spatz, Die Kunstdenkmäler
des Kreises Ostpriegnitz, Berlin 1907, S. 75, S. 76 Abb. 9.
Friedrich
Kobler: Der Jungfrauenzyklus der Freiburger Münstervorhalle.
Bamberg 1970 (= Diss. phil. Berlin 1966) S. 124/25 |