In einem spannend zu lesenden Buch erzählt Anton Josef
Martin die Geschichte Schloss Bürgelns im vorigen Jahrhundert.
Seit Johann Peter Hebels emphatischem Ausruf dort oben »Nei,
was cha me seh!« freuen wir uns mit ihm, wie da unten im
Markgräflerland bis hinüber ins Eisass »Berg
un Tal, Land un Wasser überal« wechseln. Seine und
unsere Blicke gehen in die Ferne, doch drehten wir uns um, sähen
wir etwas, was uns zu keinem so spontanen Ausruf verleitet, wohl
aber im Charme seiner Erscheinung ein eher stilles Entzücken
bewirkt: Schloss Bürgeln. Für diese Blickumkehr sorgt
jetzt ein Buch des in Niedereggenen lebenden Anton Josef Martin,
der vor knapp zwei Jahren unter dem Titel »Z’Bürglen
uf der Höh - Richard Sichler auf Schloss Bürgeln, Mäzenatentum
in schwieriger Zeit« eine gründlich eruierte und angenehm
zu lesende, kurzum grundgescheite Geschichte des Schlosses im
vorigen Jahrhundert veröffentlicht hat. In zwölf Kapiteln
beschreibt Martin, nach präzisem, kurzen Rückblick
auf den »Mythos Bürgeln«, das wechselnde Schicksal
der gesamten Schlossanlage, seit der »Kommerzienrat« Richard
Sichler bei seinem ersten Besuch »uf der Höh« beschloss,
sich hier finanziell und ideell zu engagieren. Von nun an, wir
sind im Jahr 1920, wird die Geschichte Bürgelns auch die
seine, seiner Erfolge und Triumphe wie seiner Bedrohungen und
Demütigungen.
Der »Retter Bürgelns« wurde 1876 in eine Braun-
schweigsche Kaufmannsfamilie hineingeboren. Martin beschreibt
detailliert seinen erfolgreichen beruflichen Aufstieg, der ihn über
die Stationen London, München, Berlin nach Dresden führte
und ihn, dank seiner unbestrittenen Managerqualitäten, zum
rei
chen Mann machte. Dass er auch ein Mäzen wurde, war für
ihn selbstverständlich.
»Es war Liebe auf den ersten Blick«, als Sichler,
von Badenweiler kommend, wo er kurte, 1920 das erste Mal Bürgeln
sah. Ziemlich spontan muss er, dessen Vermögen auf 40 bis
50 Millionen Mark geschätzt wurde, sich entschlossen haben,
beträchtliche Gelder für das baufällige Anwesen
auszugeben. Seine Präsentation vor dem Bürgeln-Bund
verlief positiv, er wurde als Pächter akzeptiert und beauftragte
sogleich seinerzeit fortschrittliche Architekten wie Richard
Riemerschmid, Rudolf Schmid, auch Max Laeuger, Umbaupläne
zu entwerfen. Schließlich entschloss er sich, den Architekten
Theodor Veil und Erich M. Simon die Oberaufsicht über die
gesamten Umbau- und Restaurationsmaßnahmen zu übertragen,
die von 1920 bis 1926 dauerten. Was hier unter schwierigsten
Umständen gesamthaft geschaffen wurde, muss als »großartige
denkmalpflegerische Leistung ihrer Zeit auch heute noch beurteilt
werden.« (Martin). Doch es gab auch latentes wie offenes
Misstrauen gegen den »Retter Bürgelns«, der
Verdacht, Sichler wolle das Schloss privatisieren, wurde besonders
von den Markgräfler Nachrichten in Müllheim gestreut.
Bürgeln in der NS-Zeit: Martin beschreibt diese Geschichte
als spannenden Politkrimi. Der Bürgeln- Bund als Eigentümer
wird von der NSDAP unterwandert, Sichler diverser Devisenschiebereien
beschuldigt, während rivalisierende NS-Ämter bemüht
sind, Bürgeln in ihr Eigentum und ihre Verfügung zu
bekommen, was letztlich jedoch nicht gelingt.
Die Nachkriegsgeschichte Bürgelns ist eine dauernde elende
Streiterei zwischen Sichler und dem Bürgeln-Bund; es geht
um finanzielle Verpflichtungen, wobei beide Parteien zunehmend
aggressiv agieren. Sichler erfährt prominente Anerkennung
durch den Badischen Staatpräsidenten Leo Wohieb und den
ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss. Doch ein Klima gegenseitigen
Misstrauens herrscht zwischen der Bevölkerung und denen »uf
der Höh«, die sich demonstrativ zurückziehen.
Anfang August 1952 stirbt Sichler in Müllheim. Seine 31
Jahre jüngere Gattin Nelly kann die finanziellen Belastungen
nicht mehr tragen, und so kommt es im September 1957 zur Versteigerung
des Sichlerschen Privatbesitzes einschließlich seiner Kunstsammlung.
Als zweiter »Retter Bürgelns« erscheint da
der Manager der Kraftübertragungswerke Rheinfelden, Herbert
Albrecht, der die völlige Zerstreuung des Besitzes verhindert.
Rechtlich wird festgestellt, dass der Bürgeln- Bund Eigentümer
bleibt, die Landkreise Lörrach und Müllheim beim finanziellen
Unterhalt helfen, wie auch Sponsoren, und die Eintrittsgelder
aus Führungen und Konzerten die Kasse auffüllen.
Was hier nur in Kurzform referiert werden konnte, liest sich
in Martins Buch teilweise wie ein böser Schelmenroman. Merke:
Jenseits poetischer und folkloristischer Verklärungen erzählt
Heimatgeschichte mitunter auch vom Tun und Treiben regionaler
Kleingeister und lokaler Gnize.
Nikolaus Cybinski
|