Rezensionen


 

Werner Skrentny: Julius Hirsch. Nationalspieler. Ermordet. Biografie eines jüdischen Fußballers. Göttingen: Verlag Die Werkstatt, 2012, 352 Seiten mit s/w Abbildungen, gebunden, ISBN 978-3-89533-858-8, 24,90 €

 

Der Karlsruher Fußballverein (KFV) von 1891, nicht zu verwechseln mit dem Karlsruher Sportclub (KSC), der aus dem Karlsruher FC Phönix und dem VfB Mühlburg hervorging, erlebte seine Glanzzeit vor dem Ersten Weltkrieg. Protektor war kein Geringerer als Prinz Max von Baden. Unter dem englischen Trainer William Townley wurde der Verein 1910 in Köln Deutscher Meister. Einer der Stars auf dem Spielfeld von damals war Julius Hirsch (1892— 1943), dem Werner Skrentny das vorliegende Buch widmet. Er nennt es »Biographie eines jüdischen Fußballers«. Es ist jedoch mehr, denn es behandelt zugleich Hirschs ebenfalls jüdischen Vereinskameraden Gottfried Fuchs (1889-1972), der 1910 mit von der Partie war und 1912 bei der Olympiade mit zehn Treffern gegen Russland den bis heute gültigen Torjägerrekord der deutschen Länderspielgeschichte hält. Der Autor bietet einerseits faktenreiche Viten der beiden prominenten Karlsruher Sportler, andererseits ging er der Frage nach, wie die Sportpresse und der Deutsche Fußballverband mit deren Andenken umgingen: Nach 1933 verschwanden die Namen Hirsch und Fuchs aus der Liste der Nationalspieler, nach 1945 kam die Rückbesinnung eher schleppend in Gang.

Julius Hirsch trat schon als Zehnjähriger in den KFV ein. Die Oberrealschule, die er bis zum Einjährigen besuchte, die Handelsschule und die anschließende Kaufmannslehre ließen ihm Luft zum Training. Mit 17 stieg er in die Erste Mannschaft auf. Jul- ler nannten ihn seine Kameraden. Mit 18 verhalf er seinem Verein zur Meisterschaft. Danach wurde er regelmäßig in die süddeutsche Auswahl und die Nationalmannschaft berufen. Die Liste seiner Erfolge ist lang, wird im Text kommentiert und im Anhang übersichtlich aufgelistet. Aus beruflichen Gründen verließ Hirsch Karlsruhe 1913, nahm bei der Nürnberger Spielwarenfabrik Gebrüder Bing eine Stelle an und wechselte vom KFC zur Spielvereinigung Fürth, die den »Internationalen« mit offenen Armen aufnahm. Er traf hier seinen Entdecker wieder, den Trainer William Townley, der Karlsruhe 1911 verlassen hatte. Im Mai 1914 gab es einen Erfolg zu feiern: Fürth wurde Deutscher Meister. Mit Kriegsbeginn wurde Fußball Nebensache. Hirsch, der 1912/13 als Einjährig-Freiwilliger gedient hatte, wie für Söhne wohlhabender Eltern üblich, wurde eingezogen und tat Dienst in einem bayerischen Landwehrregiment, vorwiegend in der »Etappe hinter den Linien«, als Schreiber, wie der Autor mutmaßt. Vielleicht konnte er auch seine Sprachkenntnisse in Französisch und Englisch verwerten. Spektakulärer lesen sich die Passagen über den Kriegseinsatz des Gottfried Fuchs, der sich 1914 freiwillig gemeldet hatte und als Offizier an der Westfront unter anderem den Tank-Angriff von Cambrai miterlebte.

1919 kehrte Julius Hirsch nach Karlsruhe zurück, trat in die väterliche Textil-Firma ein und heiratete die Modistin Ellen Hauser aus einer evangelischen nordbadischen Familie. Bis 1923 blieb er aktiver Spieler des KFC. Ein Foto zeigt ihn Mitte der Zwanzigerjahre vor seinem Automobil, die Berufsbezeichnung lautete Fabrikant, ein paar Seiten weiter: »beste Wohnadresse in der Kaiserallee«. Die Firma geriet jedoch in die Krise und endete 1933 im Konkurs. Von nun an drehte sich die Unglücksspirale. Zur wirtschaftlichen Bedrängnis durch Arbeitslosigkeit kam mit dem Dritten Reich die Benachteiligung und Verfolgung als Jude. Um dem Ausschluss zuvorzukommen, trat er aus seinem Verein aus. 1933/34 fand er eine Anstellung als Trainer im Eisass, danach engagierte er sich im jüdischen Sportbund, eine unstete Zeit als Handlungsreisender, Selbstmordversuch, Aufenthalte in psychiatrischen Anstalten, Ehescheidung und schließlich 1943 Deportation mit Auschwitz als wahrscheinlichem Endpunkt sind die Stichwörter seiner letzten Jahre.

Der Sportschriftsteller Skrentny, der Hirsch seinen Platz in der Sportgeschichte zurückgeben wollte, wagte sich an eine komplizierte Biographie mit tragischem Ausgang. Er lässt den Leser Teil haben am langwierigen Entstehungsprozess des Buches, berichtet von seinen Recherchen in Archiven oder privaten Beständen und von der Befragung von Zeitzeugen. Intensiv war seine Zusammenarbeit mit Andreas Hirsch, Enkel von Julius Hirsch, der Bilder und Dokumente aus dem Familienbesitz bereitstellte und ein sehr persönliches Vorwort verfasste. Dankbar hebt er darin hervor, dass Skrentny den Kontakt zu den Nachfahren von Gottfried Fuchs in Kanada hergestellt habe, woraus sich eine lebendige Freundschaft entwickelt habe. Fuchs hatte Deutschland 1937 verlassen und war über die Schweiz, Frankreich und England schließlich nach Kanada gelangt. Er korrespondierte in der Nachkriegszeit mit Sepp Herberger. Ausführlich ist dieser Briefwechsel dokumentiert, der mit dem Schönheitsfehler endet, dass der DFB einer von Herberger vorgeschlagenen Einladung für Fuchs zu einem Länderspiel 1972 nicht zustimmte.

Das Buch wirkt mit seinen 32 Kapiteln und neun Exkursen etwas unübersichtlich. Nicht alles hat mit Julius Hirsch zu tun, der auf dem Bucheinband als Fußballer in voller Aktion zu sehen ist, auf einer Fotografie, die 1912 das Titelbild der Zeitschrift »Fußball, olympischer Sport« schmückte. Es ist aber gerade durch diesen Werkstatt-Charakter eine lebendige Dokumentation, authentisch, weil der Autor den Leser mitnimmt an die Orte des Geschehens und zu den Interviews, wo er nicht nur die erhobenen Fakten, sondern auch die Reaktionen der Befragten wiedergibt, zum Beispiel die vorsichtig-beklommene Reaktion der Elsässer, die Hirsch 1933/34 erlebt hatten. In Karlsruhe fand Skrentny von Anfang offene Ohren, im Stadtarchiv, bei der Stadtverwaltung, in der Sportszene und darüber hinaus. Seit 2013 gibt es dort eine Julius-Hirsch-Straße und einen Gottfried- Fuchs-Platz.

Renate Liessem-Breinlinger

4/2014
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